KI im E-Recruiting 

Lassen sich Ingenieure irgendwann per Knopfdruck finden?

14. September 2023, 12:42 Uhr | Corinne Schindlbeck
Robindro Ullah ist Berater, Speaker, Blogger und Buchautor sowie geschäftsführender Gesellschafter des Trendence Institut. Jan Hawliczek ist Recruiting- und Active-Sourcing-Spezialist und Geschäftsführer der HR-Beratungsagentur »Die Grüne 3«.  In ihrem Podcast »Zielgruppengerecht« diskutieren die beiden Experten alle zwei Wochen aktuelle HR-Trends. Ihr Ziel fassen sie in einem Hashtag zusammen: #HumanizingDigitalHR. »Wir versuchen, die HR-Welt von morgen heute schon begreifbar zu machen – nicht nur anhand der Hard Facts, sondern auch selbstironisch und ehrlich!«
© Trendence/Die Grüne 3

Welchen Einfluss wird künstliche Intelligenz auf Recruiting und HR-Management haben? Wo kann sie Personalabteilungen künftig sinnvoll unterstützen und bietet sie gar ein Rezept gegen den Fachkräftemangel an? Wir haben die HR-Experten Robindro Ullah und Jan Hawliczek zu möglichen Szenarien befragt.

Diesen Artikel anhören

Markt&Technik: Herr Ullah, Herr Hawliczek, KI soll alles, auch den Arbeitsmarkt umwälzen. Was kommt auf HR-Verantwortliche zu? 

Jan Hawliczek: KI kommt – und wird häppchenweise Einzug halten. Die Mehrheit der Unternehmen nutzt »Software as a Service« auch für Personal- und Recruiting-Software. KI-Funktionen werden hier sukzessive integriert und der Kunde parallel darauf geschult, um sie zu nutzen. 

Robindro Ullah: Es bleibt abzuwarten, wie anwenderfreundlich die neuen KI-Features in Zukunft sein werden oder ob man gegebenenfalls neue Fähigkeiten als Recruiter benötigen wird. Wie etwa prompten. Es deutet sich allerdings bereits heute an, dass der nächste KI-Entwicklungsschritt die Frage des Promptens klären wird. Anwender:innen wird künftig automatisch ein passender Prompt vorgeschlagen. Was aber definitiv bleiben wird, ist die Fähigkeit, die richtigen Fragen stellen zu können.

Wie wird KI künftig im Personalalltag eingesetzt werden? 

Hawliczek: Richtig spannend wird es, wenn der Trend im CRM zu immer genaueren  Kontext- und Kundendaten für effizientere Kampagnen, Zielgruppen und Inhalte auch im Personalmanagement Einzug hält. Dann erst wird Personalisierung mit generativer und prädiktiver KI im großen Stil wirken können, auch im Recruiting. Die KI generiert und veröffentlicht dann aus der Position, dem Titel und den Informationen zum Unternehmen automatisch eine Stellenanzeige. Und ich rechne damit, dass sie das irgendwann auch besser kann als jeder Mensch, wenn man ihr den Kontext dazu gibt und sie die Daten dahinter verknüpft. Dann könnte sie zum Beispiel auch die Trefferquote errechnen, in welcher Form und wo die gewünschte Zielgruppe am ehesten zu erreichen ist. Ich rechne fest damit, dass das eine KI künftig besser kann als ein Recruiter ohne solche Datenunterstützung. Und das wäre dann natürlich schon ein mächtiges Tool. Ich rechne damit, dass das eines der kommenden Features sein wird, Testversionen gibt es schon.

Mächtige Tools, die aber immer noch von Menschen administriert werden müssen. 

Hawliczek: Ja, per Knopfdruck zum Ingenieur, daran glaube ich nicht. Der Mehrwert wird darin liegen, dass man technisch unterstützt wird, aber selbst administriert und orchestriert. Mein Blick in die Zukunft: Der Recruiter, der mit künstlicher Intelligenz arbeitet, gewinnt. KI wird dabei helfen, die jeweilige Zielgruppe zu verstehen und sie zu erreichen. Das geschieht, indem sie sehr viele Daten analysiert und daraus Muster und Wahrscheinlichkeiten errechnet. Aber ohne den Menschen funktioniert das im Moment noch nicht. 

Außerdem muss zuvor noch viel Vorarbeit geleistet werden. Ähnlich, wie wir vor zehn Jahren angefangen haben, Digitalisierungsprojekte zu starten, muss jetzt die Basis für künstliche Intelligenz geschaffen werden. Das bedeutet, dass Unternehmen organisatorisch so aufgebaut werden müssen, dass es überhaupt möglich ist, mit künstlicher Intelligenz zu arbeiten. Und – ich glaube, das ist das Allerwichtigste – den Menschen erstmal zu befähigen, KI zu nutzen.

Ullah: Eine KI, die auf verifizierte Echtzeitdaten im Internet Zugriff hat, könnte irgendwann die nötige Unterstützung liefern. Aktuell sind wir noch nicht so weit. Momentan ist zum Beispiel nicht ausgeschlossen, dass Fake-News von Large Language Models als reale Quelle wahrgenommen werden. Zur Zielgruppenidentifizierung gibt es aber auch heute schon sehr viel Unterstützung. 

Dann wird KI also irgendwann auch das Matching zwischen Unternehmen und Bewerbern verbessern? 

