Wie gewinnt Würth Elektronik eiSos genügend Fachkräfte? Welche Strategien hat Personalchef Arnt Stumpf im Fokus? Und was erwartet er mit Blick auf das neue Zuwanderungsgesetz? Wir haben ihn im neuen Firmengebäude in München-Freiham zum Interview getroffen.
Markt&Technik: Automatisierung mit KI wird auch als Mittel gegen Fachkräftemangel diskutiert. Ist künstliche Intelligenz ein Thema, mit dem sich Würth Elektronik im Personalwesen beschäftigt?
Arnt Stumpf: Wir beobachten KI sehr genau im Rahmen der Digitalisierung unserer Prozesse. Jeder Bereich wird dahingehend analysiert, ob und was Sinn macht. Also natürlich auch im Bereich HR. Erstaunlich, was hier bereits möglich ist, etwa beim Thema Anschreiben. Wir müssen klären, wie wir künftig mit Anschreiben umgehen wollen, da es mittlerweile sehr perfekt geschriebene mittels KI gibt. Ich gehe davon aus, dass Anschreiben an Bedeutung verlieren werden und im gleichen Zug der Auswahlprozess als solcher an Bedeutung gewinnt. Aber auch für Recruiter:innen bietet KI Vorteile, etwa für die Interviewvorbereitung bei sehr technischen Fragestellungen. Und das wird so weitergehen. Je mehr man darüber nachdenkt, was KI machen könnte, desto mehr Einsatzfelder findet man.
Zuletzt wurde intensiv über die Viertagewoche diskutiert. Ein Thema auch für Würth Elektronik?
Die Viertagewoche ist bei uns grundsätzlich heute schon möglich. Aber in der Diskussion geht es ja um reduzierte Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich – hier sind wir noch am Anfang. Wir planen, eine Abschlussarbeit zu beauftragen und ein Modell dazu zu prüfen. Denkbar wäre eine Art Zeitwertkonto. Eine andere Möglichkeit setzt bei Gehaltserhöhungen an, die bei uns zum Teil ganz ordentlich sind, zuletzt waren es im Schnitt neun Prozent. Man könnte diskutieren, ob ein Teil der Gehaltserhöhung für die Arbeitszeitverkürzung aufgewendet werden könnte.
Generell geben wir viel Freiheit, wie und an welchen Tagen gearbeitet wird. Es gibt zwar den Grundgedanken, drei Tage im Büro zu arbeiten, aber diese Regel ist nicht in Stein gemeißelt. In Absprache mit den Vorgesetzen existiert viel Spielraum. Teams sollen sich über essenziell wichtige Themen der Zusammenarbeit selbst verständigen. Denn jeder Bereich hat ja eine etwas andere Konstellation. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir im Zuge der Pandemie genau für diese Teamdiskussion Leitfaden, die sogenannte Team-Charta, entwickelt haben.
Wie schwer ist es denn für Sie momentan, Ihre offenen Stellen zu besetzen? Auf einer Skala von 1 bis 10?
Gefühlt war es schon immer die 10 – also eine Herausforderung, die perfekt passende Person zu finden. Aber der Einsatz, den wir leisten müssen, ist im Vergleich zu früher nochmals gestiegen. In den vergangenen Monaten waren die Bewerbungseingänge etwas spärlicher – warum, dafür habe ich keine wirkliche Erklärung. Bei den herausfordernden Stellen ist es so schwer wie eh und je: Suchen Sie beispielsweise eine/einen guten Qualitätsingenieur:in, dann suchen Sie lange. Im Großen und Ganzen sind wir ganz gut unterwegs, eine 100-prozentige Besetzungsquote schaffen wir aber nicht, sondern haben stetig ca. 60 durchwechselnde offene Stellen.
Manche setzen auf eigene Active-Sourcing-Abteilungen, Sie auch?
Da sind wir noch am Anfang. Im vergangenen Jahr haben wir unser Recruiting umstrukturiert, hin zu projektbezogenem Recruiting. Das bedeutet, dass wir nicht mehr nur Stellenanzeigen schalten und dann auf den Bewerbungseingang warten. Vielmehr ist jedem/jeder Recruiter:in nun eine Stellenbesetzung als Projekt zugeordnet, bei dem er/sie individuell entscheidet, wie er/sie die Zielgruppe am besten trifft. Das könnte dann Active Sourcing sein, aber eben auch ganz andere Wege bedeuten. Zusätzlich setzen wir im Personalmarketing und Employer-Branding auf kreative Ideen, um Alternativen für eine leichtere Stellenbesetzung zu entwickeln.
Merken Sie, dass die Absolventen in Elektrotechnik weniger werden? Ihre Zahl sinkt seit zehn Jahren.
Das ist schwer zu sagen, weil wir ja auch unsere Anstrengungen massiv aufgestockt haben. Daher haben wir gefühlt nicht mehr Auf und Ab als in der Vergangenheit.
Müssen sich Unternehmen künftig stärker in der Nachwuchsförderung engagieren, damit die Kurve bei den Anfängerzahlen nicht noch weiter nach unten geht?
Wir kooperieren vor allem in Baden-Württemberg schon länger sehr stark mit Schulen, indem wir etwa Technikunterricht anbieten. Auch Bewerbungstrainings in den Schulen gehören dazu. An Grundschulen sind wir ebenso präsent. Technikunterricht bieten wir eher an den Hochschulen in der Region, wo wir auch Lehraufträge wahrnehmen. Aber wir haben zum Beispiel eine Kooperation mit einem Wirtschaftsgymnasium, da geht es allerdings weniger um Technik. Also ja, wir suchen die Nähe zu den Schüler:innen. Viel hängt von der Bereitschaft der Schulen und Bildungsinstitute ab, sich gegenüber der Wirtschaft zu öffnen. Ziel muss sein, mehr Bewusstsein in der Gesellschaft für unsere Themen zu erzeugen, speziell auch Begeisterung für technische Themen zu wecken.
