Interview mit Dr. Stephan Middelkamp

Harting: »Klimaneutral an unseren Standorten bis 2030«

13. April 2024, 16:00 Uhr | Corinna Puhlmann-Hespen
Dr. Stephan Middelkamp, Harting: »In Deutschland konnten wir unsere Vor-Ort-Emissionen im Vergleich zu 2011 schon um 92 Prozent reduzieren. «
© Harting

Bis 2030 will Harting an seinen Standorten klimaneutral sein. Dr. Stephan Middelkamp, General Manager Quality & Technologies, erläutert im Interview, welche ersten Erfolge es gibt, welche Maßnahmen das Unternehmen derzeit umsetzt und vor welchen Herausforderungen die deutsche Industrie steht. 

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Markt&Technik: Nachhaltigkeit wird für deutsche Unternehmen immer wichtiger. Wie geht man bei Harting an das Thema heran?

Dr. Stephan Middelkamp: Wir haben eine Nachhaltigkeitsstrategie definiert, die sich auf alle Prozesse und Standorte des Unternehmens bezieht. Das fängt mit den Menschen an, um das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu stärken, und umfasst darüber hinaus die Infrastruktur und den gesamten Produktlebenszyklus: von der Idee über die Entwicklung, die Produktion, den Einkauf, den Transport bis hin zum Einsatz des Produktes bei unseren Kunden und der End-of-Life-Betrachtung. Konkret haben wir die unterschiedlichen Elemente mit konkreten Zielen versehen und Maßnahmen zur Verbesserung definiert. Der Vorteil ist, dass wir hierdurch unsere normalen Managementtools zur Strategieumsetzung einsetzen können. 

Was sind Ihre Ziele hinsichtlich der Klimaneutralität?

Bis 2030 wollen wir 100 Prozent Klimaneutralität an unseren Standorten erreichen und unsere direkt beeinflussbaren Emissionen vor- und nachgelagerter Prozesse um 50 Prozent reduzieren. Hierfür verfahren wir nach dem Prinzip: ‚vermeiden‘, ‘reduzieren‘ und erst als letzter Schritt ‚kompensieren‘. 

In Deutschland konnten wir unsere Vor-Ort-Emissionen im Vergleich zu 2011 schon um 92 Prozent senken. An den ausländischen Standorten sind sie abhängig von den lokalen Möglichkeiten – diese prüfen wir regelmäßig. Insgesamt ist es uns gelungen, unsere Emissionen im letzten Geschäftsjahr um mehr als 10 Prozent zu reduzieren. Konkrete Aktionen waren zum Beispiel eine weitere Photovoltaik-Anlage an unserem Werk in Indien und der Kauf einer Biogas- und Freifeld-Photovoltaikanlage in direkter Nachbarschaft zu unserem größten Produktionsstandort in Deutschland. Die etwa 500 Meter zwischen der Biogasanlage und unserem Werk machen eine Direktanbindung möglich. Damit machen wir uns unabhängig von externer Belieferung.

Wie groß ist der Einfluss, den Sie in puncto Klimaschutz ausüben können?

Wir sehen drei unterschiedliche Hebel. Erstens gibt es die Umweltauswirkungen, die wir selbst verursachen, insbesondere die Scope-1- und Scope-2-Emissionen. Hier haben wir – wie bereits beschrieben – eine konkrete Strategie mit Umsetzungserfolgen.

Zweitens betrachten wir die Auswirkungen unserer Produkte. Dazu gehören auch die Lieferkette, die Materialien sowie der Betrieb und die Entsorgung. Hier ist der Hebel deutlich größer. Gleichzeitig ist die Komplexität auch höher. Wir haben in allen Dimensionen Maßnahmen ergriffen und erste Erfolge erzielt. Diese reichen von der Erhöhung der Effizienz durch Reduktion von Übertragungsverlusten über den Einsatz leichterer und kleinerer Schnittstellen bis hin zum Einsatz von CO2-reduzierten Materialien.

Der dritte Hebel ist die Unterstützung unserer Kunden beim Ermöglichen von umweltfreundlichen Technologien. Hier können wir maßgeblich den Trend der Elektrifizierung zur All Electric Society unterstützen. Dazu gehören E-Mobility-Ladelösungen, Verbindungstechnik für erneuerbare Energien und Speicherlösungen oder die effiziente Anbindung von Sensor- und Aktor-Systemen zur intelligenten Steuerung. 

Ist die Industrie auf einem guten Weg beim Klimaschutz und gibt es Grund, trotz aller Herausforderungen optimistisch in die Zukunft zu blicken?

