Prüfung von ADAS-Funktionen

Optisches Testsystem für LIDAR-Sensoren

21. Dezember 2020, 13:42 Uhr | André Engelbert
Für ADAS-Tests sind auf dem Rollenprüfstand Notbremsungen bis zu einer Geschwindigkeit von 50 km/h möglich. Auch leichte Lenkbewegungen zur Darstellung von Überholmanövern lassen sich bereits realisieren.
© Horiba

Mit einem zum Patent angemeldeten Lidar-Testsystem hat Horiba ein Projektionssystem entwickelt, mit dem sich Lidar-Sensoren kontaktlos stimulieren lassen. In der kontrollierten Umgebung eines Rollenprüfstands können nun lidarbasierte ADAS-Funktionen entwickelt, homologiert und getestet werden.

Vor einigen Monaten verabschiedete das »Weltforum für die Harmonisierung von Fahrzeugvorschriften« der UNECE erstmals international gültige Regeln für den Einsatz von ADAS-Funktionen nach SAE J3016 Stufe 3. Im Detail betreffen diese Regeln zunächst den Betrieb von automatisierten Spurhaltesystemen. In der Verordnung ist auf mehr als 60 Seiten aufgeführt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Fahrzeuge mit Stufe-3-Funktionen eine Typ­zulassung erhalten [1]. Neben Themen wie Cybersecurity,

HMI, Software-Updates oder Datenaufzeichnung regelt die Verordnung auch, dass Hersteller in einem »robusten Entwurfs- und Validierungsprozess« nachweisen müssen, dass das Fahrzeug alle Anforderungen erfüllt, bevor es die Typzulassung erhält. Die Verordnung tritt am 1. Januar 2021 in Kraft.

In diesem Zusammenhang rücken die Sensoren in den Fokus, von denen die Fahrerassistenzsysteme ihre Umgebungsdaten beziehen. Das im Fahrzeug verbaute Sensor-Set besteht in der Regel aus Radar-, Lidar- und Kamerasensoren, ergänzt um Ultraschallsensoren für den Nahbereich. Die Komponenten werden von Zulieferern entwickelt, die gegenüber den OEMs die korrekte Funktion bestätigen.

Sobald ein Sensor jedoch einmal verbaut ist, sind OEMs auf kostenintensive und zeitaufwendige Prüfungen auf Testgeländen angewiesen. Bislang finden außerhalb der Testgelände nur wenige Sensorprüfungen statt.Bisher werden Systeme wie etwa ein Spurhalteassistent oder ein Abstandsregeltempomat während der periodischen Hauptuntersuchung nur in geringem Umfang getestet. In Deutschland ist es den Prüfern untersagt, technische Eingriffe am Fahrzeug vorzunehmen – dazu zählt auch das Abkoppeln von Sensoren. Weder die Werkstatt noch der Prüfer kann nachvollziehen, ob die korrekte Funktionalität gewährleistet ist.

Gemeinsam mit Prüforganisationen und Forschungseinrichtungen entwickelt Horiba Testszenarien, mit denen sich die Funktionalität aller ADAS-relevanten Sensoren auf dem Rollenprüfstand nachweisen lässt. Doch nicht nur bei periodischen technischen Untersuchungen, sondern schon in einer frühen Phase der Entwicklung und der Homologation ist es sinnvoll, die Sensoren auf einem Prüfstand mit einem geeigneten Testgerät zu untersuchen.

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Vorteile von Prüfstandstests

Bild 1. Die Einrichtung des Horiba-Lidar-Testsystems auf einem Rollenprüfstand.
Bild 1. Die Einrichtung des Horiba-Lidar-Testsystems auf einem Rollenprüfstand.
© Horiba

Rollenprüfstände von Horiba eignen sich für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, Elektroantrieben und Brennstoffzelle sowie Hybridantrieben (Cover-Bild). Je nach Modell sind die Prüfstände für Nennleistungen bis 350 kW und 500 kW bei 4x4-Fahrzeugen je Achse, für Geschwindigkeiten bis 300 km/h und eine maximale Achsenlast von 4,5 t zugelassen und können in einem Temperaturbereich von -40 °C bis +50 °C betrieben werden.