Ihr CTO Alexander Gerfer tritt häufig auf Gründermessen auf. Wirken sich denn die Startup-Aktivitäten von Würth Elektronik eiSos positiv auf die Bewerbungseingänge aus?
Mit diesen Aktivitäten wollen wir zuerst neue potenzielle Kund:innen und Märkte unterstützen. Tatsächlich haben wir aber auch die eine oder andere Person für uns gewinnen können. Die Offenheit dafür ist von unserer Seite immer da. Aber es ergibt sich zugegebenermaßen sehr selten.
Es gibt immer mehr sogenannte Bindestrich-Studiengänge. Kritiker befürchten, dass damit die Anforderungen im anspruchsvollen E-Technik-Studium heruntergeschraubt werden. Ist durch den Fachkräftemangel bei Würth Elektronik die Bereitschaft gestiegen, fachliche Lücken bei Bewerbern selbst zu schließen?
Das haben wir schon immer praktiziert und sind darauf auch stolz, weil das ein Kennzeichen unserer Unternehmenskultur ist. Bei uns ist der Mensch wichtig, seine Qualifikation ist nur eine Momentaufnahme, und wir müssen sie oder ihn bei der stetigen Entwicklung der Kompetenzen unterstützen. Das Interessante an den Bindestrich-Fächern ist ja, dass sie in der Lage sind, Brücken zu schlagen – beispielsweise zwischen Technik und Wirtschaft. Aber an manchen Stellen brauche ich dennoch echte Spezialist:innen, da macht es dann auch keinen Sinn, nach einem/einer Wirtschaftsingenieur:in zu gucken.
Das heißt?
Das heißt, dass man da keine Kompromisse macht. Es gibt eben die Stellen, bei denen es mehr ums Fachliche geht. Meine persönliche Meinung ist, dass primär der Mensch zählt – jetzt klinge ich wie ein Sozialwissenschaftler, der ich ja auch bin. Ich glaube fest daran, dass, wenn wir die richtigen Menschen haben, wir auch die richtigen Qualifikationen anziehen und für uns gewinnen. Bisher funktioniert das erfolgreich, seit ich vor 16 Jahren bei Würth Elektronik angefangen habe.
Rekrutieren Sie auch im Ausland, wenn die Stellen hierzulande nicht besetzt werden können?
Tatsächlich haben wir damit seit der Wirtschaftskrise gewisse Erfahrung. Nach 2009 hatten wir einen extremen Bedarf an Ingenieur:innen, aber in Deutschland war Vollbeschäftigung. Nicht so in Spanien. Wir konnten eine ganze Gruppe von Spanier:innen für unsere Produktentwicklung rekrutieren. Nach ein paar Jahren aber war bei ihnen die Sehnsucht nach der Heimat so groß, dass wir eine Betriebsstätte in Barcelona gründeten. Diese hat inzwischen auch noch einen Ableger in Valencia bekommen. Und tatsächlich, seitdem gibt es immer wieder Wechsel aus Spanien nach Deutschland, vornehmlich in die Entwicklung nach Waldenburg. Hier nach München kommen überdurchschnittlich viele Inder:innen. Wir schreiben eine Stelle aus und haben sofort fünf Bewerbungen direkt aus Indien.
Wie kommt das?
Viele Inder:innen haben den Weg über ihr Studium in Deutschland zu uns gefunden. Aber wie gesagt, explizit im Ausland rekrutieren wir nicht. Denn ob jemand, der im Ausland lebt, sich tatsächlich vorstellen kann, wie es ist, in Deutschland zu wohnen, ist unklar. Stattdessen versuchen wir, hier Ansässige zu gewinnen. Durch unsere Unternehmenskultur, die auf gegenseitigem Interesse und Verständnis basiert, gelingt es uns, auch diese Kolleg:innen recht gut zu integrieren.
Was erhoffen Sie sich dann vom neuen Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz?
Dass die Gesellschaft sich mehr öffnet, internationaler wird. Dass Diversity auch weltweit Einzug hält. Deutschland ist ein attraktives Land, und das werden viele Leute wahrscheinlich nutzen – den Mangel wird das abmildern. Sicher scheint, dass wir 600.000 Fachkräfte insgesamt durch Renteneintritt verlieren. Aber gleichzeitig werden wir auch eine Umverteilung im restlichen Arbeitsmarkt haben – auf die Tätigkeiten, auf die es in Zukunft ankommt, und weg von denen, die wir in Zukunft weniger brauchen. Das wird sich sukzessive entwickeln und kann man mit dem Gesetz nur in einem gewissen Rahmen unterstützen.
Mit Zuwanderung wird auch mehr Integrationsarbeit auf die Unternehmen zukommen.
Wir als Unternehmen leisten in diesem Bereich bereits gute Arbeit. Indem wir Deutschkurse anbieten, dass wir Kolleg:innen, zum Teil auch Spezialist:innen, damit beschäftigen, die Neuen von Anfang an zu begleiten, sodass sie sich hier zurechtfinden. Unser Engagement für diese Integrationsarbeit zahlt sich dann durch die Zufriedenheit und Loyalität der ausländischen Mitarbeitenden aus.
(Interview: Corinne Schindlbeck)