Man kann dem »Metaverse« derzeit nur schwer entgehen. Zwar steckt es derzeit noch in den Kinderschuhen, doch sollten sich die Unternehmen schon heute intensiv mit dem Thema beschäftigen.
Aktuell sind es nur einige wenige, die den Hype nutzen, um konkret Geschäfte mit dem Metaverse zu machen. Welche Auswirkungen das Metaverse in fünf oder zehn Jahren auf unser Leben, auf Industrie und Wirtschaft im Einzelnen haben wird, lässt sich heute noch gar nicht sagen.
Rein technisch ist das, was wir als Metaverse bezeichnen, zunächst einmal die Weiterentwicklung des Internets in eine digitale, dreidimensionale Welt. Diese Welt bietet den Menschen, tatsächlich natürlich ihren Avataren, die Möglichkeit, sich mit anderen (Avataren) zu treffen. Dazu benötigt man Virtual- oder Augmented-Reality-Brillen. Es ist möglich, virtuell Konzerte zu besuchen, aber eben auch digitale Häuser mit Kryptowährungen zu kaufen. Das klingt zunächst vielleicht nach einer schlichten Weiterentwicklung der Gaming-Industrie, aber künftig ist damit zu rechnen, dass sich eine Vielzahl anderer Geschäftsmodelle ebenso ins Metaverse verlagert. Auch wenn das für manchen nach Zukunftsmusik klingt, werden Menschen schon in den nächsten Jahren in den neuen digitalen Welten leben und zwischen ihnen und der realen Welt hin- und herspringen.
So neu ist es tatsächlich nicht, sich als Avatar durch eine virtuelle Welt zu bewegen. In Videospielen ist das schon seit Langem gang und gäbe. Sehr viel Entwicklungsarbeit hat dabei das US-Unternehmen Epic Games mit seiner »Unreal Engine« geleistet. Sie kommt bei der Entwicklung von Spielen für Konsolen und PCs zum Einsatz und dient dazu, die Umgebungen, in denen sich die Spieler (oder deren Avatare) befinden, möglichst realistisch darzustellen. Zahlreiche erfolgreiche Videospiele wurden seit deren Präsentation mit der Unreal Engine entwickelt.
Künftig sollen wir uns alle in dreidimensionale, virtuelle Welten begeben und dort einen Teil unseres Alltags stattfinden lassen. Dabei darf man nicht vergessen, dass es »das« Metaverse eigentlich gar nicht gibt. Hinter dem Namen, den wir derzeit jeden Tag in den Nachrichten sehen, steckt das ehemalige Unternehmen Facebook. Seine Umbenennung war so etwas wie der Startschuss für den Metaverse-Hype. Der Begriff selbst hingegen ist schon 30 Jahre alt: Erstmals erwähnt hat den Begriff (der sich aus der Vorsilbe »Meta« – also jenseits – und »Universum« bildet) der Schriftsteller Neal Stephenson in seinem Science-Fiction-Roman »Snow Crash«. Stephensons Protagonisten versuchen als Avatare ihren Status im Metaverse (einer breiten Straße, die um einen kugelförmigen Planeten führt) zu verbessern.
Wie der »jenseitige« Ort letztendlich auch heißen mag: Unternehmen müssen anders über die Arbeit und das Leben von morgen nachdenken. Die derzeitigen Metaverse-Versionen nutzen zwar noch unterschiedliche Plattformen, Partner und Technologien, aber irgendwann werden sie zu einer umfassenderen, einheitlichen virtuellen Erfahrung verschmelzen.
Einige derartige Anwendungen sind schon heute nutzbar. Manche davon sind sicherlich überbewertet, andere jedoch bieten zumindest einen konkreten Nutzwert. So gibt es jenseits der Auswüchse, die sich in Bezug auf virtuelle Immobilien ergeben haben, inzwischen Hotels, die ihren Gästen vor der Zimmerbuchung einen virtuellen Rundgang durch die Zimmer ermöglichen – inklusive Blick aus dem Fenster. Auch haben die ersten Konzerte im virtuellen Raum stattgefunden.
