Die mRNA-Forschenden Katalin Karikó und Drew Weissmann gewinnen 2023 den Nobelpreis für Medizin. Zuvor waren beide mehrfach mit mRNA gescheitert. Neben Covid-19 kann die mRNA-Technologie auch den Kampf gegen Krebs und viele weitere Krankheiten verändern.
In den 70er Jahren hörte Katalin Karikó während einer Universitätsvorlesung in Ungarn zum ersten Mal von mRNA-Molekülen, die seit 1990 ihre Lebensaufgabe sind. Karikó wuchs in einem kleinen ungarischen Städtchen auf, wo sie sich bereits als Schülerin für Biologie interessierte. Sie studierte an der Universität in Szeged und promovierte dort über mRNA-Moleküle. Mitte der 80er Jahre zog sie dank eines Stipendiums mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in die USA - mit nur ein paar wenigen hundert Dollar in der Tasche.
Karikó verbrachte die nächsten Jahrzehnte hauptsächlich an der University of Pennsylvania, wo sie trotz zahlreicher Rückschläge und wenig Unterstützung hartnäckig blieb. 1998 traf Karikó beim Fotokopieren zufällig den Immunologen Drew Weissman, mit dem sie fortan zusammenarbeitete, um den Einsatz von mRNA als Impfstoff zu ermöglichen. Die beiden meldeten Patente für ihre mRNA-Technologie an und gründeten sogar ein eigenes Unternehmen - dennoch klappte es nicht. Da sich nicht sofort ein Medikament entwickeln ließ, verkaufte die Universität die Karikó-Weissman-Patente.
Den medizinischen Durchbruch erzielte Karikó, als sie 2013 zu BioNTech nach Deutschland ging. Sie behielt aber ihre Professorenstelle in Pennsylvania. BioNTech führte zu diesem Zeitpunkt eine klinische Studie mit mRNA durch und das Unternehmen wurde von ihr überzeugt, nukleosidmodifizierte mRNA einzusetzen. Außerdem konnte sie einen Vertrag mit Sanofi abschließen, um die modifizierte mRNA weiterzuentwickeln, so dass diese direkt in Tumore injiziert werden kann, um krebsspezifische Immunreaktionen zu fördern. Parallel arbeitete sie mit Drew Weissman und mit Pfizer weiter an einem mRNA-basierten Grippeimpfstoff, als Ende 2019 die ersten Nachrichten über COVID-19 bekannt wurden.
BioNTech wechselte daraufhin umgehend von der Grippe zu COVID-19, indem es den Impfstoff an die genetische Sequenz des neuartigen Coronavirus anpasste – und kam zügig in die Testphase zur Einführung mit Pfizer. Ein anderer, nukleosidmodifizierter mRNA-basierter COVID-19-Impfstoff des US-Unternehmens Moderna, der etwa zur gleichen Zeit zugelassen wurde, basiert ebenfalls auf der Technologie von Karikó und Weissman. Die offizielle Begründung des Nobelpreis-Kommitees ehrt ihre Entdeckungen zu Nukleosidbasenmodifikationen, die die Entwicklung wirksamer mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19 ermöglichten.
Karikó wurde im Universitätsklinikum in Philadelphia mit dem Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer geimpft, den sie selbst mitentwickelt hat. »Da bin ich ein bisschen emotional geworden«, erzählte sie 2021 der «New York Times». »Als wir auf den Flur kamen, hat der Chef der Neurochirurgie gesagt: 'Hier kommen die Erfinder dieses Impfstoffs.' Einige Menschen haben geklatscht - und das hat mich emotional gemacht und ich habe ein bisschen geweint.«
Außer in Corona-Impfstoffen könnte die mRNA-Technik nach Aussagen der Forscherin Katalin Karikó möglicherweise bald gegen etliche weitere Krankheiten eingesetzt werden. mRNA-Impfstoffe etwa gegen HIV, das Herpes-simplex-Virus (HSV), aber auch gegen Grippe seien in der Entwicklung und würden bereits in klinischen Studien überprüft, sagte Karikó dem «Deutschen Ärzteblatt».
Die Bereitstellung «der mRNA-basierten Covid-19-Impfstoffe geschah nicht über Nacht», betonte Karikó, die derzeit an der ungarischen Universität Szeged und der Universität von Pennsylvania arbeitet. Den Impfstoffen seien etwa 60 Jahre intensiver Forschungsarbeit vorangegangen. Der Schub durch die Corona-Pandemie könnte sich auf die Entwicklung weiterer Impfstoffe auswirken.
Karikó verwies auf mehrere Impfstoffe, die in klinischen Versuchen schon besonders weit gekommen seien: Aktuell gebe es etwa Phase-3-Studien zum Einsatz von mRNA-basierten Impfstoffen gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV), das Atemwege befällt, und gegen Grippeviren.
Ein weiterer interessanter Aspekt seien übergreifend wirkende Impfstoffe gegen Erreger, die von Zecken übertragen werden. Die derzeit noch an Tieren geprüfte Impfung richte sich gegen verschiedene Proteine im Zeckenspeichel, die Erregern helfen, sich im Wirtskörper auszubreiten. «Als Tiere damit geimpft wurden, zeigten sich nach dem Zeckenstich Rötungen an der Einstichstelle, aber die Immunreaktion unterband die Ausbreitung der Erreger sofort», sagte Karikó. Auch für die Behandlung von Krebserkrankungen biete die RNA-Technik große Potenziale. (uh)