Baustelle 1: Europa muss Wirtschaftsstandort stärken
Aus der Sicht von Kegel muss Europa eine aktivere Industriepolitik leisten, um Europa als Spitzentechnologiestandort attraktiver zu machen. Europas Anteil an der weltweiten Halbleiterfertigung liegt unter 10 Prozent, die europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Anteil auf 20 Prozent zu erhöhen. Wie das genau geschehen soll, ist immer noch unklar, denn bislang wurde immer noch keine Einigung darüber erzielt, in welchen Bereichen die Fertigung ausgebaut werden soll. Geht es um die Technologien, in denen die Europäer bislang Spitzenreiter sind, was früher immer als More than Moore bezeichnet wurde, oder geht es um »More Moore«, was Kegel mit Sub-10-nm umschreibt?Bei Sub-10-nm besteht das Problem, dass die Nachfrage aus Europa nach diesen Bausteinen bislang nicht übermäßig groß ist, was Kegel dazu bringt, zu fordern, dass Europa auch dahingehend aktiv werden muss, die Industrien zu fördern, die den Verbrauch nach modernsten Halbleitern steigert - nur Subventionen ohne Nachhaltigkeit ist seiner Meinung nach sinnlos. Er fordert außerdem, dass die europäischen Chip-Projekte umgesetzt werden, damit »wenigsten die 10 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt werden, die unser früherer Wirtschaftsminister Altmaier versprochen hatte.« Wobei er natürlich auch anmerkt, dass dieser Betrag mit den Aufwendungen, die andere Regionen leisten, leider überhaupt nicht vergleichbar ist, egal ob China, Südkorea, Japan oder die USA, alle Regionen nehmen weit mehr Geld in die Hand, um die Ansiedlung der Halbleiterindustrie in der eigenen Region zu fördern. Dennoch: »Europa darf keine einseitigen Abhängigkeiten entstehen lassen«, so Kegel weiter. Und trotz der sehr begrenzten Mittel fordert er auch, dass sich Europa nicht nur auf Sub-10-nm-Technologien fokussieren sollte, »sondern wir müssen auch die Technologien fördern, in denen Europa stark ist, sprich Leistungshalbleiter. Beides ist wichtig«, so Kegel.
Baustelle 2: Normierung
Auch bei der Normierung sieht Kegel Probleme, denn mittlerweile wäre der Normierungsprozess aufgrund zu vieler Interessensgruppen zu langsam geworden. Auch hier müsse Europa aufpassen, nicht noch weiter hinter USA und vor allem nicht hinter China zurückzufallen. Das größte Problem ist seiner Meinung nach die EU selbst. Denn mit dem »James-Elliot-Urteil« habe die EU angefangen, sich in die Normierung einzumischen. Kegel erklärt, dass es durchaus berechtigt ist, dass die EU mitmischen möchte, allerdings fordert er, dass dies nicht sequentiell erfordern sollte. Der Prozess, erst die technische Normung abzuschließen und danach eine Überprüfung hinsichtlich Rechtsicherheit und -konformität durchzuführen, dauere einfach zu lange. Die Überprüfung müsse in das Normierungsverfahren inkludiert werden. Laut Kegel hat der ZVEI auch entsprechende Anträge bei der EU gestellt, in Kürze würde sich zeigen, was von den Vorschlägen übernommen wird. Kegel betont aber nochmals: »Hier dürfen wir nicht an Bedeutung verlieren.«
Baustelle 3: Fachkräftemangel
»Wir müssen Fachkräfte in Deutschland ausbilden und nach Deutschland holen,« erklärt Kegel weiter. Wenn die Bundesregierung ihr Ziel, bis zum Jahr 2045, klimaneutral zu werden, halten will, führe daran kein Weg vorbei. Bislang seien die Bemühungen, mehr Menschen in die Elektrotechnik zu ziehen, nur geringfügig erfolgreich, die Zahlen der Studenten steige zwar, aber nur sehr gering. Dazu kommt noch das Problem, dass in den nächsten Jahren »die Baby-Boomer Zug um Zug in den Ruhestand gehen. Die Lücke wird in den nächsten Jahren also noch viel größer, auf 6 bis 7 Absolventen treffen mittlerweile 10 Arbeitnehmer, die in den Ruhestand gehen«, so Kegel weiter. Und er betont weiter: Dieses Problem betrifft keinesfalls nur die Unternehmen selbst. Denn in dem Punkt ist er sich sicher, wenn die Industrie in Deutschland keine gut ausgebildeten Mitarbeiter findet, wird sie sich an anderen Standorten umschauen, um dieses Problem zu lösen. Kegel: »Es ist also auch aus volkswirtschaftlicher Hinsicht für Deutschland überaus wichtig, dieses Problem zu lösen.«
Baustelle 4: Digitalisierung und Elektrifizierung vorantreiben
Aus der Sicht von Dr. Wolfgang Weber, Vorsitzender der Geschäftsführung ZVEI, liest sich der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung wie die Blaupause für die Realisierung der »All Electric Society«. Zur Erinnerung: Im letzten Jahr hatte der ZVEI erklärt, dass die beschlossenen Klimaziele sehr ambitioniert seien und dass die »All-Electric-Society«, also die konsequente Elektrifizierung und Digitalisierung, der Schlüssel sei, um dieses Ziel zu erreichen. Weber betont nochmals: »Um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, muss die Elektrifizierung mit durchgängiger Kopplung der klimarelevanten Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Mobilität jetzt entschlossen angegangen werden.« Bei intelligenter Verbindung und direkter Nutzung könne erneuerbarer Strom nicht nur eine zunehmend CO2-freie Energieversorgung ermöglichen, sondern auch hohe Energieeffizienzpotenziale generieren. »Durch Elektrifizierung kann der Primärenergiebedarf bis 2045, dem Zieljahr für Klimaneutralität, um mehr als 40 Prozent gesenkt werden«, betont Weber. Die Industrie sei bereit dazu, die Technologien stünden zur Verfügung. »Die Unternehmen investieren pro Jahr knapp 20 Mrd. Euro in Forschung und Entwicklung, das sind fast 10 Prozent des Umsatzes«, so Weber weiter.
Weber sieht drei Bereiche, in denen Fortschritte erzielt werden müssen, um die Klimaziele zu schaffen: