Europäischer Rechnungshof

EU verfehlt Halbleiterziel – Realitäts-Check gefordert

29. April 2025, 6:48 Uhr | Iris Stroh
© Alterfalter/stock.adobe.com

Die EU wird ihr Ziel von 20 Prozent Marktanteil bei Mikrochips bis 2030 voraussichtlich verfehlen. Zwar bringt das Chip-Gesetz Impulse, doch fehlen Investitionen, klare Vorgaben und Realismus. Silicon Saxony fordert gezielte Förderung starker Halbleiterregionen.

Diesen Artikel anhören

In einem aktuellen Bericht des Europäischen Rechnungshofs heißt es, dass die EU wohl kaum wie geplant bis 2030 einen Anteil von 20 Prozent am Weltmarkt für Mikrochips erreichen wird. Zwar habe das Chip-Gesetz der EU von 2022 der europäischen Mikrochip-Industrie neuen Schwung verliehen, doch werde sich durch die entsprechenden Investitionen die Position der EU in dieser Branche wohl nicht deutlich verbessern.

Kurzer Blick zurück: Die Lieferengpässe auf der Halbleiterseite während der Corona-Pandemie machten deutlich, wie wichtig Mikrochips sind. Daraufhin wurde in der Strategie der EU für die sogenannte digitale Dekade das bereits damals schon als sehr ambitioniert angesehene Ziel festgelegt, dass die EU bis 2030 einen wertmäßigen Anteil von 20 Prozent an der weltweiten Produktion hochmoderner und nachhaltiger Mikrochips erreicht. Laut den Prüfern hat die EU-Kommission bei der Umsetzung ihrer Strategie akzeptable Fortschritte erzielt, doch bestehe eine Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die überbrückt werden müsse.

»Die EU muss ihre Strategie für die Mikrochip-Industrie dringend einem Realitäts-Check unterziehen«, so Annemie Turtelboom, die als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs für den Bericht zuständig ist. »Die Entwicklung in der Branche ist rasant, und es gibt einen intensiven geopolitischen Wettbewerb. Wir hinken unseren ehrgeizigen Zielen derzeit weit hinterher. Das 20-Prozent-Ziel ist sehr hoch angesetzt – um es zu erreichen, müssten wir unsere Produktionskapazität bis 2030 etwa vervierfachen. Ein solches Tempo ist momentan in keinem Bereich erkennbar. Europa muss am Wettbewerb teilnehmen, und die EU-Kommission sollte ihre langfristige Strategie überarbeiten, um der Realität vor Ort gerecht zu werden.«

Die EU-Kommission komme nur für 5 Prozent (4,5 Milliarden Euro) der im Chip-Gesetz bis 2030 vorgesehenen Mittel von rund 86 Milliarden Euro auf. Der Rest müsse von den EU-Ländern und der Industrie bestritten werden. Die weltweit führenden Chip-Hersteller hätten im Vergleich dazu in einem Zeitraum von nur drei Jahren (2020 bis 2023) 405 Milliarden Euro an Investitionen aufgebracht, was die finanzielle Schlagkraft des Chip-Gesetzes minimal erscheinen lasse.

Allerdings – so betonen die Prüfer – habe die EU-Kommission kein Mandat, die nationalen Investitionen auf EU-Ebene zu koordinieren, sodass sie mit den Zielen des Chip-Gesetzes im Einklang stehen. Darüber hinaus fehle es dem Chip-Gesetz an Klarheit bei Zielvorgaben und Überwachung, und es sei schwer zu sagen, ob es der derzeitigen Nachfrage der Industrie nach herkömmlichen Mikrochips hinreichend Rechnung trage.

Den Prüfern zufolge beeinflussen mehrere weitere Schlüsselfaktoren die Wettbewerbsfähigkeit der EU in diesem Bereich und die Chancen auf eine erfolgreiche Umsetzung des Chip-Gesetzes. Dazu gehörten die Abhängigkeit von Rohstoff-Importen, die hohen Energiekosten, Umweltbelange, geopolitische Spannungen und Ausfuhrkontrollen sowie der Fachkräftemangel. Außerdem bestehe die Mikrochip-Industrie in der EU aus einigen wenigen großen Unternehmen, deren Projekte oft große Summen erforderten, was zu einer Konzentration der Mittel führe. Der Abbruch, die Verzögerung oder der Misserfolg eines einzelnen Projekts könnten daher erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Branche haben.