Ein wesentlicher Vorteil der Sensorprüfung auf dem Rollenprüfstand ist die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Umwelteinflüsse lassen sich ausschließen oder bewusst herbeiführen beziehungsweise simulieren. Verschiedene kritische Szenarien, die bei der Entwicklung von ADAS-Funktionen besonders wichtig sind, können beliebig oft virtuell wiederholt werden. Auch mögliche Auswirkungen von Softwareänderungen oder Cyberattacken lassen sich auf dem Prüfstand testen. Hersteller und Zulieferer können dadurch zeit-, kosten- und personalintensive Realfahrtests auf ein Minimum beschränken.

Das von Horiba entwickelte Lidar-Testsystem bietet nun eine weltweit einzigartige zusätzliche Testmöglichkeit in einem Zwischenschritt, der bislang fehlte: In einem frühen Entwicklungsstadium prüfen und belegen die Zulieferer die grundsätzliche Funktionalität eines Sensors, jedoch lediglich als Teilfunktion und nicht im verbauten Zustand. Am anderen Ende der Entwicklung stehen nahezu fertige Fahrzeuge, bei denen Änderungen am Sensor-Set nur mehr schwer möglich sind.

Mit dem neuen Testsystem haben Entwicklungsingenieure die Möglichkeit, Sensoren im Fahrzeug in einer kontrollierten Umgebung auf dem Rollenprüfstand zu testen, bevor es für finale Freigaben auf die Teststrecke geht. Das Lidar-Testsystem ermöglicht also deutlich kürzere Entwicklungs- und Markteinführungszeiten bei gleichzeitig höherer Sicherheit trotz komplexer Technik (Bild 1).

Bild 2. Charakterisierung des optischen Ausgangssignals eines Lidar-Sensors mit einer Fotodiodenschaltung.
Bild 2. Charakterisierung des optischen Ausgangssignals eines Lidar-Sensors mit einer Fotodiodenschaltung.
© Horiba

Testszenarien für Sensoren

Dem auf dem Rollenprüfstand befindlichen Fahrzeug können Radar-, Lidar- und Kameradaten präsentiert werden, auf die es entsprechend reagieren kann. Je nach Szenario werden ADAS-Funktionalitäten, etwa ein Abstandsregeltempomat, aktiviert und auf dem Prüfstand getestet. Das Fahrzeug bewegt sich somit in einer virtuellen Umgebung.Kamerabasierte Assistenzsysteme reagieren auf Videobilder, die vor dem Fahrzeug auf eine Leinwand projiziert werden.

Auch Radardaten lassen sich auf dem Prüfstand vergleichsweise einfach bereitstellen: Die vom Radarsensor ausgestrahlten Signale werden in einem geeigneten Stimulator empfangen, analysiert und dem System in veränderter Form, möglichst in Echtzeit wieder zugespielt. Durch elektronisches Anpassen der Phasenverschiebung bzw. der Signallaufzeit lassen sich die Entfernung und die Geschwindigkeit eines virtuellen Objekts präzise einstellen.

Bild 3. Lidar-Testsystem von Horiba.
Bild 3. Lidar-Testsystem von Horiba.
© Horiba

Das Lidar-Testsystem von Horiba

Lidar beruht auf einem ähnlichen Prinzip. Statt Radarsignalen emittiert eine Laserdiode im Lidarsensor jedoch Laserlicht im nahinfraroten Spektralbereich, üblicherweise mit einer Wellenlänge von 905 nm. Die Lichtimpulse werden von Objekten in der Fahrzeugumgebung reflektiert und von einer Fotodiode innerhalb des Lidar-Sensors wieder empfangen. Aus der Laufzeit der Impulse lässt sich die Entfernung berechnen. Bild 2 zeigt einen Messaufbau im Labor. Während die Stimulation von Kamera- und Radarsensoren etabliert ist, gab es bislang keine Lösung für die Überprüfung der Lidar-Sensoren im Fahrzeug.

Für das Lidar-Testsystem kombiniert Horiba einen tageslichttauglichen, hochauflösenden Videoprojektor mit dem neu entwickelten und zum Patent angemeldeten Lidar-Projektor. Beide Projektoren sind oberhalb des Rollenprüfstands montiert und projizieren auf eine vor dem Prüfstand montierte Leinwand. Dem auf dem Rollenprüfstand befindlichen Fahrzeug werden nun vom tageslichttauglichen Projektor Bilder im sichtbaren Spektralbereich präsentiert. Das kann beispielsweise ein Autobahnszenario sein, bei dem sich drei Fahrzeuge auf drei Fahrspuren befinden in einem Abstand von 25, 60 und 65 Metern. Die Kamera erfasst die Objekte und die Fahrerassistenzsysteme können darauf reagieren, etwa bei einem Cut-in-Manöver des dicht vorausfahrenden Fahrzeugs.

