Markt&Technik Spitzentreffen

Narzissmus - Spiegel unserer Gesellschaft?

29. Juni 2015, 11:20 Uhr | Corinne Schindlbeck
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Fortsetzung des Artikels von Teil 2

Warum Narzissten heute ausgezeichnete Karrierechancen haben

Dem österreichischen Gerichtspsychiater und Neurologen Prof. Reinhard Haller, dem zweiten Referenten des »Markt&Technik Spitzentreffens« an Tag 2, ist keine Perversion fremd. Er untersuchte unter anderem den Inzest-Fall Josef Fritzl und das Attentat von Winnenden.

In seinem Vortrag »Die Narzissmus-Falle« erklärt Haller, warum Narzissten heute ausgezeichnete Karrierechancen haben: Man findet narzisstische Persönlichkeiten vor allem in Führungs-, also Machtpositionen, etwa drei- bis viermal häufiger als im Bevölkerungsdurchschnitt (ca. 4 Prozent).

Narzissmus sei ein Zeitgeistphänomen, gar nicht per se pathologisch, sondern eine auch eine »psychische Urkraft« in der Entwicklung der Menschheit. Narzisstische Züge trage jeder Mensch in sich, »auch ich selbst«, wie er zugibt, das Internet sei jedoch ein ideales Medium, um solche Züge zu verstärken.

Wie erkennt man Narzissten? Sie sind extrem ich-bezogen, eloquent, charmant, mitreißend. Das lässt sie oft vermeintlich charismatisch wirken. Charismatiker sind jedoch - anders als Narzissten - "Ich –stark" und authentisch, mit positiver Aura, sensibel für andere und begeisterungsfähig , ideen- und sachorientiert und dickhäutig.

Der Narzisst dagegen baut auf den schönen Schein und ordnet alles der eigenen Selbstdarstellung unter, ist nur sich, niemals der Sache verpflichtet. Haller: »Er braucht Lob und Anerkennung wie ein Süchtiger seine Drogen«. Um im Bild zu bleiben: Wenn man sich den Charismatiker als Weinkenner und -liebhaber vorstelle, so sei der Narzisst der Junkie.

Hinter der selbstverliebten Fassade sind Narzissten sehr leicht kränkbar, selbst durch sachliche Kritik sind sie verletzt und reagieren meist aggressiv. Sie zeigen wenig Empathie und gehen für ihr Ziel »über Leichen«, Menschen sind vor allem Instrumente zur persönlichen Zielerreichung. Der schöne Schein und seine Wirkung auf die Umgebung steht für Narzissten an erster Stelle. Sie wollen, nein müssen bewundert werden. Darum sind sie oft auch sehr leistungsbereit.

Warum man Narzissten so häufig in Führungsetagen findet? Weil sie als emotionslose und durchsetzungsstarke Chefs ein Ideal erfüllen. Zu Beginn leisten narzisstische Chefs gute Arbeit, sie wissen zu führen, zu überzeugen, setzen sich durch, ohne dass ein schlechtes Gewissen plagt. Damit kann ein narzisstischer Chef wichtige Impulse setzen, etwa für organisationale Change-Prozesse.

Auch für Innovationen bringen Narzissten die manchmal notwendige Kaltblütigkeit mit, die Aussicht auf Ruhm und Ehre bei Gelingen der Idee ist ihr Taktgeber. Das hat eine Studie des Lehrstuhls für Technologie, Innovation und Entrepreneurship an der Uni Augsburg 2013 ergeben: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen in neue Technologien investiert, ist umso höher ist, je narzisstischer der jeweilige CEO ist.

Narzissmus an der Spitze schlage aber oft nach ein paar Jahren um, erklärt Prof. Haller, mit den Jahren wirke ein Narzisst zerstörerisch auf ein Unternehmen. Umgeben von »Jubelknechten«, die ihm bedingungslos folgen, schwächt er seine eigene Basis, was zu Kontrollverlust und Absturz führen kann.

»Wenn Sie Ihren Chef als Narzissten erkennen, dann bewahren Sie Ihre Autonomie und distanzieren Sie sich, entziehen Sie sich seinem Einfluss, um sich zu schützen. Spiegeln Sie ihn, blicken Sie hinter seine Fassade. Zeigen Sie ihm Grenzen auf, loben Sie ihn nicht. Das trifft ihn am meisten«, so Haller. Und: »Bewahren Sie Humor, denn Lachen wird ein Narzisst immer als "Auslachen" seiner Selbst interpretieren.«

Derart abhängig von Lob, reagieren narzisstische Menschen auf Kritik oder Bloßstellung mit oft unbeherrschbarem Zorn, mit blinder Wut, Rachegefühlen und Aggressivität. Wie geht man mit Kränkungen durch den narzisstischen Chef um?

Man könne sie durch gewisse Strategien kompensieren und nicht an sich heranlassen, etwa durch die »Zeitungsperspektive«, das schaffe den nötigen Abstand, so Haller: »Wäre Ihr Problem gerade eine Bildzeitungs-Schlagzeile wert? In der Regel nein.«

Aber häufig, so Haller, sei es am besten, das Unternehmen samt dem narzisstischen Chef zu verlassen, bevor der Arbeitsalltag zur Qual, zum jahrelangen Negativ-Stress werde.


  1. Narzissmus - Spiegel unserer Gesellschaft?
  2. Alles nur Spiel?
  3. Warum Narzissten heute ausgezeichnete Karrierechancen haben

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