Aus meiner Sicht ja. Die Elektronikindustrie hat die Herausforderung zum Übergang in eine klimaneutrale und zirkuläre Industrie verstanden und angenommen. Darüber hinaus sieht sie die Chancen, die sich daraus ergeben. Durch die Elektrifizierung und die zunehmenden Steuerungsanforderungen eröffnen sich große Marktchancen für die Elektronikindustrie.

Mit welchen Maßnahmen beschäftigen Sie sich konkret, um das eigene Produktdesign – insbesondere die Verbindungstechnik – ressourcenschonender und umweltfreundlicher auszulegen?

Eine Ebene ist die Performance in der Anwendung. Hier verfolgen wir mit unserer Verbindungstechnik folgende Ziele: die Optimierung des Widerstandes für Energieanwendungen zur Erhöhung der Energieeffizienz, die Reduktion des Gewichtes für bewegte bzw. beschleunigte Applikationen und die Miniaturisierung. 

Darüber hinaus gilt es, das Produkt ressourcenschonend auszulegen. Dies startet mit der Materialauswahl sowie der Erhöhung des Recycling-Anteils und des Designs für eine Recyclingfähigkeit am Ende der Lebensdauer. Ebenso ist es ein Ziel, möglichst wenig Material zu verwenden bei gleicher Performance – also die Verbesserung der Stromtragfähigkeit zur Reduktion des Leiterquerschnitts oder die Reduktion der Leiter mit Hochfrequenzanwendungen.

Schlussendlich müssen wir die effizienteste Produktionstechnologie wählen und hier permanent die Material- und Energieeffizienz optimieren.

Wie sehen Sie das Thema PFAS bei Kunststoffen, beschäftigen Sie sich damit? 

Viele unserer Zukaufteile enthalten PFAS. Wir haben diese identifiziert und sind in Gesprächen mit unseren Lieferanten, um technisch gleichwertige Alternativen zu entwickeln, sodass unsere Produktqualität unverändert bleibt. Dies ist allerdings aufgrund der Masse und der Eigenschaften aufwendig und komplex.

Etwas weiter in die Zukunft geblickt: Wo sehen Sie noch neue Ansätze und Maßnahmen, CO2 zu reduzieren und Ressourcen einzusparen?

Einen großen Hebel sehen wir in der Umsetzung der All Electric Society. Die Sektorenkopplung ermöglicht eine effiziente Energieverteilung. Die Elektrifizierung ist der Schlüssel, sowohl zur Steuerung als auch zur Erhöhung der Energieeffizienz.
Ein zweiter großer Hebel ist das Schließen von Materialkreisläufen und die Erhöhung des Recyclings.

Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf, auch vonseiten der Politik und Verbände?

Der erste Schritt zur Verbesserung ist Transparenz. Hier fehlen uns zum Beispiel noch Standards zum Austausch und zur Weiterverarbeitung des Product-Carbon-Footprints. Für den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft fehlt uns an vielen Stellen noch die Durchgängigkeit. Dies fängt an mit dem Zugang zu End-of-Life-Produkten, geht aber auch über in die Zuordnung zu Materialklassen, insbesondere im Bereich der technischen Kunststoffe.

Zum Schluss noch eine Frage zur allgemeinen Geschäftsentwicklung. Welche Erwartungen haben Sie an das Jahr 2024, und welches Umsatzziel?

Während die angrenzenden Volkswirtschaften in Europa in diesem Jahr und im nächsten Jahr deutlich wachsen, stehen wir in Deutschland auf einem Abstiegsplatz. Die weiterhin hohe Inflationsrate, die hohen Energiekosten, fehlende Investitionen in Bildung und Digitalisierung sowie die geopolitischen Spannungen in der Welt belasten die Entwicklung von Unternehmen und nehmen diesen die Planungssicherheit. Dies trifft den deutschen Mittelstand. 

Insgesamt sieht sich die Wirtschaft in Deutschland mit großen Herausforderungen konfrontiert. Unsere Ziele sind klar: Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, deutlicher Kostensteigerungen sowie überbordender Regulierung müssen wir uns mehr denn je robust und nachhaltiger aufstellen. Wir setzen konsequent weiter darauf, zu automatisieren und zu digitalisieren sowie die Kosten von Gaslieferungen zu senken und den langfristigen Zugriff auf Rohstoffe zu wettbewerbsfähigen Kosten sicherzustellen. Damit schaffen wir die Grundlagen für weiteres Wachstum – welche im zunehmenden Maße im Ausland liegen.

Für 2024 sehen wir eine eingetrübte Wirtschaftsentwicklung. Aufgrund der um gut 10 Prozent gesunkenen Auftragseingänge planen wir für dieses Geschäftsjahr mit einem Umsatzrückgang im hohen einstelligen Prozentbereich.

Die Fragen stellte Corinna Puhlmann-Hespen.

 


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