Das Lidar-Testsystem von Horiba (Bild 3) basiert auf der Funktion, Objekte im nahinfraroten Spektralbereich darzustellen. Dazu wird das vom Fahrzeug ausgesendete Lidar-Signal kontaktlos detektiert und als Eingangssignal für das Horiba-Lidar-Testsystem verwendet. Dieses Signal wird nun mit einer der Entfernung der darzustellenden Objekte entsprechenden Verzögerung (167 ns bei 25 m) auf die Leinwand abgestrahlt. Winkel und Ausrichtung der Nahinfrarotprojektion sind so gewählt, dass die Objekte kongruent an genau den Stellen abgebildet werden, an denen sich die Fahrzeuge im Videobild befinden.

Die Reflexion des virtuellen Objekts an der Leinwand wird nun vom Lidar-Sensor des Testfahrzeugs erkannt. Im Ergebnis wird das im sichtbaren Bereich ausgestrahlte Bild vom nicht sichtbaren Signal des Lidar-Projektors überlagert. Das Lidar-Signal kann vom Projektor mit einer Verzögerung ausgestrahlt werden, die einer Objekt­entfernung von derzeit maximal 600 m entspricht.Weiterhin verfügt das Lidar-Testsystem über eine Funktion, die die Ausrichtung des nicht sichtbaren infraroten Bildes erleichtert. Zusätzlich zu den virtuellen Objekten projiziert das System sichtbare Passmarken auf die Leinwand. Diese Marken können genau an der Videoprojektion ausgerichtet werden und ermöglichen somit eine deckungsgleiche Abbildung der simultan ablaufenden Infrarot- und Videoszene.

Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich mit dem Lidar-Testsystem eine für die Hauptuntersuchung geeignete Auflösung erreichen. Horiba hat die Funktionalität über Proof of Concept an verschiedenen Lidar-Sensoren unterschiedlicher Hersteller nachgewiesen. Das Testsystem eignet sich sowohl für Solid-State- als auch für Rotations-Lidar-Systeme; durch die Verwendung mehrerer Lidar-Projektoren lässt sich eine 360°-Projektion erreichen.

Datenbereitstellung und -verarbeitung

Bild 4. Das webbasierte User Interface von Stars Enterprise umfasst die Steuerung der CAV-Applikation sowie die dafür notwendigen Datenbanken.
Bild 4. Das webbasierte User Interface von Stars Enterprise umfasst die Steuerung der CAV-Applikation sowie die dafür notwendigen Datenbanken.
© Horiba

Dem Video-Projektor werden Echt- oder Simulationsdaten gesendet, die Horiba in Kooperation mit der 3D-Mapping Solutions erhoben hat. 150.000 Kilometer Real-Road-Daten und verschiedene Szenarien stehen zur Verfügung. Aus den Rohdaten lassen sich Informationen separieren, die für bestimmte Sensoriken wie Radar oder Lidar relevant sind. Diese Daten können mit dem webbasierten Tool Horiba Stars Enterprise den HiL-/ViL-Prüfständen zugespielt werden (Bild 4).

Im Lidar-Projektor werden die Daten durch Embedded Controller verarbeitet. Das Lidar-Testsystem wird mittels TCP/IP in die bestehende IT-Infrastruktur eingebunden.Für die Entwicklung und Prüfung von ADAS-Funktionen sind vor allem kritische Szenarien wichtig, die sich mit realen Verkehrsteilnehmern auch auf Teststrecken nicht immer einfach realisieren lassen. In sogenannten Co-Simulationen können daher künftig reale Straßendaten mit computergenerierten Szenarien auf dem Prüfstand kombiniert werden.

In einer weiteren Iterationsstufe wird es Kunden zudem möglich sein, eigenes Datenmaterial einzuspielen und das Horiba-Lidar-Testsystem damit anzusteuern. Zusätzlich kann die Horiba-Stars-Enterprise-Plattform über entsprechende Fahrzeugschnittstellen Daten in Echtzeit erfassen und visualisieren. Diese Daten werden gespeichert bevor die Software abschließend ein Prüfprotokoll erstellt.

