Digitale Transformation für Hotels

Keine Schlangen mehr vor der Rezeption

6. September 2018, 14:05 Uhr | Heinz Arnold
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Insider-Wissen kombiniert mit Marktforschung

Was wäre zu tun, damit der Gast – frei wie ein Vogel – von überall und zu jeder Zeit buchen, seine Daten eingeben, ein- und auschecken und bezahlen kann und zudem noch den Schlüssel sicher aufs Smartphone geschickt bekommt? Zusammen mit Korbinian Hackl, der zuvor die IT-Dienstleistungsagentur Appropo gegründet hatte und die jetzt 20 Mitarbeiter beschäftgt, entwickelte er das Hotelbird-Konzept.

»Wir sahen uns also dem Problem gegenüber, ein durchgängiges System zu schaffen und die Schnittstellen für die bisher getrennten Systeme zu entwickeln«, sagt Juan A. Sanmiguel. Im Vordergrund aber stand vor allem eines: »Wir wollten die Hotels als Partner einbeziehen, die auf Basis unseres Systems die digitale Transformation einleiten können, um ihre Gäste davon profitieren zu lassen und selber zu profitieren, etwa über Einsparungen bei den Prozesskosten.«

Dasselbe sollte für die Hersteller der Hotel-Property-Management-Systeme (PMS) gelten und für die Hersteller der Schlösser, die daran interessiert sind, ihre Hardware über neue Features besser zu verkaufen als bisher. Sanmiguel: »Zu keiner dieser Gruppen wollten wir in Wettbewerb treten.« Denn das hätte nur zu dem Aufbau von weiteren Inselsystemen geführt, die den Anwendern keine wirklichen Verbesserungen bringen. Es hat sich ja schon häufig gezeigt, dass genau dies der falsche Ansatz ist, der die Heim- und Gebäudeautomatisierung nicht unterstützt, sondern ihren Durchbruch eher hemmt. »Wir machen aus den Inseln ein Spinnennetz: Dann können alle kommunizieren«, verrät Sanmiguel.

Den Teufelskreis durchbrechen

Schnittstellen für die bereits existierenden Systeme zu erstellen sieht in der Theorie sehr schön aus, die Praxis hält aber einige Hürden bereit. Um seine Schnittstellen entwickeln zu können, musste das Startup die großen Ketten auf dem Hotelmarkt genauso überzeugen wie die großen Hersteller der entsprechenden Hotel-Property-Management-Systeme (PMS) wie Oracle, Infor und Sihot. Dazu ein näherer Blick auf PMS. Es handelt es sich dabei um auf Hotels zugeschnittene Software für die Zimmerreservierung. Große Hotelketten nutzen PMS vor allem auch, um das Wettbewerbsumfeld zu beobachten. Sie werden benötigt, wenn über Computerreservierungssystem und globales Distributionssystem große Volumina zur Zimmerauslastung vertrieben werden. Die Kunst besteht darin, die Zimmer einerseits nicht zu billig zu verkaufen, andererseits aber nicht auf unverkauften Zimmern sitzen zu bleiben. Auslastung, Kapazität und Nachfrage müssen die PMS ständig austarieren, um für das Hotel ein gutes Ergebnis herauszuholen.

Doch ohne dass Hotels das neue System einsetzen, überzeugt ein Startup die PMS-Hersteller nicht, sie zu integrieren – sodass die Hotels keine Chance haben, die Vorteile überhaupt kennenzulernen: ein Teufelskreis.

Eine der spezielleren Hürden: Das Hotelgeschäft ist sehr konservativ, je höher das Luxusniveau, umso mehr legen die Hotels Wert auf persönliche Betreuung. Wer mehrere hundert Euro pro Nacht im Hotel lässt, der soll sich vom Personal umsorgt fühlen.

Doch erstens hatte Sanmiguel erkannt, dass persönliche Betreuung und Digitalisierung kein Widerspruch sein muss, und zweitens gibt es mittlerweile sehr innovative Hotelketten, gerade für kostenbewusste Gäste, die gerne auf digitale, automatisierte Systeme setzen (siehe Kasten). »Es gelang uns dennoch, einige Hotelketten von unserer Plattform zu überzeugen und zu zeigen, dass sie handfeste Vorteile bringt, besonders, nachdem wir unseren Prototypen entwickelt hatten«, sagt Sanmiguel. »So konnten wir den Teufelskreis durchbrechen.«

Der sanfte Druck einflussreicher Hotelketten hätte dabei geholfen, erinnert sich Sanmiguel: »Ohne sie hätte es kaum geklappt.« Doch inzwischen haben die großen PMS-Unternehmen – selbst die amerikanischen – die neuen Schnittstellen zertifiziert. Ein langer Weg, der sich aber gelohnt habe.

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Buchen, ein- und auschecken, bezahlen – alles ohne an der Rezeption warten zu müssen.
© Hotelbird

Der Erfolg kam nicht von ungefähr: Denn schon vor der Gründung im Mai 2015 hatten sich Sanmiguel und Hackl nicht nur selber Gedanken gemacht und mit allen Betroffenen in der Hotelwelt Gespräche geführt, sondern intensive Marktforschung in Auftrag gegeben, um herauszubekommen, wo einerseits die Hotels der Schuh drückt und was andererseits die Kunden wirklich wünschen. Zudem ging Sanmiguel von Anfang an alles andere als blauäugig vor, ist er doch in einer Familie aufgewachsen, die schon seit mehreren Generationen in der Hotelbranche tätig ist. Er weiß also durchaus, von was er spricht.

