Die EU-Kommission geht in ihrer Winterprognose zum Wirtschaftswachstum in der EU davon aus, dass die EU-Wirtschaft nach einem Wachstum von 5,3 Prozent im letzten Jahr auch in diesem Jahr und im nächsten Jahr wachsen wird: 2022 um 4,0 Prozent, 2023 um 2,8 Prozent.
Die Zuversicht basiert auf mehreren Annahmen. So erklärt Valdis Dombrovskis, Executive Vice-President: „Dank erfolgreicher Impfkampagnen und koordinierter wirtschaftspolitischer Unterstützung hat die europäische Wirtschaft nun den Boden wiedererlangt, den sie auf dem Höhepunkt der Krise verloren hatte. Die Arbeitslosigkeit ist auf ein Rekordtief gesunken. Dies sind bedeutende Erfolge. Da die Pandemie noch andauert, besteht unsere unmittelbare Herausforderung darin, die Erholung auf Kurs zu halten.« Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni wiederum ist überzeugt, dass sich die bestehenden Probleme, die die europäische Wirtschaft in diesem Winter gebremst haben, sprich rasche Ausbreitung von Omikron, eine gestiegene Inflation aufgrund steigender Energiepreise und anhaltende Lieferkettenunterbrechungen, allmählich abschwächen werden, so dass sich das Wachstum bereits in diesem Frühjahr wieder beschleunigen sollte. Der hohe Preisdruck wird laut EU-Kommission bis zum Sommer anhalten, danach dürfte die Inflation aber im Zuge des nachlassenden Energiepreisanstiegs und des Abbaus der Versorgungsengpässe zurückgehen. Aber: Die Ungewissheit und die Risiken sind weiterhin hoch.
Nicht so gelaufen wie erwartet
Die kräftige Wiederbelebung, die im Frühjahr letzten Jahres einsetzte und sich bis zum Frühherbst unvermindert fortsetzte, hatte dazu geführt, dass die EU im dritten Quartal 2021 ihr BIP-Niveau von vor der Pandemie erreichte. Aber die Wachstumsdynamik hat sich in der EU den Schätzungen zufolge von 2,2 Prozent im 3. Quartal auf 0,4 Prozent im 4. Quartal 2021 abgeschwächt. Zwar wurde bereits in der Herbstprognose 2021 eine Verlangsamung prognostiziert, doch diese fiel stärker aus als erwartet. Die Ursache dafür sind die bereits beschriebenen Probleme, insbesondere der Anstieg der COVID-19-Infektionen, die hohen Energiepreise und die anhaltenden Lieferausfälle.
Auch aus heutiger Sicht wird das Wachstum nach wie vor maßgeblich von der Pandemie beeinflusst. Viele EU-Länder stehen unter dem Druck, der sich aus der zunehmenden Belastung der Gesundheitssysteme und der durch Krankheit, vorsorgliche Quarantäne und Pflegebedarf bedingten Personalknappheit ergibt. Auch Logistik- und Versorgungsengpässe, beispielsweise in Bezug auf Halbleiter und einige Metalle, dürften die Produktion zumindest während der ersten Jahreshälfte weiter belasten. Außerdem wird erwartet, dass die Energiepreise länger auf hohem Niveau bleiben werden als in der Herbstprognose erwartet und somit die Wirtschaft länger bremsen und den Inflationsdruck erhöhen werden.
Probleme sollen sich verringern
In der jetzigen Prognose geht die EU-Kommission davon aus, dass die durch die aktuelle Infektionswelle verursachte Belastung der Wirtschaft von kurzer Dauer sein wird. Darüber hinaus soll die Wirtschaftstätigkeit im Zuge einer Normalisierung der angebotsseitigen Bedingungen und des nachlassenden Inflationsdrucks wieder anziehen. Über die kurzfristigen Turbulenzen hinaus seien die Fundamentalfaktoren für diese expansive Phase nach wie vor robust. Der sich kontinuierlich verbessernde Arbeitsmarkt, die hohen Ersparnisse der Haushalte, die nach wie vor günstigen Finanzierungsbedingungen und die vollständige Inanspruchnahme der Aufbau- und Resilienzfazilität dürften eine länger anhaltende, kräftige Expansionsphase unterstützen.
Prognose für die Inflation korrigiert – 2023 wieder normal
Die Inflationsprognose wurde gegenüber der Herbstprognose erheblich nach oben korrigiert. Dies spiegelt die Auswirkungen hoher Energiepreise, aber auch die Ausweitung des Inflationsdrucks auf andere Warenkategorien seit dem Herbst wider.
Nach dem im 4. Quartal 2021 verzeichneten Rekordniveau von 4,6 Prozent wird die Inflation im Euro-Währungsgebiet den Projektionen zufolge im 1. Quartal 2022 mit 4,8 Prozent ihren Höchststand erreichen und bis zum 3. Quartal auf einem Wert von über 3 Prozent bleiben. In dem Maße wie der von den Lieferengpässen und hohen Energiepreisen ausgehende Druck nachlässt, dürfte die Inflation im letzten Quartal auf 2,1 Prozent sinken und im Jahr 2023 das 2-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank unterschreiten.
Der Jahresdurchschnittswert der Inflation wird im Euro-Währungsgebiet von 2,6 Prozent im Jahr 2021 (2,9Prozent in der EU) auf 3,5 Prozent im Jahr 2022 (3,9Prozent in der EU) steigen und im Jahr 2023 auf 1,7 Prozent (1,9Prozent in der EU) zurückgehen.
Hintergrund
Mit der Winterprognose 2022 wird die Herbstprognose 2021 vom November 2021 zur BIP- und Inflationsentwicklung in allen EU-Mitgliedstaaten auf den neuesten Stand gebracht.
Die Prognose basiert auf einer Reihe technischer Annahmen über Wechselkurse, Zinssätze und Rohstoffpreise mit Stichtag 27. Januar. Bei allen anderen herangezogenen Daten, auch den Annahmen zu staatlichen Maßnahmen, wurden Informationen bis einschließlich 1. Februar berücksichtigt.
Die Europäische Kommission veröffentlicht jedes Jahr zwei umfassende Prognosen (im Frühjahr und im Herbst) und zwei Zwischenprognosen (im Winter und im Sommer). Die Zwischenprognosen enthalten jährliche und vierteljährliche BIP- und Inflationszahlen für das laufende und das folgende Jahr für alle Mitgliedstaaten sowie die aggregierten Zahlen für die EU insgesamt und für das Euro-Währungsgebiet.
Als nächste Prognose wird die Europäische Kommission voraussichtlich im Mai 2022 ihre Frühjahrsprognose 2022 vorlegen.