EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will Europa über ein eigenes Chip-Ecosystem aus der Abhängigkeit von ICs aus Asien und den USA befreien.
Dazu soll ein eigener »European Chips Act« ins Leben gerufen werden, wie sie in ihrer Rede zur Lage der EU gestern erklärte. Das Gesetz soll den Rahmen geben, um eine umfassende europäische Infrastruktur für die Chipindustrie – einschließlich Forschung, Entwurf und neuester Fabs – aufzubauen. Die USA hatten im vergangenen Jahr ein ähnliches Gesetz auf den Weg gebracht, den CHIPS for America Act, über den die eigene IC-Industrie gestärkt und die Abhängigkeit von Asien reduziert werden soll. Außerdem sieht die US-Regierung die IC-Industrie als eine wesentliche Industrie an, um im weltweiten Technologierennen ganz vorne mit dabei zu sein.
Breton kämpft für die 2-nm-Fab
Auch Binnenmarktkommissar Thierry Breton engagiert sich seit längerem für den Aufbau einer starken europäischen Chip-Industrie einschließlich Forschung, Produktion in 2-nm-Fabs und internationaler Zusammenarbeit. Er will Europa in die Lage versetzen, bis 2030 rund 20 Prozent der weltweit hergestellten Chips zu produzieren, ein ambitioniertes Ziel, denn der aktuelle Anteil liegt bei 9 Prozent. Zur Finanzierung schlägt er vor, einen European Semiconductor Fund aufzusetzen, der sich aus verschiedenen EU-Fonds speisen müsste. Es ginge nicht darum, einfach nur genügend Chips für Autos, Smartphones und Gaming zu produzieren: »Das Rennen um die fortschrittlichsten Chips ist das Rennen um die wirtschaftliche und technologische Vormachtstellung in der Welt.«
Von der Leyen sieht die Chance, dass Europa über die Entwicklung bahnbrechender Technologien im Halbleitersektor in neue Märkte vordringen könne und ist ebenso wie Breton überzeugt, dass es darum gehe, Europa die technologische Souveränität zu sichern, die heute nicht gegeben sei, weil Europa von den Hochleistungschips aus Asien abhänge.
IC-Knappheit bedroht Covid-19-Erholung
Laut Breton werde der Aufbau einer eigenen europäischen Chipindustrie noch aus einem weiteren sehr aktuellen Grund von großer Bedeutung: Die Erholung von der Covid-19-Pandemie in Europa: Sie sei durch den aktuellen Engpass im IC-Sektor bedroht. Letztes Jahr hatte die EU-Kommission beschlossen, ein Fünftel des 750 Mrd. Euro schweren Covid-19 Recovery Funds für digitale Projekte auszugeben.
Dass das Ziel, eine eigene europäische Chipindustrie aufzubauen, nicht leicht zu erreichen sein wird, sondern eine große Herausforderung darstellt, sieht von der Leyen selbstverständlich. Aber Europa hätte schon andere große Projekte auf die Beine gestellt, die von vielen anfangs für unmöglich gehalten worden wären, etwa das Navigationssystem Galileo. Diese Erfolgsgeschichte könne nun auf dem Sektor der Halbleiter wiederholt werden.