Dem Leben in virtuellen Räumen und Welten hat die Covid-19-Pandemie einen deutlichen Schub versetzt. Ein Konzert des US-Rappers Travis Scott im Videospiel Fortnite, also einer schon seit Längerem existierenden virtuellen Welt, zählte 27,7 Millionen Besucher. Diese Größenordnung liegt natürlich weit jenseits dessen, was Konzerthallen oder Stadien aufnehmen könnten. Im »Decentraland«, einer virtuellen Welt, die von den Machern der Kryptowährung Ethereum erschaffen wurde, gab es im Jahr 2021 Immobilientransaktionen im Gesamtwert von 110 Millionen Dollar. Das klingt in Bezug auf die Immobilienpreise in deutschen Großstädten wie München erstmal überschaubar. Man darf aber nicht vergessen, dass virtuelle Immobilien gehandelt wurden.
Der ganz große Durchbruch steht noch aus. Unternehmen sollten sich trotzdem bereits heute mit dem Metaverse beschäftigen. Denn wie sich die virtuellen Welten am Ende auf die Wirtschaft auswirken, ist noch gar nicht komplett abzusehen. Und wer bereits erste Erfahrungen sammeln konnte, ist dann im Vorteil, wenn das Leben im Metaverse an Momentum gewinnt.
Wo lässt sich für deutsche Unternehmen der passende Einstieg finden? Jenseits der eher auf den Showeffekt getrimmten und für das Metaverse-Marketing genutzten Konzerte existieren schon heute kleine, intelligente physische Welten wie etwa smarte Fabriken oder automatisierte Lieferketten. Künftig werden diese zu umfassenden intelligenten Vierteln, Städten und Ländern heranwachsen, in denen große digitale Zwillinge die physische Realität widerspiegeln. Und auch die digitale Welt wird sich weiter ausdehnen. Bald können wir uns durch neue Räume im Metaverse in fast jede Art von Welt bewegen, die wir uns vorstellen. Unternehmen werden somit einen Teil ihrer Abläufe in die digitale 3D-Welt verlagern und dort ihre eigenen internen virtuellen Umgebungen unterhalten, damit Mitarbeitende von überall aus arbeiten und miteinander kooperieren können.
Das Metaverse wird zum nächsten Evolutionsschritt, der das heutige Internet mit künftigen Anforderungen verknüpft. Die programmierbare Welt ermöglicht auf eine immer raffiniertere Weise die Einbindung von Technologie in unsere physische Umwelt. 5G, Ambient Computing, Augmented Reality und intelligente Werkstoffe verändern bereits heute die Art und Weise, wie Unternehmen mit der physischen Welt interagieren. Dieser Effekt wird sich künftig rapide weiterentwickeln und beschleunigen. Dazu tragen zunehmend intelligentere Softwaresysteme bei, mit denen man immer exaktere Simulationen und Prognosen durchführen kann. Solche Simulationen können bessere Vorhersagen treffen und Planungen erleichtern. Wichtiger Bestandteil sind dabei die digitalen Zwillinge. Mit ihnen lassen sich innerhalb der Produktentwicklung etwa Tests durchführen, wie sich verknappte oder überteuerte Rohstoffe substituieren lassen.
Doch auch in der schönen neuen virtuellen Welt ist nicht alles Gold, was glänzt.