Insgesamt stellten die Prüfer fest, dass sich durch das Chip-Gesetz der Anteil der EU am Mikrochip-Markt aller Voraussicht nach nicht deutlich erhöhen wird und dass das Ziel von 20 Prozent der Weltproduktion wohl kaum erreicht wird. So gehe auch die EU-Kommission in ihrer im Juli 2024 veröffentlichten Prognose davon aus, dass – trotz eines erwarteten deutlichen Anstiegs der Produktionskapazität – der Anteil der EU an der globalen Wertschöpfungskette in einem rasch wachsenden Markt insgesamt nur geringfügig steigen wird: von 9,8 Prozent im Jahr 2022 auf 11,7 Prozent im Jahr 2030.

Hintergrundinformationen

Als Teil der Industriepolitik der EU wurde im Februar 2022 – vor dem Hintergrund der durch die Corona-Pandemie verursachten Störungen der globalen Lieferkette – das Chip-Gesetz vorgelegt. Ziel des Chip-Gesetzes war es, die Versorgungsengpässe bei Mikrochips zu bewältigen und die technologische Führungsrolle der EU zu stärken. Die Verordnung über das Chip-Gesetz trat im September 2023 in Kraft.

Dem Chip-Gesetz ging die Strategie von 2013 voraus, mit der die Mikro- und Nanoelektronik-Branche gestärkt werden sollte. Die Produktionskapazität der EU für Mikrochips wurde seit 2013 zwar deutlich gesteigert, hielt jedoch nicht mit dem weltweiten Wachstum Schritt, sodass der Anteil der EU am Weltmarkt zurückging.

Das Chip-Gesetz wurde unter relativem Zeitdruck ausgearbeitet – unter anderem, da mit ihm auf die Versorgungsengpässe nach der Corona-Pandemie reagiert wurde. Daher wurden die Standardverfahren für die Ausarbeitung von Rechtsvorschriften – zu denen etwa eine Bewertung früherer Strategien und eine Folgenabschätzung des Vorschlags gehören – nicht vollständig befolgt.

Die Europäische Kommission muss dem Europäischen Parlament und dem Rat bis September 2026 ihre erste Zwischenbewertung und Überprüfung des Chip-Gesetzes vorlegen.

Mikrochips sind kein Luxus, sondern Überlebensfrage für Europas Industrie

Frank Bösenberg, Geschäftsführer Silicon Saxony, kommentiert: »Der Bericht des Europäischen Rechnungshofes unterstreicht eindrucksvoll, dass Europa seine Chip-Strategie dringend an die globale Realität anpassen muss. Die technologische Souveränität Europas entscheidet sich in einem beispiellos hart umkämpften und extrem kapitalintensiven Markt. Subventionen für die Halbleiterindustrie sind mit denen anderer Industrien nicht vergleichbar. Mikrochips sind das Rückgrat nahezu aller Zukunftstechnologien von Mobilität über Energie bis hin zu KI. Investitionen in Milliardenhöhe erscheinen hoch, sind aber notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas überhaupt zu sichern. Regionen wie Silicon Saxony, aber auch die anderen in Silicon Europe organisierten Halbleiter-Ökosysteme wie stellvertretend z.B. Rhône-Alpes, Leuven, Eindhoven oder Villach sind Erfolgsbeispiele und beweisen schon heute, dass Wachstum und Innovation möglich sind. Um jedoch die ehrgeizigen Ziele Europas im Chipsektor zu erreichen und die Wettbewerbsfähigkeit wirklich nachhaltig zu sichern, müssen diese starken Regionen gezielt gestärkt und weitere Technologiezentren aufgebaut werden. Entscheidend dafür sind wettbewerbsfähige Energiepreise, gesicherter Zugang zu Rohstoffen, beschleunigte Genehmigungsverfahren und eine europäische Fachkräfteoffensive. Die Chip-Zukunft Europas entscheidet sich nicht nur in Strategiepapieren, sondern durch konkrete Investitionen vor Ort. Silicon Saxony ist bereit, diesen Weg entschlossen mitzugestalten – schnell, realistisch und mit dem klaren Ziel, Europas technologische Unabhängigkeit zu sichern.«


Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Europäische Kommision

Weitere Artikel zu Wirtschaft & Politik

Weitere Artikel zu Halbleiterfertigung