Interview mit CEO Nikolai Ensslen

»Synapticon beschleunigt AGV-Entwicklung deutlich!«

18. März 2024, 9:49 Uhr | Heinz Arnold
Nikolai Ensslen, Gründer und CEO von Synapticon: »Bisher mussten verschiedene Servo-Antriebe in das AGV eingebaut werden plus die teuren Sicherheitselemente. Mit Circulo ist es uns gelungen, den Antrieb ins Rad zu integrieren, einschließlich der sicherheitszertifizierten Encoder.«
© Synapticon

Synapticon zeigt auf der Logimat ein standardisiertes Konzept auf Basis der Somanet-Circulo-Serie, wie zahlreiche Komponenten im AGV (Automated Guided Vehicles) überflüssig werden und sich die AGV-Entwicklung beschleunigt.

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Was das bedeutet und mit welcher Strategie er auf neue Märkte vordringen will, erklärt Nikolai Ensslen, CEO von Synapticon, im Exklusiv-Interview.

Markt&Technik: Was seht im Mittelpunkt des Messeauftritts von Synapticon auf der Logimat 2024?

Nikolai Ensslen: Dem Thema der Messe entsprechend – Logistik und vor allem AGVs – steht unsere Komplettarchitektur auf Basis von Somanet Circulo im Zentrum. Die Hersteller können damit Automatic Guided Vehicles, AGVs, sowie autonome Mobilroboter, AMRs, sehr schnell und relativ einfach ausstatten und erhalten so die zahlreichen Vorteile unseres Systems: Wir können viele Kabel, die teuren Sicherheitskomponenten sowie zahlreiche weitere Komponenten mit dem Circulo ersetzen, sodass der Kunde nicht nur deutlich Geld spart und die Zuverlässigkeit der AGVs erhöhen kann, sondern auch noch mehr Platz für Batterien erhält.

A propos Platz: Synapticon hat also immerhin Ausstellungsfläche auf der Logimat in diesem Jahr bekommen.

Die Logimat ist ja leider vollständig ausgebucht; so wie ich gehört habe, mussten sich 200 ausstellungswillige Firmen mit einem Platz auf der Warteliste begnügen. Synapticon hat allerdings eine Möglichkeit gefunden, im Mövenpick auf dem Messegelände auszustellen. Am Mittwoch, also am zweiten Messetag, veranstalten wir über den ganzen Tag eine Vortragsreihe; die Kunden und Partner sind ebenfalls dabei. Es besteht also genügend Raum für Networking. Wir stellen dort unser gesamtes Ökosystem vor. Außerdem sind wir auch als Mitaussteller bei verschiedenen Partnern und Kunden während der drei Messetage zu finden, die auf der Logimat Aussteller sind.

Warum engagiert sich Synapticon so stark im Logimat-Umfeld?

Wir waren ja schon im vergangenen Jahr dabei, und wir haben auch in diesem Jahr auf unsere Pläne für das Event sehr gute Resonanz bekommen. Der Markt für Mobilroboter ist eben sehr wichtig für uns, und auf der Messe finden wir genau das Umfeld dafür. Denn es ist die einzige Messe mit Fokus auf Logistik in Europa, und weil die AGVs boomen, hat sich die Messe so positiv entwickelt.

Zurück zur neuen Komplettarchitektur auf Basis von Circulo: Wie kommt der plötzliche Platzgewinn im AGV zustande?

Bisher mussten mehrere separate Servo-Antriebe in das AGV eingebaut werden plus die teuren Sicherheitselemente, die hierzulande erforderlich sind, um die Sicherheitsbestimmungen erfüllen zu können. Dazu wurden meistens drei bis vier zusätzliche Kommunikationsbusse genutzt.

Mit Circulo ist es uns gelungen, den Antrieb ins Rad zu integrieren, einschließlich der sicherheitszertifizierten Encoder. Die sichere EtherCAT-Kommunikation ersetzt die bisherigen verschiedenen Busse. Kabel und viele weitere Komponenten können entfallen – und plötzlich sieht es im bisher mit Elektronik vollgestopften AGV recht leer aus.

Die einzelnen Funktionen Ihrer Lösung gibt es allerdings schon länger. Was ist das Neue?

