ZVEI: Elektro- und Digitalindustrie

Gute Zahlen, aber viele Baustellen

24. Januar 2022, 12:53 Uhr | Iris Stroh
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Probleme, die gelöst werden müssen

Baustelle 1: Europa muss Wirtschaftsstandort stärken

Aus der Sicht von Kegel muss Europa eine aktivere Industriepolitik leisten, um Europa als Spitzentechnologiestandort attraktiver zu machen. Europas Anteil an der weltweiten Halbleiterfertigung liegt unter 10 Prozent, die europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Anteil auf 20 Prozent zu erhöhen. Wie das genau geschehen soll, ist immer noch unklar, denn bislang wurde immer noch keine Einigung darüber erzielt, in welchen Bereichen die Fertigung ausgebaut werden soll. Geht es um die Technologien, in denen die Europäer bislang Spitzenreiter sind, was früher immer als More than Moore bezeichnet wurde, oder geht es um »More Moore«, was Kegel mit Sub-10-nm umschreibt?Bei Sub-10-nm besteht das Problem, dass die Nachfrage aus Europa nach diesen Bausteinen bislang nicht übermäßig groß ist, was Kegel dazu bringt, zu fordern, dass Europa auch dahingehend aktiv werden muss, die Industrien zu fördern, die den Verbrauch nach modernsten Halbleitern steigert - nur Subventionen ohne Nachhaltigkeit ist seiner Meinung nach sinnlos. Er fordert außerdem, dass die europäischen Chip-Projekte umgesetzt werden, damit »wenigsten die 10 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt werden, die unser früherer Wirtschaftsminister Altmaier versprochen hatte.« Wobei er natürlich auch anmerkt, dass dieser Betrag mit den Aufwendungen, die andere Regionen leisten, leider überhaupt nicht vergleichbar ist, egal ob China, Südkorea, Japan oder die USA, alle Regionen nehmen weit mehr Geld in die Hand, um die Ansiedlung der Halbleiterindustrie in der eigenen Region zu fördern. Dennoch: »Europa darf keine einseitigen Abhängigkeiten entstehen lassen«, so Kegel weiter. Und trotz der sehr begrenzten Mittel fordert er auch, dass sich Europa nicht nur auf Sub-10-nm-Technologien fokussieren sollte, »sondern wir müssen auch die Technologien fördern, in denen Europa stark ist, sprich Leistungshalbleiter. Beides ist wichtig«, so Kegel.

Baustelle 2: Normierung

Auch bei der Normierung sieht Kegel Probleme, denn mittlerweile wäre der Normierungsprozess aufgrund zu vieler Interessensgruppen zu langsam geworden. Auch hier müsse Europa aufpassen, nicht noch weiter hinter USA und vor allem nicht hinter China zurückzufallen. Das größte Problem ist seiner Meinung nach die EU selbst. Denn mit dem »James-Elliot-Urteil« habe die EU angefangen, sich in die Normierung einzumischen. Kegel erklärt, dass es durchaus berechtigt ist, dass die EU mitmischen möchte, allerdings fordert er, dass dies nicht sequentiell erfordern sollte. Der Prozess, erst die technische Normung abzuschließen und danach eine Überprüfung hinsichtlich Rechtsicherheit und -konformität durchzuführen, dauere einfach zu lange. Die Überprüfung müsse in das Normierungsverfahren inkludiert werden. Laut Kegel hat der ZVEI auch entsprechende Anträge bei der EU gestellt, in Kürze würde sich zeigen, was von den Vorschlägen übernommen wird. Kegel betont aber nochmals: »Hier dürfen wir nicht an Bedeutung verlieren.«

Baustelle 3: Fachkräftemangel

»Wir müssen Fachkräfte in Deutschland ausbilden und nach Deutschland holen,« erklärt Kegel weiter. Wenn die Bundesregierung ihr Ziel, bis zum Jahr 2045, klimaneutral zu werden, halten will, führe daran kein Weg vorbei. Bislang seien die Bemühungen, mehr Menschen in die Elektrotechnik zu ziehen, nur geringfügig erfolgreich, die Zahlen der Studenten steige zwar, aber nur sehr gering. Dazu kommt noch das Problem, dass in den nächsten Jahren »die Baby-Boomer Zug um Zug in den Ruhestand gehen. Die Lücke wird in den nächsten Jahren also noch viel größer, auf 6 bis 7 Absolventen treffen mittlerweile 10 Arbeitnehmer, die in den Ruhestand gehen«, so Kegel weiter. Und er betont weiter: Dieses Problem betrifft keinesfalls nur die Unternehmen selbst. Denn in dem Punkt ist er sich sicher, wenn die Industrie in Deutschland keine gut ausgebildeten Mitarbeiter findet, wird sie sich an anderen Standorten umschauen, um dieses Problem zu lösen. Kegel: »Es ist also auch aus volkswirtschaftlicher Hinsicht für Deutschland überaus wichtig, dieses Problem zu lösen.«

