Sie hatten die MEMs erwähnt. Ist das ein Thema, um das sich die SEMI besonders hier in Europa kümmert? Ist Europa in der Halbleiterfertigung nicht endgültig abgehängt?
MEMS sind ein Beispiel für einen Sektor, auf dem sich Europa keinesfalls verstecken muss. Ein anderes großes Thema, das sogar vielfältig damit zusammenhängt, ist Advanced Packaging. Auf diesem Gebiet gibt es in Europa ebenfalls ein starkes Momentum. Das wiederum gibt wichtige Impulse an den Testsektor, denn viele ICs in unterschiedliche in Gehäuse auf Basis unterschiedlicher Techniken zu integrieren erfordert viele neue Testmethoden und ganz neue Testzwischenschritte. Auf der SEMICON-Europa-Konferenz während der electronica 2018 werden wir diese Fragen auf breiter Basis diskutieren.
Wo besteht im Moment großer Diskussionsbedarf?
Derzeit sind einige Materialien knapp, zudem stellen Materialien oft den Flaschenhals in der Produktion dar. Deshalb haben wir den Materialien auf der SEMICON Europa einen eigenen Konferenzteil gewidmet. Wir erleben gerade, dass die Materialien und die Fertigung – Stichwort Leiterplatten, aber das gilt für viele Bereiche – wieder nach Europa zurückfinden. Leistungshalbleiter verlangen nach neuen Materialen, die Optoelektronik die MEMS-Sensoren, III-V- und II-VI-Verbundhalbleiter erleben einen Aufschwung genauso wie GaN, SiC und Graphen. Und natürlich dürfen wir auch nicht die Batterien vergessen, denen ebenfalls unter dem Motto „Batteries meet SEMICONductors“ eine Session gewidmet ist. Hier treffen sich also die Entwicklungen aus unterschiedlichen Sektoren wie erneuerbare Energien, Smart Grid, alternative Antriebe und autonomes Fahren bis hin zu Industrie 4.0.
Auf den Gebieten der neusten Halbleitertechniken kann Europa aber keine Rolle mehr spielen, zumal jetzt auch Globalfoundries den 7-nm-Prozess nicht weiter vorantreiben will.
Auf dem Gebiet „More Moore“ haben Asien und die USA die Nase vorne, das ist richtig. Aber es gibt ja einen weiten Bereich rund um More than Moore: Produkte wie Leistungshalbleiter, MEMS, HF-ICs, Advanced Packaging sowie Sensoren und Marktsektoren wie Smart Grid, erneuerbare Energien, Industrie 4.0, Automotive und vieles mehr. Dass es sich um weit mehr als eine kleine Nische handelt und sich gut dort wachsen lässt, zeigen Firmen wie Bosch, Infineon und STMicroelectronics. Zu erwähnen ist hier auch Globalfoundries mit ihrem FD-SOI-Prozess. Zugegeben ist das nicht die Größenordnung von Intel oder TSMC, aber es tut sich auf diesem Gebiet sehr viel und es ist zukunfts- und ausbaufähig.
Nun hatte sich Europa Anfang des Jahrtausends hohe Ziele gesetzt. Im Rahmen der Lissabon-Agenda war im Jahr 2000 von einem Halbleitermarktanteil von 20 Prozent die Rede. War das schon von Anfang an unrealistisch?
Das 20-Prozent-Ziel war unrealistisch. Europa liegt jetzt bei 9 Prozent, das sehe ich als ein gutes Niveau an, vor allem, weil es schon über längere Zeit gehalten werden konnte und weil es ausbaufähig ist. Europa muss die Stärken, die vorhanden sind, unbedingt weiter ausbauen.
Was die Politik jetzt verstanden hat?
Das sieht sehr danach aus: Seit einigen Jahren räumt die EU-Kommission der Halbleitertechnik den Rang der Schlüsseltechnik für alle Zukunftsmärkte von KI über Industrie 4.0 bis zur Vernetzung ein. Das Gleiche tun die nationalen Regierungen und die zuständigen Regionalbehörden. Alle wissen inzwischen, dass Chips die Grundlage sind, und das lässt sich auch an den Fördermaßnahmen erkennen, die von EU-Ebene über die Länderregierungen ineinander verzahnt bis auf die Regionalebene durchschlagen. Das funktioniert, ich erwähne nur den Cluster rund um Dresden. Als SEMI arbeiten wir eng mit den europäischen Regionen zusammen. Hier wird die Politik der derzeitigen US-Regierung sogar noch und wohl nicht so intendiert zusätzlichen Schub geben. Ich bin optimistisch, dass sich so der Anteil der Europäer von den 9 Prozent ausgehend weiter erhöhen wird.
In Europa gibt es auf die Halbleiterforschung spezialisierte Institutionen wie die Fraunhofer-Gesellschaften, das Imec und CEA-Leti. Entstehen da nicht bisweilen Wettbewerbssituationen, die dem eigentlichen Ziel, die europäische Halbleiterindustrie insgesamt zu stärken, entgegen wirken?
Bei den genannten Einrichtungen handelt es sich um weltweit führende Forschungsinstitute. Sicherlich gibt es zwischen den jeweiligen Arbeitsgebieten auch Überschneidungen. Und etwas Wettbewerb ist ja sicherlich nicht schlecht. Weltweit führend sind diese Einrichtungen – und noch einige weitere mehr – vor allem aber, weil sie kooperieren und es Verbände wie die SEMI gibt, die die Zusammenarbeit orchestrieren. Alle haben ihre jeweiligen Kernkompetenzen, Imec etwa im Bereich EUV, Leti im Bereich E-Beam und Fraunhofer im Advanced Packaging. Alle drei arbeiten hier eng und komplementär zusammen, denn alle drei Techniken müssen eng aufeinander abgestimmt werden, wenn es darum geht, die 3D-Gehäusetechnik für künftige Systeme zu entwickeln. Deshalb arbeiten die größten global tätigen Hersteller mit diesen Institutionen zusammen, um ihre jeweiligen eigenen Ansätze vorantreiben zu können. Diese Institutionen bringen also Innovationen global auf den Weg.
Das bringt auch messbare Erfolge für Europa?
Auf Basis dieser Anstrengungen entstehen in Europa hochqualifizierte Fertigungseinrichtungen. Gerade auch wegen der Entwicklungen rund um IoT und KI bis hin zum 3D-Druck wandern viele Produktionsschritte, die in der Vergangenheit ausgelagert wurden, wieder nach Europa zurück.
Was würden Sie sich für die nächste Zukunft wünschen?
Weitere eng aufeinander abgestimmte Projekte, ein durchgängiges Umfeld, um Hardware- und Software-Tools und damit die Voraussetzungen zu schaffen, dass in Europa weiterhin die fortschrittlichsten Fertigungsmethoden Einzug halten können.