Dass wir über die vergangenen zwei Jahre in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden – also vor allem den Rad- und Motorherstellern – einiges gelernt haben: Wir haben ihnen bisher die Technik zur Verfügung gestellt und sie und auch ihre Endkunden individuell beraten. Doch im Laufe der Zeit hat sich herauskristallisiert, was besonders gut funktioniert und was wirtschaftlich sinnvoll ist. Das haben wir in ein standardisiertes Format gebracht und können den Kunden nun alles aus einer Hand bieten, was die Entwicklungszeit beschleunigt und es ihnen besonders einfach und kostengünstig macht, neue AGVs zu entwickeln.

Doch Synapticon hatte auf der SPS im vergangenen Jahr Somanet Integro vorgestellt, ein »Paukenschlag«, wie Sie sagten, denn es handelte sich um eine komplett neue Produktlinie, mit der Synapticon massiv in Richtung des hohe Stückzahlen versprechenden Maschinenbaus vordringen will.

Was nicht heißt, dass wir deshalb die übrigen Bereiche vernachlässigen, im Gegenteil, wie ich oben bereits ausgeführt habe. Wir wollen uns aber mit Integro einen weiteren, zusätzlichen lukrativen Markt erschließen, der bedeutend größer ist als die Märkte, die wir bisher anvisiert haben. Wir wollen jetzt unsere Erfahrungen mit Cobots, AGVs und Autonomous Mobile Robots dem klassischen Maschinenbau zugänglich machen, deshalb haben wir Somanet Integro entwickelt. Es handelt sich um eine vollständig integrierte Servolösung, die das volle Potenzial aus der Kombination moderner Soft- und Hardware nutzt, um die Automatisierung deutlich effizienter zu machen. Doch Integro ist nicht auf den Einsatz im Maschinenbau beschränkt, Integro kann genauso wie Circulo auch in AGVs zum Einsatz kommen.

Spielen die Somanet-SoCs für Synapticon noch eine Rolle?

Ja, unsere SoCs sind nach wie vor ein wichtiger Teil unseres Produktportfolios. Diese kommen in kundenspezifischen Lösungen mit besonders hohen Stückzahlen zum Einsatz, z. B. in Servicerobotern, künftig auch Humanoiden – und es gibt auch einige sehr beliebte e-Bike-Antriebe, die auf Somanet-Cores der ersten und zweiten Generation basieren. Die Circulo-Serie nutzt die zweite Somanet-SoC-Generation; die neue Integro-Serie basiert auf der dritten Generation.

Also geht die Strategie dahin, integrierte Systeme auf Basis der Somanet-SoCs anzubieten, weniger die SoCs selber.

Diese Strategie haben wir in den letzten Jahren vorangetrieben und werden das auch fortsetzen. In Zukunft wird unser Chip-Angebot aber wieder wichtiger, da wir unsere integrierten Motion-Systeme, die wir heute auf Elektronik-Ebene integrieren, künftig auf der Chip-Ebene weiter integrieren werden, um Kunden insbesondere im Bereich der Massenprodukte ihre Entwicklungen möglichst einfach zu machen. Wir stehen auf der Schwelle zur humanoiden Welt, die meisten Experten sagen den humanoiden Robotern ein gewaltiges Wachstum voraus. Das ist für uns in Zukunft ein sehr wichtiger Markt. Ob diese Roboter auf Beinen gehen oder auf Rädern fahren, ist erst einmal egal. Sie können auch fest installiert sein. Zwei Arme und eine gewisse Sensorik, die für die Wahrnehmung sorgen, reichen schon aus, um in die Kategorie humanoid zu fallen.

In Japan entwickeln sich aktuell z. B. vor allem die stationären Humanoiden. Die KI hat uns die letzten Jahre sehr weit gebracht, das beflügelt auch die »Embodied AI«. Wenn die Vision von den humanoiden Robotern Realität wird, dann wird auch der Bedarf an Antriebsachsen steil in die Höhe gehen. Humanoide Roboter werden ja in Millionen- bis Milliardenstückzahlen erwartet, und jeder davon hat mindestens 24 Achsen. Entsprechend skaliert diese Anwendung nur auf Chipebene – und wir haben die genau dazu passenden Motion-Control-Chipsets, unsere Somanet-SoCs, die wir zusammen mit unseren Halbleiter-Partnern im Bereich Prozessoren, Sensoren und Leistungsbausteinen entwickeln und zur Verfügung stellen. Die Zusammenarbeit ist inzwischen so eng, dass wir sogar geteilte Patente besitzen.

