Daten können toxisch sein

»Wer nicht aufpasst, bekommt Asbest statt Gold!«

30. Januar 2020, 15:56 Uhr | Heinz Arnold
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Big Data und KI in der Werbung

Es hat sich jedoch herausgestellt, dass es so einfach nicht ist. Auf der Autobahn, also dort, wo schnell gefahren und gerast wird, passiert relativ wenig. Dagegen häufen sich die Unfälle bei niedrigen Geschwindigkeiten. Gerade in der Stadt, wo viele nach Parkplätzen suchen und abgelenkt sind – es wird abrupt gebremst, nicht geblinkt, unsicher gefahren – kommt es zu vielen Unfällen. Dabei spielen viele Faktoren eine unterschiedlich große Rolle und das Problem ist, dass etliche von ihnen nicht in den Daten enthalten sind. Ablenkung durch Handy-Nutzung etwa bleibt außen vor. Risiken lassen sich aber mittels moderner Big-Data-Analyseverfahren nicht wesentlich besser zuordnen als mit den bewährten Risikomodellen der Versicherer, insbesondere, wenn Vorurteile für die Ermittlung der Risikotreiber herangezogen werden und wesentliche Datenpunkte – trotz immensen Technologieaufwands – fehlen. »Dieses Beispiel zeigt typisch, dass wir oft unsere Vorurteile dazu einsetzen, um einen Vorgang zu bewerten, in diesem Fall gutes Fahren«, sagt Dr. Andreas Braun, Head of Data+AI, Accenture Europa.

Zudem führten die Merkmale, die sich in den vielen Daten finden, nicht dazu, wirklich signifikante Aussagen treffen zu können, die beispielsweise Versicherungen nutzen könnten. »Um signifikant bessere Risikomodelle für den genannten Anwendungsfall zu bauen, sind die Kosten und Datenschutzhürden erheblich«, so Braun. Pauschal ist Big Data alleine zunächst deshalb für Versicherungen und viele weitere Unternehmen relativ wertlos: »Ich kenne keinen einzigen Fall, wo die Daten selbst – ohne passenden Anwendungsfall – bisher zu Geld geworden wären.«

Was nicht heißt, dass die Daten nicht nützlich wären. Vor allem sind sie es, um KI-Systemen erst einmal etwas beizubringen. Denn der Lernprozess erfordert sehr viele Daten, damit das KI-System möglichst das lernen kann, was es lernen soll. Es kann auch nur lernen, zu interpolieren, Transferleistungen auf einen neuen Kontext kann es nicht. Es erkennt also nur, was schon in den Daten steckt. Menschen machen Erfindungen – KI kann das nicht. Dennoch sind die Ergebnisse in einigen Bereichen bereits hervorragend, etwa in der Bild- und Gesichtserkennung und in der medizinischen Analyse. Ganz allgemein sind KI-Systeme sehr gut dazu geeignet, in riesigen Datenmengen Muster zu erkennen, solange die Aufgaben fest umrissen sind und sich auf ein spezielles Gebiet fokussieren – oder solange es genug Trainingsdaten gibt.

Allerdings handelt es sich bei den Erkenntnissen der KI immer um statistische Aussagen: Es werden Korrelationen ermittelt, nicht kausale Zusammenhänge. Deshalb ist Andreas Braun davon überzeugt, dass die KI damit schon ein hervorragendes Werkzeug ist, um dem Menschen die Arbeit zu erleichtern. Etwa in vielen Routinetätigkeiten oder der medizinischen Diagnostik. Den Menschen verdrängen kann die KI aber nicht, denn er muss abschließend beispielsweise feststellen, ob die Ergebnisse überhaupt sinnvoll sind. Denn es bedarf eines Menschen, der den Kontext kennt, um die gefundenen Korrelationen abschließend bewerten zu können. Und nur er kann abwägen, ob es sich möglicherweise um falsch-positive oder falsch-negative Ergebnisse handelt.

Es gibt also Problemstellungen, bei denen es wenig bringt, mit KI zu arbeiten, und solche, in denen KI sich sinnvoll anwenden lässt. Ein Beispiel dafür, wo sich Big Data und KI sehr gut eignen, ist die Werbung. Deshalb ist es kein Wunder, dass Firmen wie Google so erfolgreich damit sind. Doch sie sammeln vor allem personenbezogene Daten. Und auch wenn diese Daten für viele Anwendungen – beispielsweise für Versicherungsunternehmen – nicht brauchbar sind oder gar nicht verwendet werden dürfen, für Werbezwecke sind sie durchaus wertvoll. Hier kommt es beispielsweise nicht darauf an, wie jemand fährt, sondern wohin er fährt. Daraus lassen sich interessante Schlüsse ziehen. So lässt sich relativ einfach aus dem Fahrverhalten ermitteln, ob der Fahrer männlich oder weiblich ist. Ein Versicherer dürfte seine Daten (unter anderem wegen der DSGVO) von vorne herein nicht nach den Kategorien „männlich“ und „weiblich“ klassifizieren und auch keine Algorithmen anwenden, um die Klassifizierung im Nachhinein durchzuführen.

Weil sich aber aus persönlichen Daten so viel ermitteln lässt, sind sie laut Andreas Braun potenziell so gefährlich: »Wenn wir nicht aufpassen, sind sie irgendwann nicht das neue Gold, sondern das neue Asbest!« Denn zuerst scheint es, als ließen sich mit den Daten tolle Dinge umsetzen. Später kann sich jedoch herausstellen, dass sie in dieser Form gar nicht hätten gesammelt werden dürfen. Braun spricht von diversen Fällen, in denen Unternehmen einstweilen für nicht DSGVO-konform gesammelte Daten bestraft wurden. Sogar dann, wenn Firmen andere Unternehmen übernommen haben, die Daten nicht gesetzeskonform gesammelt hatten. Ein Ergebnis war, dass der Käufer erst einmal einen dreistelligen Millionenbetrag an Strafe bezahlen musste. Die Daten, die in so mancher Firma schlummern, können sich also als ebenso toxisch erweisen wie Asbest – und als ebenso teuer in der Entsorgung.

Doch wie gesagt, Daten gesetzeskonform zu sammeln und KI anzuwenden ist sehr nützlich – wenn die Anwender genau wissen, was sie wollen. So ermöglicht es KI etwa, die Firma relevanter zu machen, besser mit den Kunden zu interagieren und neue Erlebniswelten für die Kunden zu schaffen. Auch die Produktivität lasse sich steigern und Kosten senken, etwa über Process Mining, Automatisierung oder Predictive Maintenance.

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Dr. Katrin Botzen, Analytics Manager von Accenture: »Die KI kann nur erkennen, was in den Daten steckt, und daraus Vorhersagen treffen.«
© Accenture

  1. »Wer nicht aufpasst, bekommt Asbest statt Gold!«
  2. Big Data und KI in der Werbung
  3. "Daten ohne Use Case haben keinen Wert"

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