Für die technische Umsetzung der Stufe 3 des autonomen Fahrens reichen bloße Sensordaten nicht aus. Vielmehr ist darüber hinaus hochauflösendes, digitales Kartenmaterial nötig, das wichtige Zusatzinformationen liefert und damit eine intelligente und sichere Routenführung erst möglich macht.
Die Stufe 3 ist ein bedeutender Meilenstein auf dem Weg zum autonomen Fahren. Hierbei bewegt sich das Fahrzeug in spezifischen, vom Hersteller definierten und von Regulierungsbehörden zugelassenen Einsatzfeldern komplett eigenständig. Dem Fahrer ist es dabei erlaubt, seine Konzentration vorübergehend vom Verkehr abzuziehen. Er muss lediglich auf Anforderung durch das System kurzfristig wieder selbst das Lenkrad in die Hand nehmen.
Den Hauptteil des Steuerungsprozesses übernimmt jedoch die Software. Dies ist der wesentliche Unterschied zu den bereits heute eingesetzten Fahrerassistenzsystemen (Advanced Driver Assistance Systems, ADAS), welche die Stufen 1, 2 und 2 plus technisch begleiten. Hier behält der Fahrer immer noch die Kontrolle über das Auto. Ab Stufe 3 wird diese an das Fahrzeug übertragen. Dadurch geht nicht nur die Haftung im Wesentlichen an den Hersteller über. Auch ist hier deutlich mehr Rechenleistung gefordert, was die Kosten für die OEMs in die Höhe treibt. Daher bietet die Stufe 2 plus aktuell eine praktikable Zwischenlösung – sowohl für die Nutzer als auch für die Hersteller.
Einen Schritt weiter geht Mercedes-Benz mit dem Drive Pilot: Dieser steuert die Geschwindigkeit sowie den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug und führt ein Auto sicher innerhalb seiner Spur, ohne dass der Fahrer aktiv eingreifen muss. Die Technik gilt weltweit als erstes kommerzielles Fahrsystem für Endnutzer in Privatfahrzeugen, das die hohen Anforderungen der Society of Automotive Engineers (SAE) an Stufe 3 des autonomen Fahrens erfüllt. Die entsprechende behördliche Zulassung erhielt der Hersteller im November vergangenen Jahres vom deutschen Kraftfahrtbundesamt.
So können Kunden von Mercedes die neue S-Klasse und den EQS seit Mitte Mai 2022 mit dem Drive Pilot bestellen. Dabei spielt das Mutterland des Automobils eine Vorreiterrolle, was die praktische Umsetzung des autonomen Fahrens betrifft. Deutschland ist das erste Land, in dem ein Automobilhersteller die Stufe 3, das sogenannte hochautomatisierte Fahren, für private Endkundenfahrzeuge im Straßenverkehr freischaltet. Auf Teststrecken fahren autonome Fahrzeuge schon seit geraumer Zeit durch die Gegend.
Damit die Stufe 3 eine gewisse Alltagsreife erlangt und entsprechend ausgestattete Fahrzeuge breit in Serie gehen können, müssen noch diverse technische Herausforderungen gestemmt werden. So ist es von entscheidender Bedeutung, dass das Auto jederzeit präzise verortet werden kann. Das Fahrzeug muss seine derzeitige Position immer genau kennen. Andere Verkehrsteilnehmer und sonstige Objekte auf der Fahrbahn müssen wahrgenommen und eingeordnet werden.
Um ein autonomes, sicheres Fahren zu gewährleisten, sind neben der exakten Lokalisierung noch weitere Anforderungen zu adressieren. Beispielsweise ist es erforderlich, das Fahrzeug präzise in der Spur zu halten, Abbiegevorgänge einzuleiten und Hindernissen verlässlich auszuweichen. Hierfür muss das System in der Lage sein, sich an Umgebungsmerkmalen zu orientieren. Nur so kann das Auto zielsicher Hindernisse identifizieren und vorausfahrende Fahrzeuge klar erkennen. Diese Anforderungen lassen sich durch die Auswertung von Sensordaten allein nicht stemmen. Vielmehr bedarf es eines hochauflösenden, digitalen Kartenmaterials, das die erforderlichen Merkmale kontinuierlich und in Echtzeit aktualisiert.
Prädestiniert hierfür ist die cloudbasierte, HD Live Map von Here Technologies. Sie umfasst alle wichtigen Daten und Informationen, auf deren Basis sich das Fahrzeug sicher und zentimetergenau in seiner Umgebung verorten lässt. Dazu zählen Informationen wie der Verlauf der Fahrbahn, die Aufteilung, Markierungen und Charakteristiken der Fahrpuren und Verkehrsregeln. Die HD Live Map zeichnet sich dadurch aus, dass sie die enthaltenen Informationen nahtlos kombiniert. So fungiert das digitale Kartenmaterial zusammen mit Sensordaten als wichtiger Wegbereiter für vorausschauendes, autonomes Fahren – sanfte Lenkbewegungen, vorsichtiges Abbremsen und flüssiger Spurwechsel inbegriffen.
Warum reicht Sensorik allein nicht aus, um diesen autonomen Fahrkomfort zu ermöglichen? Sensoren können nur spezifische Merkmale erfassen und verarbeiten. So müssen beispielsweise Verkehrsschilder und Tempolimits für Frontkameras eindeutig sichtbar sein, damit sie exakt erfasst werden können. Ist die Entfernung zum Sensor zu groß oder verdeckt, kann dieser die Merkmale nicht eindeutig erkennen und adäquat auswerten.
Ergänzendes Kartenmaterial wie die HD Live Map bietet hier einen entscheidenden Mehrwert und liefert zusätzliche Informationen, die sich mittels Sensorik nicht erzeugen lassen. Beispielsweise können anhand digitaler, hochauflösender Kartendaten bestimmte Straßentypen exakt klassifiziert werden. Zudem lassen sich mithilfe des Kartenmaterials klare Logiken und Beziehungen von Straßen und Fahrspuren zueinander herstellen. Sensoren können dies nicht immer leisten.
Darüber hinaus enthalten die Karten auch detaillierte landesspezifische Informationen. Dazu zählen etwa Verkehrsregeln und Vorschriften, die in einem bestimmten Land gelten und die von Sensorik nicht erkannt werden können. Ein weiterer Vorteil der Kartendaten: Sie umfassen auch Geschwindigkeitsbeschränkungen, die nicht ausdrücklich durch Verkehrsschilder angezeigt werden – und daher auch von Frontkameras nicht erfasst werden können.
Und schließlich stellt die HD Live Map auch Informationen über weit entfernte Situationen oder Objekte bereit, bevor diese für die Sensoren erkennbar sind. Im Ergebnis ist das digitale Kartenmaterial also für ein vorausschauendes und komfortables Fahren unverzichtbar.
Mercedes-Benz hat mit dem Drive Pilot die Ära des autonomen Fahrens in Stufe 3 für Endnutzer in privat genutzten Fahrzeugen eingeläutet. Es bleibt abzuwarten, wie und wann konkurrierende Automobilhersteller nachziehen – und wie sich die regulatorischen Rahmenbedingungen in anderen Ländern entwickeln werden.
Die Lösung Drive Pilot profitiert von hochauflösendem digitalem Kartenmaterial, das die HD Live Map von Here beisteuert. So wird das autonome, vorausschauende Fahren von der Vision zur Realität.
Philip Hubertus
ist Director Product Management Driver Assistance & Automated Driving Maps bei Here Technologies.