Ein Beispiel für mögliche Gefahren sind menschlich auftretende Softwaresysteme und Technologien wie Deepfakes, die Videomaterial erzeugen, das zwar authentisch wirkt, aber mithilfe künstlicher Intelligenz verändert wurde. Das zeigt deutlich, dass eine der wichtigsten Fragen in der virtuellen Welt lautet: Was ist real und was nicht? Zusätzlich verschieben sich durch die Entwicklung einer neuen Klasse von Maschinen die »Grenzen des Berechenbaren«. Aktuell arbeiten einige Branchen immer noch an Problemlösungen, ohne die technologischen Durchbrüche und den exponentiellen Fortschritt der heutigen Rechnerleistungen zu berücksichtigen. Derartige Hürden lassen sich mit diesem Wissen jedoch viel leichter überwinden.
Multinationale Unternehmen und Konzerne sind auf diesem Weg schon weit fortgeschritten – und das lange bevor der Begriff Metaverse seinen Hype erlebte. Viele von ihnen haben ihre internen Prozesse ins Internet verlagert, um ihren Mitarbeitenden noch mehr Flexibilität bei der Wahl der Arbeitsortes zu ermöglichen, aber auch um beispielsweise Produktionsprozesse besser aussteuern zu können. Alle anderen Unternehmen benötigen jetzt vor allem eine Strategie, wie sich unter Berücksichtigung der sich rapide ändernden Parameter ihre Kunden und Partner auch künftig optimal bedienen lassen. Dazu ist es angezeigt, die eigene Online-Präsenz radikal zu verändern. Unternehmen müssen jetzt schon die nächste Plattform gestalten und sie auf Basis der neuen Gegebenheiten mit Partnern und einer zunehmend digitalisierten Belegschaft verbinden.
Es ist anzuraten, die vor uns liegenden Veränderungen aktiv mitzugestalten. Wir stehen wieder an einer Schwelle, wie vor 20 Jahren, als sich in Unternehmen die Frage auftat: Brauchen wir eine Präsenz im Internet? Diese Frage ist vollumfänglich geklärt. Inzwischen geht es um ganz andere Dinge, wie: Wird Remote Work bleiben? Müssen physische Umgebungen wirklich smart sein? Und eben auch: Muss ich mich um das Metaverse kümmern? Unsere Unternehmen bewegen sich mit Riesenschritten in eine Zukunft, die komplett anders ist, als sie das noch vor ein paar Jahren erwartet haben. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass wir schon im Laufe des nächsten Jahrzehnts eine vollständige Transformation fast aller Umgebungen erleben werden, in denen Unternehmen heute noch ihre Geschäfte tätigen. Das bedeutet nicht, dass ihr aktuelles Geschäft von heute auf morgen sang- und klanglos verschwindet. Schließlich haben sich Onlineshops als weiterer Vertriebskanal erwiesen und den stationären Handel am Ende komplementiert, statt ihn vollständig zu kannibalisieren.
Auf der einen Seite ist die aktuelle Aufgabenstellung der von vor 20 Jahren ähnlich. Es gilt, weitere Einnahmequellen zu erschließen und sich gegen neue, disruptive Wettbewerber – vor allem aus dem Umfeld der Digital Natives – durchzusetzen. Andererseits geht es dieses Mal um mehr als »nur« darum, neue Technologien zu beherrschen. Der Wettbewerb im nächsten Jahrzehnt verlangt weit mehr als technische Fähigkeiten und Innovationskraft. Es braucht eine klare Vision, wie die zukünftigen Welten aussehen sollen, inklusive des Pfades in diese Welten. Die Technologie weist dabei nur die Richtung. Die wichtigen Entscheidungen, die ein Unternehmen befähigen, in jeder Welt – gleich ob physisch oder virtuell – erfolgreich zu sein, liegen nach wie vor in den Händen der Unternehmensführung.
Der Autor
Jürgen Pinkl
ist Managing Director bei Accenture. Er startete seine Karriere nach dem Informatikstudium 1993 im Bereich Financial Services. Seit Anfang 2016 leitet er für die DACH- Region branchenübergreifend die gesamte Technologiesparte, die Dienstleistungen rund um Systemintegration, Application Outsourcing und Infrastruktur umfasst.