Bild 5. Das Lidar-Testsystem wird über dem Fahrzeug an einer Traverse montiert und kann individuell entsprechend dem zu testenden Fahrzeug ausgerichtet werden.
Bild 5. Das Lidar-Testsystem wird über dem Fahrzeug an einer Traverse montiert und kann individuell entsprechend dem zu testenden Fahrzeug ausgerichtet werden.
© Horiba

Ein Blick in die Zukunft

Assistenzsysteme für automatisiertes und später autonomes Fahren werden künftig in nahezu allen Fahrzeugklassen zu finden sein. Die zunehmende Marktdurchdringung macht Prüfsysteme erforderlich, mit denen sich die korrekte Funktionalität einfach, schnell und sicher im Rahmen der Hauptuntersuchung belegen lässt. Um die Anwendung des Horiba-Lidar-Testsystems so einfach wie möglich zu gestalten, ist eine Automatisierung der Tests geplant. Hierbei richten sich die Projektoren automatisch aus und passen die Position an das zu testende Fahrzeug an (Bild 5). Ein Vorteil vor allem bei der Hauptuntersuchung, bei der pro Fahrzeug nur wenig Zeit zur Verfügung steht.

Die aktuell verwendete Auflösung eignet sich für Anwendungen wie Hauptuntersuchungen oder End-of-Line-Tests, um die Lidar-Funktionalität nachzuweisen. Für die Entwicklung und Homologation werden künftige Versionen multiple Objekte bei einer 1080p-Auflösung darstellen können.

Weiterhin ist die Einbindung von OpenScenario als geeignete Beschreibungssprache für das Erstellen und den Austausch von Testszenarien vorgesehen. Mit OpenScenario lassen sich in erster Linie die dynamischen Komponenten in Fahr- und Verkehrssimulationsprogrammen beschreiben. Komplexe Situationen, die synchron ablaufende Bewegungen von Fahrzeugen, Fußgängern und anderen Verkehrsteilnehmern umfassen, lassen sich geordnet in einer hierarchischen Struktur in einem XML-Format abbilden. Diese Daten können anschließend von geeigneten Fahr- und Verkehrssimulations­programmen eingelesen werden.

Die Programme setzen die beschriebenen Manöver entsprechend der angegebenen Parameter in eine realitätsnahe Simulation um. Aus dieser ergibt sich eine Fülle verschiedenster Daten, unter anderem die Koordinaten und Trajektorien aller beteiligten Objekte, die wiederum als Input für das Lidar-Testsystem dienen. Die plattformübergreifende Anwendbarkeit ist essenziell für eine reproduzierbare Durchführung von Simulationen und den Erhalt von validen Resultaten, unabhängig von der ausführenden Behörde.

Zurzeit stellt Horiba das neue Lidar-Testsystem Kunden und Prüforganisationen im Rahmen von Workshops vor. Gemeinsam wird evaluiert, ob und welche Features durch künftige Gesetzesänderungen nötig sein könnten. Zudem haben Kunden die Möglichkeit, eigene Anforderungen zu ergänzen, die in kommenden Versionen berücksichtigt werden können. Das Horiba-Lidar-Testsystem soll 2021 auf den Markt kommen.    IH

Literatur
[1] UNECE: https://undocs.org/ECE/TRANS/WP.29/2020/81 (Stand: 27.09.2020)

 

 

Connected Autonomous Vehicles

Horiba Europe, Teil der Horiba-Gruppe, ist als Anbieter von Motor-, Antriebs- und Fahrzeug-Prüfstandsystemen weltweit etabliert und unterstützt Hersteller und Lieferanten eines jeden Industriezweigs, in dem Turbomaschinen, Elektro- und Verbrennungsmotoren verwendet werden. Im Bereich der Emissionsmessungen gehört das japanische Unternehmen zu den Weltmarktführern. Im Zuge der Einführung auto­matisierter Fahrfunktionen im Automobilbereich erschließt das Unter­­­­­nehmen auch neue Marktsegmente. Unter dem Begriff CAV, Connected Autonomous Vehicles, werden Applikationen, Produkte und Services für automatisierte und auto­nome Fahrfunktionen entwickelt.

 


 

Der Autor

André Engelbert, Horiba.
André Engelbert, Horiba.
© Horiba

André Engelbert

ist Global Application Manager für den Bereich CAV bei Horiba. Als Functional Safety Engineer und Elektronikentwickler verfügt er über 20 Jahre Erfahrung im Bereich Elektronik, Entwicklung von Steuer­geräten sowie Nachrichtentechnik.


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