Baustelle 4: Digitalisierung und Elektrifizierung vorantreiben

Aus der Sicht von Dr. Wolfgang Weber, Vorsitzender der Geschäftsführung ZVEI, liest sich der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung wie die Blaupause für die Realisierung der »All Electric Society«. Zur Erinnerung: Im letzten Jahr hatte der ZVEI erklärt, dass die beschlossenen Klimaziele sehr ambitioniert seien und dass die »All-Electric-Society«, also die konsequente Elektrifizierung und Digitalisierung, der Schlüssel sei, um dieses Ziel zu erreichen. Weber betont nochmals: »Um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, muss die Elektrifizierung mit durchgängiger Kopplung der klimarelevanten Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Mobilität jetzt entschlossen angegangen werden.« Bei intelligenter Verbindung und direkter Nutzung könne erneuerbarer Strom nicht nur eine zunehmend CO2-freie Energieversorgung ermöglichen, sondern auch hohe Energieeffizienzpotenziale generieren. »Durch Elektrifizierung kann der Primärenergiebedarf bis 2045, dem Zieljahr für Klimaneutralität, um mehr als 40 Prozent gesenkt werden«, betont Weber. Die Industrie sei bereit dazu, die Technologien stünden zur Verfügung. »Die Unternehmen investieren pro Jahr knapp 20 Mrd. Euro in Forschung und Entwicklung, das sind fast 10 Prozent des Umsatzes«, so Weber weiter.

Weber sieht drei Bereiche, in denen Fortschritte erzielt werden müssen, um die Klimaziele zu schaffen:

  • Netzausbau: Dieser sei seit Jahren vernachlässigt worden und müsse jetzt wieder vorangetrieben werden. »Ohne ein leistungsstarkes, digitalisiertes Stromnetz kann die Energiewende nicht gelingen«, so Weber. Für eine effizientere Netzauslastung müsste auf allen Spannungsebenen digitalisiert werden. Deshalb wäre die Einführung eines Smart Grid Readiness Indicator wichtig und eine Netzentgeltreform notwendig, die einerseits beispielsweise flexiblen Verbrauch belohnt, andererseits aber auch die Versorgung sichert und gleichzeitig zu hohe Netzentgelte vermeidet. Hier müsse die Regierung schneller werden, denn wenn die Elektrifizierung funktioniert, dann steigt der Strombedarf: Bis 2030 sollen es nach Aussage von Weber dann 700 TWh sein, also 50 Prozent mehr als heute.
  • Gebäudesanierung: Laut Weber entspricht derzeit nur ein Viertel des Gebäudebestands in Deutschland energetischen Anforderungen. »Der Großteil der Gebäude ist nicht Energiewende-fähig, die Sanierungsquote zu gering und die Elektroinstallationen sind häufig museumsreif«, so Weber. Die Sanierungsrate muss seiner Meinung nach auf mindestens 3 Prozent bei Heizungen und 6 Prozent bei der Beleuchtung steigern. Weber erklärt außerdem, dass aufgrund der unterschiedlichen Eigentümerstrukturen, einschließlich Privatperson und Wohnungsbaugesellschaften, ein ausgeklügeltes Anreizprogramm geschaffen werden muss, damit in die Gebäudesanierung investiert wird. Außerdem müsste die Bundesregierung auf die Strompreise achten, denn nur dann wird die Elektrifizierung attraktiv. Darüber hinaus fordert er, dass die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen und ihre eigenen Gebäude sanieren sollte. Und weiter: »Energiemanagementsysteme für Wohngebäude und auch für Nicht-Wohngebäude sollten gefördert werden.«
  • Mobilität: »Zwischen 2020 und 2021 hat sich die Anzahl von E-Fahrzeugen, also reine BEVs und Hybridfahrzeuge verfünffacht. Bis 2030 sollen es 15 Mio. Fahrzeuge sein. Was nicht nachkommt, ist die Ladeinfrastruktur. 2017 gab es 17 Fahrzeuge auf eine öffentliche Ladestation, letztes Jahr waren es schon 21, das geht in die völlig falsche Richtung. Das Ziel liegt bei 10:1, also muss die Bundesregierung alles tun, damit der Ausbau so einfach wie möglich wird, und auch die Nutzung einfach machen. Beispielsweise muss ein Roaming eingeführt werden. Und wir sind der Überzeugung, dass der knappe Wasserstoff nicht für den Pkw-Sektor, sondern für Flugzeuge, Schiffe, Lkws und die Industrie genutzt werden sollte.«

  1. Gute Zahlen, aber viele Baustellen
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