Ergebnis war ein offenes System, das mit allen gängigen Schnittstellen umgehen kann – und die bisher vorhandenen Silos tatsächlich aufbrechen konnte. Dies erlaubt es den Hotels, die Routine-Kommunikationsprozesse zwischen Rezeption und Gästen zu digitalisieren, ohne ihre bestehenden Systeme wechseln und Mitarbeiter neu schulen zu müssen.

Auch die Türschlosshersteller sitzen im Boot

Doch es gibt auch noch eine dritte Gruppe von Beteiligten: Die Hersteller der Türschlösser. Denn ganz wesentlich ist das Schlüsselsystem, das ohne die entsprechend ausgestatteten Schlösser nicht funktionieren kann. »Wir konnten einen deutschen Hersteller davon überzeugen, dass wir nicht als ein neuer Hersteller von Schlössern auftreten wollen, sondern dass wir in Kooperation mit ihm etwas entwickeln, das ihm sogar hilft, seine Hardware besser verkaufen zu können. Deshalb hat er mitgemacht.« Nach diesem Schema arbeitet Hotelbird nun auch mit weiteren europäischen Hotelsystemanbietern zusammen, darunter Häfele, der schwedische Türsystem-Weltmarktführer Assa Abloy und die deutsche Messerschmitt Systems, aber auch Software-getriebene Innovatoren wie Salto Systems, Oracle Infor und Sihot.

Öffnen lassen sich die Schlösser über Bluetooth Low Energy (BLE). Dazu statten die Hersteller ihre Schlösser jetzt mit BLE aus; falls schon vorhanden, lassen sie sich mit dem System von Hotelbird über ein Software-Update nachrüsten. Falls sich die vorhandenen Schlösser nicht nachrüsten lassen oder nicht nachgerüstet werden sollen, steht an der Rezeption eine App zur Verfügung, die den QR-Code des Gastes scannt. Dann kann wie gehabt die Rezeption den Schlüssel übergeben. Oder ein Automat gibt die Schlüsselkarte aus.

Für den Gast wird alles einfacher und bequemer

So funktioniert das System aus Sicht des Gastes: Er kann die hotelübergreifende Hotelbird-App herunterladen und dann sein Zimmer buchen. Wenn er die App nicht laden will, erhält er eine E-Mail mit Zugang zu den entsprechenden Hotel-Seiten. Dann gibt er seine Daten ein, beziehungsweise vervollständigt nur die aus der Buchung oder früheren Buchungen schon bekannten Daten. Er hat die Möglichkeit, mehrere Kreditkarten zu hinterlegen, je nachdem ob er geschäftlich oder privat unterwegs ist. Dann checkt er ein und unterschreibt mit seinem Fingerabdruck auf seinem Smartphone oder Tablet. Bei der Bezahlung des Zimmers kann er voreinstellen, was er geschäftlich und was er privat abrechnen will.

Die Hotelbird-App können Hotels aber auch als voll integrierte Whitelabel-App im Design ihres Markenauftritts anbieten. Wer das System ohne App verwenden will, kann auch dies tun: Hotelbird bietet auch eine Browser-Version an, die den Zugang ohne App erlaubt. Das Hotel stellt einen „Kiosk“ in Form eines iPad zur Verfügung, den der Gast selbst bedienen kann.

Der Kunde kann auch direkt auf die Seite einer Hotelkette gehen. Beispielsweise der Intercity-Hotels, die mit Hotelbird zusammenarbeiten. Er kann dann über das Hotel-Portal buchen und ein- bzw. auschecken. Sobald der Buchungsvorgang abgeschlossen ist und er eingecheckt hat, erhält er den digitalen Schlüssel auf sein Handy. Falls das Hotel nicht über BLE-Schlösser verfügt, bekommt er den QR-Code und kann dann an der Rezeption seinen Schlüssel holen. »Das ist der Zwischenschritt zur Digitalisierung, der den Hotels immer noch spart, die Daten in verschiedene Systeme parallel eingeben zu müssen«, erklärt Sanmiguel. Die High-End-Hotels könnten so ausprobieren, wie die Gäste auf die Digitalisierung reagieren und würden den persönlichen Kontakt nicht verlieren. Das scheint zu überzeugen: Große Hotelketten wie H-Hotels, Lindner Hotels, GSH Hotels, Intercity Hotels, Novum Hospitality, Leonardo Hotels, Steigenberger Hotels, IBB Hotels, Amano Hotels und Super 8 zählen bereits zu den Kunden von hotelbird.

Nach dem Einchecken kann das Hotel dem Gast alle relevanten Angebote über die eigenen Services zukommen lassen. Die App kann ihn auch über weitere Angebote im Umfeld, beispielsweise über Restaurants, informieren; auch Zustell-Services für Essen kann der Gast in Anspruch nehmen. Nutzt der Gast sie, entstehen dem Hotel sogar weitere Einnahmequellen.


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