Weniger Tote mit Klinikatlas

Krankenhausreform soll »Überangebot an Kliniken« reduzieren

31. Januar 2024, 9:11 Uhr | Basil Wegener, dpa
© dpa Bildfunk

Ab 1. Mai sollen Patienten online das beste Krankenhaus wählen können - dem hilfreichen Klinikatlas soll laut einer Ankündigung von Karl Lauterbach unmittelbar die Krankenhausreform folgen - er will das »Überangebot« an Krankenhäusern abbauen und setzt auf mehr Fachexpertise.

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Ab dem 1. Mai sollen Patienten in Deutschland die Möglichkeit haben, vor einer Klinikbehandlung online die geeignetsten Krankenhäuser auszuwählen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte an, dass der sogenannte Klinikatlas von einer umfassenden Klinikreform begleitet werden soll. Bund und Länder verhandeln seit Monaten. Laut Lauterbach ist die Krankenhausreform »zurück in der Spur«. Die Reaktionen auf diese Ankündigungen fielen gemischt aus.

Der Klinik-Atlas soll Patienten Auskunft darüber geben, wie viel Erfahrung eine Klinik mit bestimmten Eingriffen hat, zum Beispiel bei Krebsbehandlungen. Gesundheitsminister Lauterbach äußerte sich zuversichtlich, dass das Transparenzgesetz am 22. März im Bundesrat verabschiedet werden könnte. Zuvor wird am 21. Februar der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag über das Regelwerk verhandeln, nachdem die Länderkammer es zunächst mehrheitlich abgelehnt hatte.

Vor-Ort-Versorgung versus Spezial-Klinik

»Ich bin sehr dankbar, dass die unionsgeführten Länder ihre Blockadehaltung aufgegeben haben«, sagte Lauterbach. Der SPD-Politiker kritisierte, dass bestimmte Länder den Gesetzentwurf nicht auf die Tagesordnung des Vermittlungsausschusses gesetzt hatten. In Interviews mit Tageszeitungen gab Lauterbach offen zu, dass das Transparenzgesetz für einige Bundesländer eine »Zumutung« - aus guten Grund. Lauterbach betonte, dass damit die erheblichen Qualitätsunterschiede in Bereichen wie der Krebschirurgie oder der Versorgung von Herzkranken aufgezeigt würden. Der MInister ist überzeugt, dass die Krankenhaus-Landkarte die Entscheidung von Patienten bezüglich ihrer Behandlung und der ausführenden Klinik beeinflussen wird.

Sockelbetrag statt Fallpauschalen

Die gesamte Klinikreform solle im Bundeskabinett am 24. April beschlossen werden, so Lauterbach. Zuvor werde es erneute Beratungen mit den einzelnen Bundesländern geben, nachdem diese den Gesundheitsminister unter Druck gesetzt hatten, den Gesetzentwurf bald in die Tat umzusetzen.

Ein wichtiger Punkt der Reform soll eine neue Bezahl-Methode sein: Bisher behandeln  Krankenhäuser aus Umsatzgründen möglichst viele Patientinnen, weil die Kliniken pro Behandlungsfall eine Pauschale ausgezahlt bekommen. Mit einer Senkung dieser Fallpauschalen sollen feste Beträge für einen Basis-Klinikbetrieb inklusive Personal, Notaufnahme und notwendiger Medizintechnik sorgen.

Spezialisierung soll Sterberaten reduzieren

Karl Lauterbach betonte, dass »große Qualitätsdefizite« durch eine verstärkte Spezialisierung verringert werden sollten. Aktuell würden beispielsweise ein Drittel der Krebsbehandlungen in Kliniken durchgeführt, die aufgrund mangelnder Erfahrung nicht gut darauf spezialisiert seien. Dies führe zu schwerwiegenden Komplikationen wie Sepsis. Um dies zu ändern, soll eine Einteilung der Kliniken in drei Stufen erfolgen: wohnortnahe Kliniken für Notfälle und Grundversorgung, Häuser mit Regel- und Schwerpunktversorgung und Maximalversorger wie Unikliniken.

Der Berliner Gesundheitsforscher Reinhard Busse unterstützte die Pläne von Karl Lauterbach mit eigenen Forschungsergebnissen. Seinen Erkenntnissen zufolge könnten bei Hunderten von Patienten mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder Lungenentzündung tödliche Ausgänge vermieden werden, wenn diese sich in spezialisierten Kliniken behandeln lassen würden. Eine neue Umfrage der Techniker Krankenkasse signalisierte zudem breite Unterstützung für die geplante Spezialisierung von Kliniken in der Bevölkerung. Demnach wären 94 Prozent der Menschen in Deutschland bereit, für eine geplante Operation in eine spezialisierte Klinik zu fahren, auch wenn sie weiter entfernt liegt. 66 Prozent bewerteten das Reformziel, komplizierte Behandlungen in spezialisierten Kliniken durchführen zu lassen, als gut, auch wenn damit weitere Wege verbunden sind. Ein Drittel hingegen bewerteten dies als schlecht.

»Es ist ganz klar, dass wir ein Überangebot an Kliniken haben.«
SPD-Politiker Karl Lauterbach

Die geplante Krankenhausreform, so die Prognose von Karl Lauterbach, wird voraussichtlich zu erheblichen Veränderungen in der Kliniklandschaft führen. Insbesondere in westdeutschen Großstädten dürften einige Kliniken abgebaut werden. In überversorgten Städten sind Belegungsraten von lediglich 50 bis 70 Prozent keine Seltenheit, was zu einem Mangel an Personal in anderen Einrichtungen führt. Daher seien laut Lauterbach zu viele Kliniken vorhanden.

Zukünftig könnten große Medizinische Versorgungszentren anstelle nicht mehr benötigter Kliniken treten. Gleichzeitig gebe es unterversorgte Gebiete in ländlichen Regionen, wo Kliniken durch Zuschläge am Netz gehalten werden sollen. Lauterbach wollte jedoch keine Spekulationen über die zukünftige Anzahl von Kliniken in Deutschland anstellen. Laut dem Statistischen Bundesamt gab es 2022 noch 1893 Krankenhäuser, während es im Jahr 2001 noch rund 2200 waren.

Insolvenz-Hilfe und bessere Patientenversorgung

Mit dem Transparenzgesetz sollen sechs Milliarden Euro zunächst eine drohende Insolvenzwelle bei den Kliniken abwenden. Von den unter starkem Finanzdruck stehenden Krankenhäusern stünden laut Lauterbach derzeit 120 Kliniken vor oder im Insolvenzverfahren. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) berichtete, dass fast 80 Prozent der Kliniken in Deutschland für das vergangene Jahr mit einem negativen Jahresergebnis rechneten.

Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) warf Lauterbach vor, lieber zu taktieren als konstruktiv zu verhandeln. Sie kritisierte, dass er überraschend angekündigt habe, dass die geplante Krankenhausreform im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig sein solle. Die gesetzlichen Krankenkassen, deren Ausgaben für Klinikbehandlungen zuletzt auf rund 88 Milliarden Euro im Jahr 2022 gestiegen waren, lehnten mehr Geld für veraltete Strukturen ab. Ihr Verbandssprecher Florian Lanz äußerte, dass es gut sei, wenn es jetzt zügig in Richtung mehr Qualität in der Patientenversorgung gehe und weniger um die Finanzwünsche der Kliniken und der Länder. (uh)


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