Eine weitere Herausforderung in der Bewertung von Abkündigungen bzw. PCN-Daten liegt darin, den (kosten-)optimalen Zeitpunkt für Re-Designs zu ermitteln. Re-Designs können je nach Umfang und Komplexität der Baugruppe sehr teuer und zeitintensiv werden. Die Ermittlung des idealen Zeitpunkts erfordert viele Daten, die teilweise nicht einfach zu bekommen sind oder wie im Fall von Verfügbarkeitsprognosen auch eine gewisse Unwägbarkeit beinhalten. Wer kann zum Beispiel genau vorhersagen, ob ein Hersteller in den nächsten drei bis fünf Jahren übernommen wird? Die Prognosen in Bauteiledatenbanken sind bei Verfügbarkeitsberechnungen hilfreich. Sie basieren auf Algorithmen, in denen auch statistische Daten einfließen.
»Zum einen sind diese Algorithmen relativ simple Modelle, die versuchen, eine sehr komplexe Wirklichkeit so gut wie möglich nachzubilden. Zum anderen werden statistische Daten immer aus einem Kollektiv erhoben. Entsprechend sind die Ergebnisse im Prinzip auch immer nur für ein Kollektiv wirklich aussagekräftig. So sagt beispielsweise ein Anbieter von Lifecycle Informationen, dass in den letzten Jahren 90 % der EOL-Vorhersagen zugetroffen haben. Das ist ein wirklich guter Wert. Das bedeutet aber auch, dass 10 Prozent der Vorhersagen falsch waren«, gibt Dieter Paatsch zu bedenken, zuständig für die Product Compliance bei Festo. »Das Problem dabei ist, das man vorher eben nicht wissen kann, bei welchen Bauteilen die Vorhersagen nicht zutreffend sind. Daraus ergibt sich bei geplanten Re-Designs das Dilemma, dass man aufgrund von Prognosen Re-Designs plant und möglicherweise die Bauteile am Ende überhaupt nicht abgekündigt werden. Man hätte in diesem Fall eine Menge Geld in den Sand gesetzt.« Um in solchen Fällen die Datensicherheit zu erhöhen, zieht Zollner Elektronik nach Auskunft von Ludwig Hiebl die Angaben von zwei Bauteile-Datenbanken zurate und sichert diese Daten mit Marktinformationen ab. »Darüber hinaus stehen uns Mitarbeiter mit Know-how und Erfahrung zur Verfügung. Auch deshalb ist eine zuverlässige Einschätzung des Risikos möglich. Zugleich schlagen wir sinnvolle Alternativen vor. Allein der Alternativvorschlag aus einer Bauteiledatenbank ist oft nicht sinnvoll, insbesondere dann nicht, wenn das Bauteil keine gute Marktverfügbarkeit hat. Und eine technische Alternative laut Datenblatt nützt nichts, wenn das Bauteil nur auf Kundenwunsch mit langer Lieferzeit produziert wird«, schildert Hiebl. Im Idealfall lässt man sich den garantierten Lieferzeitraum vertraglich zusichern. Das wird in der Praxis beim Hersteller jedoch eher selten zu erreichen sein.
Daten, Erfahrung und Kommunikation
DIE eine Obsolescence-Management-Lösung gibt es sicher nicht. So facettenreich wie die Herausforderungen sind auch die Lösungswege an verschiedenen Stellen der Lieferkette: »Wir haben bei TQ Systems seit Jahren eine gut etablierte Obsolescence-Management-Abteilung und eingeschwungene Prozesse, somit sehen wir der Zukunft unbesorgter als noch vor einigen Jahren entgegen. Dennoch analysieren wir kontinuierlich die Lieferketten und belohnen Lieferanten im Rahmen eines Award-Programmes für die Bereitschaft, langfristig unverändert zu liefern«, unterstreicht Ermel. Somit herrsche nach Auskunft von Stefanie Kölbl eine enge Zusammenarbeit mit der hausinternen Entwicklungs-Abteilung, um bereits in frühen Phasen des Produktlebenszyklus optimale Bauteile aussuchen zu können, oder mit dem Einkauf zur Abstimmung über geeignete, kooperierende Lieferanten.
Bei Zollner werden sämtliche Abkündigungen zentral erfasst und gegen den gesamten Materialstamm aller Kunden referenziert. »Wir verwenden dazu die Gesamtliste aller Hersteller-Teilenummern aus der Original-PCN. Die Angaben des Distributors sind sozusagen redundant und stellen nur eine zusätzliche Sicherheit dar, dass tatsächlich auch die von ihm in der Vergangenheit konkret gelieferten Teile erfasst wurden. Mit diesem Vorgehen können wir in vielen Fällen Abkündigungen von Teilen identifizieren, die oft schon mehr als fünf Jahre nicht mehr eingekauft wurden. Sämtliche LTB-Daten übernehmen wir direkt ins SAP-System. Sie sind damit für alle weiteren Beteiligten jederzeit klar ersichtlich. Damit sind diese Informationen auch nach Jahren noch automatisiert auswertbar und verschwinden nicht in einer Datenbank, die keiner mehr beachtet«, erläutert Hiebl. Zusätzlich werden Schlüsselkomponenten für Kunden mit Langläuferbaugruppen gezielt proaktiv überwacht. Dadurch reduziert Zollner das Risiko von nicht erfassten Abkündigungen nochmals deutlich. »Für die betroffenen Baugruppen werden in Absprache mit den Kunden die relevanten Bauteile ermittelt, um die Datenmengen auf eine vernünftiges Maß zu reduzieren«, so Hiebl.
Als COG-Mitglied weiß Würth Elektronik eiSos, was die Kunden von einem Bauelemente-Hersteller erwarten, und hat Produktgruppen im Vertriebsprogramm, die bei Wettbewerbern längst nicht mehr existieren. »Das ist unter anderem das „more than you expect“, das wir unseren Kunden anbieten können«, so Wagner. Produktänderungen versucht Würth eiSos, auf das Notwendigste zu beschränken, und wenn es doch dazu kommt, dann sei man laut Wagner bestrebt, Ersatzprodukte oder einen anderen Lösungsweg anzubieten. (zü)