Kontaktloses Bezahlen

CIPURSE vs. Mifare: Wer setzt sich durch?

28. November 2013, 9:11 Uhr | Erich Schenk

Derzeit sind Mifare-basierende Smartcard-Systeme für kontaktlose Fahrkarten und andere Tickets Quasi-Standard. Der Trend hin zu kombinierten Transport- und Zahlungs- bzw. Ausweisfunktionen erfordert jedoch zunehmend flexiblere, sicherere und vor allem interoperable Lösungen. Hier will nun der offene Standard CIPURSE der OSPT Alliance (Open Standard for Public Transportation) rasch Boden gut machen.

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Als offener Standard ursprünglich für flexible und kontaktlose Transport- und Ticketing-Systeme konzipiert, »lässt sich CIPURSE aber auch für Identifikations- oder Zahlungsfunktionen in mobilen Endgeräten oder gar in Multiapplikationskarten einsetzen«, betont Stefan Hofschen, Leiter der Division Chip Card&Security von Infineon Technologies. Die Umsetzung von Multiapplikationen »ist mit CIPURSE technisch schon jetzt machbar«, es stelle sich letztlich aber die Frage, wer Herausgeber der Smartcard ist. Sobald eine Kreditkartenfunktion eingebaut sei, komme wegen der Haftung heute oft nur eine Bank in Frage, weil sie in der Regel die Kontrolle über die Karte behalten wolle. Solche Multiapplikationen lassen sich neben Smartcards auch via Smartphones mit NFC-Funktion (Near Field Communication) realisieren, auch wenn es derzeit noch keine App dafür gibt.

Von heute auf morgen wird die großflächige Einführung von Multiapplikationen nicht erfolgen: »Es wird dauern, aber der Trend ist da und CIPURSE beginnt sich zu etablieren«, ist Hofschen zuversichtlich und ergänzt: »Unsere Chiplösungen, die sowohl Mifare-Classic- als auch CIPURSE-kompatibel sind, werden eine reibungslose Umstellung heutiger Systeme auf den CIPURSE-Standard ermöglichen«. Wichtig sei im übrigen für den Markterfolg auch der Aspekt, dass für CIPURSE »äußerst geringe, für jedes Unternehmen und jede Anwendung gleich hohe Lizenzbeträge« zu entrichten sind - es fällt für Vollmitglieder nur ein an die OSPT Alliance jährlich zu zahlender Beitrag in Höhe von 5000 Euro an, Associate Members bezahlen gar nichts.

Für Jörg Suchy, Associate Director Smartcard and NFC Business Development bei Samsung Semiconductor Europe, hat ein offener Standard wie CIPURSE mehrere Vorteile: »Der Kunde ist unabhängig bezüglich des Chiplieferanten und des Betriebssystems.« Außerdem werden für die verschiedenen Varianten von CIPURSE nicht wie bei Mifare jeweils passende Chip-Typen benötigt. Bedingung ist lediglich, dass der Controller leistungsfähig genug ist für den Kryptographie-Algorithmus AES128. Überdies kämen unterschiedliche Formfaktoren (kontaktlos oder direkt auf der SIM-Karte mit der Wallet-Funktion) in Frage. Für eine raschere Marktdurchdringung setzt Samsung auf eine 2-Wege-Strategie: das Smartphone mit NFC-Funktion und die kontaktlose Karte, wobei derzeit der Fokus auf letzterer liegt, »um die Anwender mit den kontaktlosen Anwendungen fürs Bezahlen schon einmal vertraut zu machen«. Falls es um eine Multifunktionskarte gehe mit Payment-Funktion à la Kreditkarte, fordere die EMV-Spezifikation allerdings das Dual-Interface (kontaktlos/kontaktbehaftet).

Als weiteren Pluspunkt pro CIPURSE führt Suchy an, dass »die konkurrierenden Systeme solange koexistieren können, wie die ISO 14443 gültig ist«. CIPURSE könne im Zuge der Migration die vorhandene Mifare-Infrastruktur erst einmal nutzen, sofern erforderlich bei den Readern aber relativ kostengünstig ein Upgrade für mehr Sicherheit durchführen. Weil sich im übrigen immer mehr Partner der OSPT Alliance (derzeit sind es rund 30 Mitglieder) anschließen, gebe es auch zunehmend mehr Implementierungsmöglichkeiten. Hier könnte die Deutsche Telekom als neues OSPT-Mitglied mit »konkreten Plänen« (Wallet-Funktion der SIM-Karte unter CIPURSE) für einen Push sorgen. Berücksichtige man, dass es die OSPT erst seit 3 Jahren gibt und »wir folglich sehr spät angefangen haben, ist inzwischen etwas aufgebaut, was vorher so nicht machbar war«. Und weil bei CIPURSE »alles in Java« realisierbar sei und nicht in Hardware gegossen werden müsse, gewährleiste dies eine schnelle Entwicklung neuer Anwendungen. Last but not least, so Suchys Überzeugung, werde CIPURSE auch NFC beflügeln und endlich für deren Durchbruch im Massenmarkt sorgen.

NXPs Strategie gilt verständlicherweise angesichts der derzeitigen Dominanz ohne Wenn und Aber der Mifare-Plattform, stellt Martin Liebl, Head of Product Management Product Line Automatic Fare Collection bei NXP, klar: »CIPURSE ist für uns keine Plattform, in die wir investieren wollen, wir setzen auf Mifare.« Um dem Aspekt Multiapplikationsfähigkeit noch besser Rechnung zu tragen, gibt es für Mifare-Desfire die neue Evolutionsstufe Desfire EV2. Sie vereinfacht die Business-Modelle der Kunden: »Der Kartenherausgeber behält die vollen Rechte an der Karte, muss aber nicht wissen, welche Applikationen später hinzukommen.« Erreicht wurde dies durch eine »bessere Platzverwaltung, die im Nachhinein flexibel vermietet werden kann«. Behalten die Marktforscher von IHS recht, wird sich an der Dominanz von Mifare in den kommenden 5 Jahren nichts Grundlegendes ändern: Auch 2018 liegen CIPURSE-Lösungen der Prognose zufolge immer noch »deutlich hinter« Mifare-basierenden Applikationen.

Gab es auf der Cartes in den beiden vergangenen Jahren kaum einen Stand, der das Thema NFC nicht geradezu plakativ dem Messebesucher nahe bringen wollte, übten sich die Aussteller 2013 diesbezüglich großteils sehr zurückhaltend. Eine Ausnahme war STMicroelectronics, an dessen Stand sich (fast) alles um NFC drehte. Dass NFC entgegen der Erwartung immer noch nicht den des öfteren prognostizierten Durchbruch im Massenmarkt geschafft hat, liegt Michelle Scarlatella, Marketing Director bei ST, »am komplexen NFC-Ökosystem«. Doch nun sehe man in vielen Ländern Projekte »mit Asien als Vorreiter und nun auch in Europa«. CIPURSE wird nicht unterstützt, ST ist auch kein Mitglied der OSPT Alliance. Um NFC zu forcieren, setzt man weiterhin auf das Mobile-Payment-System ISIS, das für NFC-fähige Geräte wie Smartphones und Tablet-PCs konzipiert worden ist.


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