Wie stellt sich die Situation auf dem Markt für die Logistik kurz vor Beginn der Logimat dar? Boomt der Markt immer noch?

Wir stehen hier vor einer paradoxen Situation. Einerseits floriert die Messe, was sich auch daran zeigt, dass bei Weitem nicht alle Unternehmen, die eigentlich ausstellen wollten, einen Platz für einen Messestand erhalten haben. Das zeigt: Die Lagerlogistik und die fabrikinterne Logistik boomen immer noch. Auch in den Bereichen Service-Roboter, besonders im Agrarsektor und für Krankenhäuser ist die Nachfrage weiterhin stark, viele Firmen bringen neue Robotertypen dafür auf den Markt.

Andererseits schlägt die allgemeine Marktschwäche durch, die besonders der Maschinenbau verspürt. Viele Firmen leiden unter einem schwächeren Auftragseingang im zweiten Halbjahr 2023. Wir sehen also gleichzeitig einen Boom und einen Abschwung. Das gilt auch für die Startup-Szene: Es gibt Startups wie 1X aus Norwegen, Figure aus Kalifornien und auch deutsche wie das Münchner Robco oder das Metzinger Neura Robotics, die offenbar keine Probleme haben, an weiteres Kapital zu kommen. Es gibt aber auch eine ganze Menge Robotik-Startups, die unter Druck stehen, weil das VC-Kapital nicht mehr so sprudelt.

Weltweit betrachtet hatte der chinesische Markt für Synapticon eine große Rolle für weiteres Wachstum gespielt. Wie sieht die Situation unter den neuen geopolitischen Gegebenheiten derzeit aus?

China war in der Tat wichtig für uns und bis Anfang 2023 ein starker Wachstumsmarkt. Im vergangenen Jahr haben wir dann die Zeitenwende zu spüren bekommen, das Jahr war schwierig. Jetzt kommt noch dazu, dass auch dort die Lager voll sind. Doch das Entscheidende ist, dass sich die chinesischen Firmen von westlichen Lieferketten unabhängiger machen wollen. Deshalb werden sich nichtchinesische Firmen in China künftig schwertun.

Sehen Sie Möglichkeiten, in China künftig dennoch Geschäfte machen zu können?

Wir geben unserem dortigen Team die Möglichkeit, sich von dem Hauptquartier in Europa unabhängiger zu machen. Die Endmontage und die Lieferketten für die Versorgung unserer chinesischer Kunden werden »chinesischer«. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, aber die Idee ist, einen Teil des Geschäftes dort zu wahren. Denn grundsätzlich schreitet die Entwicklung dort im AGV-Umfeld und der Robotik schnell voran, und davon hatten wir ja profitiert. Jetzt ist die Situation sehr viel unklarer, wir haben aber noch gute Hoffnung und empfangen positive Signale, dass China ein wichtiger Absatzmarkt für uns bleiben wird.

Gibt es weitere Wachstumsregionen?

Alles schaut nach Indien, wir auch. Es scheint sich dort einiges zu tun, vielleicht öffnet sich Indien und protektionistische Hürden, die bisher bestehen, fallen über die Zeit. Sehr gut entwickelt sich Japan für uns. Hier hat es einen Sinneswandel gegeben, das Land hat sich über die vergangenen Jahre stark geöffnet, ausländische Unternehmen haben es jetzt einfacher, als dies traditionell der Fall war. Südkorea war und ist weiterhin wichtig für uns. Zudem verstärken wir unsere Aktivitäten in den USA und auch in der ASEAN-Region, also Thailand, Malaysia und Indonesien.

Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf die kommenden zwölf Monate?

2024 ist nicht ganz leicht einzuschätzen. Wir haben noch einen guten Auftragsbestand und extrem viele neue Kundenprojekte, die wir als Design-ins bezeichnen, bei denen der Serienstart nach ein bis drei Jahren erfolgt. Die Integro-Serie ist bisher enorm gut angenommen worden und wird Ende dieses Jahres in Serie gehen. Wir erwarten nach zwei Jahren, in denen wir unser Geschäft jeweils verdoppelt haben, erneut ein 100-Prozent-Wachstum zu erreichen. Die Randbedingungen für die unmittelbare Zukunft sind aber komplex und nicht sehr berechenbar, weshalb wir gleichzeitig auch sehr vorsichtig sind.


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