Bei Smartphones setzt Apple die meisten MEMS ein. Gibt es einen Automobilhersteller, dessen Fahrzeuge sich im Allgemeinen durch den höchsten Sensor-Einsatz auszeichnen?
Wie schon angedeutet, handelt es sich um ein deutsches Trio: Audi, BMW, Daimler. Vor allem gilt das für Technologie-Pionierfahrzeuge dieser Hersteller, wie etwa den Audi A8.
Gab oder gibt es gesetzgeberische Vorgaben, die den Sensorik-Einsatz in den letzten Jahren besonders gepusht haben? Haben sich dabei bestimmte Weltregionen besonders hervorgetan?
Zu nennen wäre hier erst kürzlich das Euro 6D-Temp für Emissionssensoren, einschließlich der Gesetzgebung für GPF-Filter. Dies wurde im vergangenen Jahr auch im Rahmen der chinesischen Abgasnorm Stage 6 aufmerksam verfolgt. Davor war die Einführung der funktionalen Sicherheit nach ISO 26262 im Jahr 2016 wahrscheinlich am bedeutendsten. Sie hatte viele sensorreiche redundante Lösungen zur Folge, wie etwa mehrere Kreisel-Sensoren für ESC-Applikationen oder redundante Positionssensoren.
Wer ist heute der bedeutendste Sensorlieferant im Automotive-Bereich? Wie sieht die Top 5 aus, und hat sie sich in den letzten Jahren verändert?
Bosch ist heute der mit Abstand wichtigste Lieferant. Im vergangenen Jahr war der Bosch-Umsatz zwei bis drei Mal so hoch wie der des nächsten Konkurrenten Sensata. Bosch profitiert von einem großen Bedarf der hauseigenen Automotive-Abteilung, bei den Händlerverkäufen hat Bosch hingegen einen niedrigeren Rang. Die Top 5 im Jahr 2019 stellte sich in US-Dollar, und wenn man die Radarsensoren mit einbezieht, so dar: Bosch, Infineon Technologies, NXP, Sensata und Denso. Auf dieses Quintett folgen Murata und STMicroelectronics, die Hauptlieferanten von Trägheitssensoren.
Gibt es neue Sensorlösungen, die gerade erst vor der Einführung im Automotive-Bereich stehen? Welchen neuen Sensorlösungen räumen Sie für die nächsten Jahre die höchsten Zuwachsraten ein?
Da gibt es beispielsweise Time-of-Flight-Sensoren für HMI-Anwendungen, um etwa die Position des Fahrers zu bestimmen, von STMicroelectronics und Melexis, und diese Applikationen laufen gerade erst hoch. Ähnliches gilt für das wachsende Volumen an MEMS-Zeitsensoren für ADAS-Anwendungen wie Radar, Ethernet Transceiver, Kameras, Reifendruck-Sensoren sowie ADAS-Domänen-Controller und GNSS-Anwendungen, um nur einige zu nennen.
Die Produktions- und Zulassungszahlen im Automobilbereich stagnieren seit Jahren oder sind rückläufig. Wie beeinflusst das die Entwicklung der Automotive-Sensorik?
Natürlich wirkt sich das negativ auf Sensoren aus, die 1:1 im Fahrzeug eingebaut sind. Neue Sensoren, die in erster Linie aus der Elektrifizierung des Antriebsstrangs und der Fahrerassistenz resultieren, erhöhen jedoch den gesamten Netto-Elektronikgehalt eines Fahrzeugs. Denken Sie an motorbezogene Sensorik in Hinblick auf Position, Temperatur und Strom, und Mildhybrid-48-V-Systeme oder Kameras sowie Radar für Sicherheitsanwendungen. Darüber hinaus werden Infotainment-Systeme und HMI-Lösungen mit mehreren Displays, LCD-Instrumentenclustern, Fahrerüberwachung, Innen- und Vorwärtskamera-Stabilisierung und adaptiven dynamischen Beleuchtungssystemen immer anspruchsvoller.
In Summe nimmt die Zahl der Sensoren deshalb nie ab und wandert von den Fahrzeugen der Oberklasse in die Mittelklasse und von den reifen Märkten in aufstrebende Regionen wie China und Indien. Dazu kommt, dass sich die Emissionsgesetzgebung weltweit harmonisiert; das führt dazu, dass immer ausgefeiltere Abgasnachbehandlungssysteme, etwa in fortschrittlichen Dieselfahrzeuge mit doppelten Harnstoffeinspritzsystemen und bis zu neun verschiedenen Druck-, Temperatur-, Sauerstoff-, NOx- und NH3-Sensoren entlang eines Nachbehandlungssystems zum Einsatz kommen. Auch Benzinmotoren erhalten zunehmend ähnliche Aufbereitungssysteme, beginnend mit Partikelfiltern bereits ab 2017 in Europa und letztes Jahr in chinesischen GDIs nach den chinesischen Stage-6-Regeln.
Nach Wochen des Shutdowns fahren deutsche Automobilhersteller ihre Produktionen langsam wieder hoch. Welchen Einfluss wird die Corona-Pandemie 2020 voraussichtlich auf das Automotive-Sensorik-Geschäft haben?
Soweit uns bekannt, gibt es bislang keine Pläne, wichtige EV-Programme in Europa oder China zu beschneiden. Während sich einige F&E-Projekte um etwa ein Jahr oder so verzögern können, ist die größere Auswirkung bei autonomen Fahrprogrammen über L2+ hinaus zu erwarten. OEMs haben begonnen, die Kosten und die Komplexität von L4- oder L5-Systemen zu erkennen, die auf Flotten und Taxis und nicht auf Personenkraftwagen beschränkt sein werden. Angesicht der Covid-19-Krise werden sie ihre Investitionen neu bewerten. Eine Ausnahme für die Einführung von EVs stellt der US-Markt dar, wo die Lockerung der CAFE-Gesetzgebung durch die Trump-Regierung und die derzeit niedrigen Benzinpreise die Verbrennungsmotoren wieder attraktiv machen.
Welche Auswirkungen wird der Übergang vom Verbrennungsmotor zu Elektrofahrzeugen auf den Einsatz von Sensoren im Automobil-Bereich haben?
Keine so gravierenden, wie Sie vielleicht denken. Durch den Ausbau des Motors in einem EV verzichten Sie im Durchschnitt auf etwa 20 bis 25 Sensoren. Sie erhalten stattdessen 15 bis 20 Strom-, Temperatur- und Positionssensoren, die mindestens fünf neue elektrifizierungsbezogene Module unterstützen. In einem HEV haben Sie beides, Verbrennungsmotor und Elektroantrieb, also je nach Konfiguration einen Nettogewinn an Sensorik.