Ullah: Grundsätzlich klappt das ja schon länger, mit kleinen Fehlern. Diese dürften künftig mit KI ausgehebelt werden, weil sie zum einen mit der Häufigkeit der Anfrage lernt und auch aus den Fehlern anderer Nutzer. 
Hawliczek: Grundvoraussetzung dafür ist, dass Unternehmen das System mit ihren spezifischen Daten füttern. Dann wird irgendwann vielleicht auch ein automatisiert erstelltes Persönlichkeitsprofil aus einem Text des Kandidaten möglich, welches man mit den Anforderungen an eine Stelle abgleichen könnte. Wobei so ein »Profiling« sehr umstritten ist. 

Ullah: Richtig, Diagnostiker haben hier begründete Vorbehalte. Nichtsdestotrotz kann man auch die Perspektive der Kandidat:innen einnehmen. Letztes Jahr hatten wir 50 Prozent mehr Stellenanzeigen am Markt als vor der Pandemie, ein Nachholeffekt, bedingt durch die Corona-Flaute. Die Stellenbörsen sind ja förmlich explodiert und Kandidat:innen hatten die Qual der Wahl. 

Gerade in Bereichen mit Fachkräftemangel könnte es daher hilfreich für Bewerber sein, angesichts der Fülle an Jobs zuvor ein grobes, KI-basiertes Matching durchzuführen: Welcher Job passt denn überhaupt zu meinen Interessen und meinem Werdegang? Oder: Was wäre der klügste nächste Schritt in meiner Karriere? Künftig könnte ein Zugang zum LinkedIn-Profil reichen, um Vorschläge zu bekommen. Positionsbezeichnungen und Stellenbeschreibungen sind in Firmen zwar oft unterschiedlich. Eine KI aber lernt das zu verstehen und identifiziert Übereinstimmungen.

Das setzt aber voraus, dass ich meine Daten, mein Profil auch komplett öffne und mich transparent mache.  

Ullah: Ja, das wäre die Voraussetzung. Unternehmen, die unter Fachkräftemangel leiden, werden diesen auch mit KI nicht einfach beheben können. Der Einsatz von KI in der Rekrutierung lässt leider auch keine Kandidat:innen auf Bäumen wachsen. Parallel sollten daher interne Initiativen starten: Kann ich den Fachkräftemangel durch Automatisierung oder Reorganisation ausgleichen bzw. mindern? Automatisierung kann dabei, muss aber nicht KI-gestützt sein. 

Dann folgt der zweite Schritt, der externe Blick: Ich finde keine passenden Bewerber am Markt. Welche Kandidaten liegen denn einen Schritt vor der gesuchten Position? Das wäre Plan B. Ich müsste dann zwar in Weiterbildung investieren, hätte aber eine Lösung, wenngleich nicht den »Perfect Match«. Den habe ich erst, wenn diese Kandidaten den nötigen Entwicklungsschritt machen. Dieses Schema könnte ich auch noch weiter herabstufen, etwa auf Quereinsteiger. 

Analog wird dies bereits seit Jahren durch unterschiedliche Unternehmen praktiziert. Ich selbst durfte diese Erfahrung bei einer meiner vorherigen Stationen machen. Dort haben wir Quereinsteiger für Triebfahrzeugführer, also Lokführer gesucht. Und dabei entdeckt, dass sich Fahrer des Arbeiter- und Samariterbundes sowie Bäcker:innen extrem gut als Lokführer eignen. Beide Berufe zeichnen sich durch etwas extremere Arbeitszeiten aus, beide haben ein hohes Bewusstsein für den Dienst an der Gesellschaft, und weitere positive Übereinstimmungen. Angestoßen wurde das damals aber nicht durch KI, sondern durch strukturiertes Ausprobieren und durch zufällige Bewerbungen aus diesen Bereichen. 

Für all das könnte ich aber künftig auch KI heranziehen. Diese könnte mir Vorschläge machen, welche Quereinsteiger besonders geeignet wären für meine offene Position. Wer von ihnen mit der größten Wahrscheinlichkeit dort auch erfolgreich wäre. Die Fähigkeit von KI, große Mengen an Daten auszuwerten und mir Empfehlungen zu geben, dürfte dafür sehr sinnvoll sein und die Arbeit von Personalern beschleunigen. Dann könnte KI die übereinstimmenden Eckpunkte binnen Sekunden durch den Vergleich von Tausenden von Berufsprofilen ausspucken. 

Hawliczek: Active Sourcing geht natürlich auch ohne KI. Auch wir schauen auf Bewegungsströme und leiten daraus Schlussfolgerungen auf Ziel, Arbeitgeber oder Entwicklungsstufen ab. Wird ein Senior-Projektmanager gesucht, schau ich mir die Position davor an, den Junior-Projektmanager. Das war jetzt ein sehr simples Beispiel, aber das Prinzip ist klar. Ich denke, dass die, die dies gut machen, durch KI noch mal einen Vorsprung bekommen werden. 

Die Frage ist angesichts der potenziell unzähligen Möglichkeiten durch KI, wie weit möchte ich mich auf KI ein- und auch verlassen? 

Ullah: Irgendwann kommen wir zwangsläufig beim Datenschutz an und womöglich in einer Grauzone im Kontext der Rekrutierung, je nachdem in welchem Land man lebt und arbeitet. Die Frage wird also sein, möchte man als Unternehmen so agieren (in der Grauzone) oder sorge ich ggf. sogar weltweit für einen DSGVO-konformen Ansatz. Es wird viele Diskussionen geben, ethische Diskussionen, die man führen kann und auch muss. Es gibt aber heute bereits die Möglichkeit, sich im grünen Bereich in der Rekrutierung durch KI unterstützen zu lassen. Diese Chance sollte man nutzen, aber nicht blind. 

(Fragen: Corinne Schindlbeck)
 


Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu elektroniknet

Weitere Artikel zu Arbeitswelt