Auch bei optimal aufgebauten Multilayer-Platinen hat das Versorgungssystem eine gewisse Impedanz. Wenn ein IC schnell schaltet und in kurzer Zeit viel Ladung benötigt, ruft dies einen Spannungsabfall im Versorgungssystem hervor. Dieser Spannungsabfall tritt aber nicht gleichmäßig in der kompletten Versorgungslage auf, sondern bevorzugt an der Position des IC. Solch ein Spannungsunterschied in den Versorgungslagen treibt einen elektrischen Dipol, der durch die Potentialdifferenz auf dem Versorgungssystem gebildet wird: Die Leiterplatte beginnt zu strahlen. Eine weitere Ursache für einen Spannungsunterschied auf den Versorgungslagen können Signalleitungen sein, die auf Potentiallagen einkoppeln.
Nicht nur die direkte Abstrahlung des Versorgungssystems stellt ein Problem dar, sondern auch die über Kabel und Leitungen nach außen getragenen Störungen, z.B. über Stecker, die auf verschiedenen Seiten einer Platine angebracht sind und wo das Versorgungssystem zwischen diesen Steckern einen Spannungsabfall aufweist.
Empirische Verfahren basieren auf einfachen netzwerktheoretischen Modellen. Hier ist es allerdings nicht so entscheidend, dass die Simulationsmodelle exakt sind. Viele parasitäre Effekte und Serienstreuungen der Bauteile können vernachlässigt werden. Die Verfahren der Empirik basieren auf durch Messungen verifizierten Algorithmen. Es werden nur ausgewählte physikalische Mechanismen untersucht, für die entsprechende Algorithmen vorhanden sind. Diese wurden von einem industriellen EMC-Forschungskonsortium erarbeitet, dem u.a. IBM, Honeywell, Sony, LGE, Apple und Zuken angehören. Dabei werden nicht wie bei der Numerik sämtliche, sondern nur ausgewählte Effekte untersucht. Dafür können komplette Leiterplatten schnell auf potentielle Worst-Case-Abstrahlung und mögliche Antennen als Strahlungsursache untersucht werden. Da im Vergleich zur Numerik nur eine relativ geringe Menge an Daten für die Simulation benötigt wird, ist nicht nur die Anlernphase für das Simulationsprogramm kurz, sondern auch die eigentliche Simulation kann schnell durchgeführt werden.
Grundidee dieses Ansatzes ist es, die Arbeit eines EMV-Experten bei der Bewertung von leitungsgebunden EMV-Problemen nachzubilden, EMV-Koppelpfade schnell zu entdecken und zu bewerten und daraus sofort Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten. Es lassen sich Differential-Mode- und Common-Mode-Effekte untersuchen, Einflüsse von Steckern und Kabeln berücksichtigen und mit Hilfe eines leistungsfähigen numerischen Solvers im Frequenzbereich auch Simulationen der Integrität der Spannungsversorgungsebene und Bewertungen der Abblockung durchführen.