Man soll Stärken stärken, nicht Schwächen schwächen. Darüber herrscht Konsens. Aber Sie sprechen von ‘Schwächentransformation’, was ist das?
Schwächen sind sehr ok, schließlich sind sie doch nur übertriebene Stärken oder auch unterentwickelte Potenziale. Was heißt das? Die erste Frage, die ich jemanden stelle, der wissen will, wie er/sie mit Schwächen umgehen soll ist: Für wen ist das ein Problem? Meist trauen sich Menschen, die sich selbst stark hinterfragen nicht, sich mit ihren Ecken und Kanten anderen Menschen zuzumuten. Still und leise ertragen sie zwar die Macken anderer Leute (und sagen nichts!), zeigen selbst aber kein Profil. Das ist das Leid der Introvertierten, die anderswo natürlich wieder ihre Stärken haben. Anders herum gibt es ‘Rampensäue’, die sich ohne Rücksicht auf Verluste anderen zumuten – ohne mit der Wimper zu zucken oder gar die Scherbenhaufen, die sie produzieren, gar nicht erst mit sich in Verbindung bringen. Irgendwo gibt es situativ das gesunde Mittelmaß.
Schüchternen, selbstunsicheren Personen zeige ich Wege auf, dass ihre Schwächen ihr eigenes Wahrnehmungsproblem sind und arbeite dann an deren Selbst-Bewusstsein. Andere ‘zwinge’ ich dazu, ihre Dominanz zu hinterfragen und welche Wirkung sie damit erzeugen. Betroffenheit ist der Schlüssel zur Selbsterkenntnis. Wenn jemand keine Problemeinsicht hat, kann er sich nicht weiter entwickeln. Erkennt jemand eigene geglaubte Schwächen, arbeite ich daran, sie evtl. auch umzudeuten. Diese Methode nenne ich ‘Schwächentransformation’, weil sie Schwächen auf einmal gedanklich in Stärken verwandelt (‘transformiert’) und ein anderes Bewusstsein zu sich selbst fördert.
Beispiel: Ein vorsichtiges Auftreten wird von anderen Menschen manchmal als Schwäche ausgelegt und die Person erscheint als entscheidungsunfreudig. Die eigentliche Stärke von ‘’Vorsicht’ ist aber nicht, keine Entscheidungen zu treffen, sondern gut durchdachte und wohl kalkulierte. Die Nachhaltigkeit ist bei Vorsichtigen also oft stärker ausgeprägt, als bei schnell entschiedenen Luftnummern. So kann jede Person, angemessen stolz auf sich sein und sich nicht von sich selbst und anderen unnötig verunsichern lassen.
Sie arbeiten als systemischer Coach, schauen auf die Herkunftsfamilie – Hilfe, das klingt nach Hellinger und Familienstellen. Was genau passiert da?
Wir gehen zusammen die Herkunftsfamilie durch: Welche Stärken hatte beispielsweise meine Oma väterlicherseits? Welche Werte waren ihr wichtig? Welche Gewohnheiten hatte sie? Welche Schwächen hatte sie? Wie hat sie gestritten? Wie geliebt? Wie kommuniziert, usw. Es gibt tausend Facetten, die wir bei Menschen wahrnehmen können und das, besonders bei uns nahen Verwandten. Hier gilt das Sprichwort ‘Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.’ Man erbt doch eine ganze Menge an Genen (z.B. Intelligenz, Körperbau, etc.).
Zusätzlich kommt dann noch die soziale Prägung in den ersten Lebensjahren. Ein Kind beobachtet seine Eltern, seine Geschwister und findet seine Position – und die dazugehörigen ‘Überlebensmuster’. Ein weibliches Nesthäkchen kann beispielsweise sehr charmant mit den Augen blinzeln und der Vater erfüllt ihr alle Wünsche. Andererseits kann ein weibliches Nesthäkchen durch Manipulation, Hilflos-Spielen und Liebesentzug schon dafür sorgen, dass andere im späteren Leben genau das machen, was es will. Ein männlicher Erstgeborener kann in entsprechenden Konstellationen schon früh eine Verantwortungsrolle übernehmen, die ihn später in eine Führungsrolle katapultiert.
Vielleicht ist auch der Vater früh verstorben und er musste seine Rolle kompensieren, dann gewinnt er auch noch mal andere Facetten. All das, was in der frühkindlichen Prägung, der genetischen Ausstattung, der pubertären Entwicklung, im jungen Erwachsenenalter und durch sonstige Lebensereignisse und Krisen passiert, wird auf unserer ‘Festplatte’ gespeichert. Wie Baumringe prägt das alles uns.
Und das reflektiert man mit einem ‘Stärkengenogramm’. Das ist schon eine tiefgehende Biografie- und Identitätsarbeit, wenn man sich darauf einlässt und öffnet einem die Augen. Von selbst kommt man da selten drauf, weil wir uns nicht wie Baron Münchhausen selbst therapieren können. Es ist ja auch keine Therapie, kann aber sehr tief gehen und bestimmte Themen auch heilen. Als systemischer Coach achte ich natürlich intensiv auf das Umfeld, aus der eine Person kommt und auf das Umfeld, in der eine Person aktuell lebt. Wenn ich manchmal durch den Supermarkt gehe und den Radar eingeschaltet habe, erkenne ich solche Muster bei den Leuten. Das ist schon etwas spooky, aber meine Einschätzungen treffen zu 80-90% zu.
Ein anderes Instrument von Ihnen nennt sich ‘Ikigai’. Wie hilft mir das bei meiner Karriere weiter?
IKIGAI hat japanische Wurzeln in der Philosophie und hilft im Coaching die einzelnen Bestandteile zu reflektieren. Es hilft zu reflektieren, was mich antreibt (Werte, Motive, Wille, Ziele), was ich gut kann (Stärken, Talente, Potenziale). Das ist der innere Part. Nach aussen wirkt dann alles und reflektiert, was die Welt braucht (persönliche Mission und Berufung) und wofür der Markt bezahlt (Beruf, Job, Gelderwerb). Es ist ein interessantes Tool, alles Facetten unter einen Hut zu bringen oder eine Bestandsaufnahme der bisherigen Biografie zu machen. In Verbindung mit dem Stärkengenogramm ist das ein richtig gutes Reflexions-Tool. Mit dem richtigen Coach an der Seite entfaltet es die vollen Wirkpotenziale und kann z.B. in der Karriereberatung wunderbar genutzt werden.
Die Fragen stellte Corinne Schindlbeck