Ukraine-Krieg, explodierende Energiekosten, Lieferkettengesetz – die Herausforderungen für deutsche Unternehmen bleiben groß. Philip Harting, Vorstandsvorsitzender der Harting-Technologiegruppe, verriet der Markt&Technik, wie er diese Herausforderungen meistern will.
Markt&Technik: Mit über einer Milliarde Euro Umsatz war das vergangene Geschäftsjahr für die Technologiegruppe Harting ein Rekordjahr. Was waren die Erfolgsfaktoren?
Philip Harting: Wir sind international und auch über die Branchen und Märkte hinweg gut aufgestellt. Unsere ausgesprochene Kundennähe, mit kurzen Lieferwegen, ist enorm wichtig. Als Wachstumstreiber haben neben Nachholeffekten infolge der Pandemie vor allem die industrielle Transformation, die fortschreitende Digitalisierung und die Entwicklung energieeffizienter Produktionstechnologien und Produkte gewirkt. Konnektivität ist eine Grundlagentechnologie, um Daten, Signale und Energie zu übertragen, ohne die eine zukunftsfähige Produktion nicht möglich wäre.
Nach Corona mit den äußerst angespannten Lieferketten stand auch das Jahr 2022 nicht im Zeichen einer konjunkturellen Erholung – im Gegenteil. Da waren der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die dadurch drastisch steigenden Preise für Energie. Wie führen Sie die Technologiegruppe durch solche Zeiten?
Zum einen stellen wir uns robust und resilient auf, zum anderen setzen wir auf strategische Partnerschaften. So investieren wir – fokussiert auf die Wachstumsregionen – in die Stärkung unseres globalen Footprints, das heißt in den Aus- und Neubau unserer Werke in Rumänien, USA, Mexiko und Indien sowie in die Digitalisierung und zusätzliche Entwicklungskapazitäten, um unser Kerngeschäft zu stärken. Im Geschäftsjahr 2022/23 sind daher Rekordinvestitionen in Höhe von rund 80 Millionen Euro vorgesehen.
Zudem haben wir im Sommer 2022 die Firma Studer Cables erworben. Dabei stand die Entwicklung neuer Connectivity-Lösungen im Fokus. Damit investieren wir in den Ausbau und die Stärkung des Lösungsportfolios. Außerdem treiben wir die Entwicklung neuer Konnektivitätslösungen für Schienenverkehr, Industrieanlagen, Energie-Infrastruktur und erneuerbare Energien voran.
Welchen Herausforderungen muss sich die Technologiegruppe im laufenden Geschäftsjahr stellen? Wie gehen Sie diese an?
Die explodierenden Energiekosten und gravierenden Materialengpässe sind die größten Herausforderungen. Daher investieren wir in erheblichem Maße in den Ausbau unserer eigenen Energiegewinnung – in Photovoltaik, Biomethan und Windkraft. Rund 30 Prozent unseres Energiebedarfs stellen wir mittlerweile selbst her. Die übrigen 70 Prozent decken wir über »grünen« Strom ab.
Die erneuerbaren Energiegewinnung auszubauen, ist für uns nicht erst seit den Energieengpässen infolge des Ukraine-Kriegs eine Verpflichtung. Schon seit über 30 Jahren gehen wir konsequent die Schritte zu einer klimaneutralen Produktion. Durch vielfältige Maßnahmen haben wir unseren C02-Ausstoß in Deutschland seit 2010/11 von 19.203 Tonnen auf 1556 Tonnen gesenkt – eine Verringerung um über 90 Prozent!
Gegen die Materialengpässe hilft nur konsequentes Sourcing in allen Regionen, in denen wir produzieren. Wir müssen also neue Lieferanten gewinnen, auf neue Materialien setzen und im höchsten Maße auch ressourcenschonend produzieren.
Wird die Technologiegruppe 2023 wieder im zweistelligen Prozentbereich wachsen?
Die beiden zurückliegenden Jahre waren sehr gut. Unsere Mitarbeitenden in Produktion, Vertrieb und Marketing haben einen großartigen Job gemacht. Doch für dieses Jahr bin ich deutlich pessimistischer. Wir erwarten für dieses Geschäftsjahr eine Seitwärtsbewegung und werden auch dafür hart arbeiten müssen, um unser letztjähriges Ergebnis zu bestätigen.
Wie schätzen Sie die momentanen wirtschaftlichen Aussichten für die deutsche Wirtschaft allgemein und die Technologiegruppe im Besonderen ein?
Für das Geschäftsjahr 2022/23 sind die Wachstumserwartungen angesichts der inflationär-rezessiven Wirtschaftsentwicklung und Material- und Energieknappheit gedämpft. Entscheidend wird sein, wie sich die Energie- und Materialpreise entwickeln. Diese belasten das Investitionsklima. Der Ukraine-Krieg sowie die Spannungen um Taiwan und die eklatanten Materialengpässe tun ihr Übriges.
Welche Hausaufgaben müssen die politischen Entscheidungsträger in Deutschland und Europa aus Ihrer Sicht angehen, damit 2023 nicht wieder ein herausforderndes Jahr wird und damit unsere Kinder eine lebenswerte Zukunft haben?
Wir stehen vor enormen Herausforderungen. Daher verstehe ich nicht, warum wir uns das Leben mit dem geplanten Lieferkettengesetz noch schwieriger machen. Wir stehen grundsätzlich zu unserer Verantwortung und zum Code of Conduct. Doch was durch das Lieferkettengesetz bereits jetzt an Aufwand und Kosten auf uns zukommt, ist unglaublich hoch. So müssen wir weltweit 4500 Zulieferer bis ins kleinste Detail durchleuchten. Das Risiko, dass wir in der Zulieferkette dennoch etwas übersehen, macht das Lieferkettengesetz für uns unkalkulierbar und belastet uns und die deutsche Wirtschaft zusätzlich.
Ich persönlich möchte meinen Kindern eine bessere Welt hinterlassen. Daher unternehmen wir in der Technologiegruppe auch so große Anstrengungen in Sachen Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung.
Denken Sie, dass die aktuellen geopolitischen Entwicklungen eher positiv für den Standort Deutschland sind?
Die geopolitischen Entwicklungen bergen viele Risiken, sie bieten aber auch Chancen. Die Klimawende und die Entwicklung energieeffizienter Produktionstechnologien geben dem innovativen deutschen Mittelstand Möglichkeiten, um sich im weltweiten Wettbewerb eine führende Position zu sichern. Wir haben heute schon die Produkte, Verfahren und Lösungen, die eine energieeffiziente und ressourcenschonende Produktion global möglich machen, und tragen damit maßgeblich zur Erreichung des großen Ziels der Klimaneutralität bei.
Sie führen das Familienunternehmen nun in dritter oder vierter Generation. Hatten Sie jemals mit dem Gedanken gespielt, etwas ganz anderes zu machen?
Nein. Schon als Kind war es mein Wunsch, einmal in die Fußstapfen meiner Eltern zu treten. Als Jugendlicher habe ich daher fast jede freie Minute genutzt, um das Unternehmen und die Abläufe kennenzulernen, und mir nie was anderes vorstellen können.