Um Anreize zu schaffen, dass in Europa Fabs entstünden, die auch ICs auf Basis der neusten Prozessknoten fertigen, müssten also erst einmal die entsprechenden Abnehmer hier aufgebaut oder hierher gelockt werden?
Esser: Wenn im KI-Umfeld in Europa große Abnehmer entstünden, dann wäre das auch ein Anreiz dafür, hier High-End-Chips zu produzieren. Dasselbe gilt, wenn in Europa ein nennenswertes Quantencomputer-Umfeld entstünde. Deshalb ist es zu begrüßen, dass der Aufbau einer Quantencomputer-Industrie im IPCEI 2 ausdrücklich vorgesehen ist. Im Moment fehlen in Europa auf diesen Gebieten noch die großen Akteure und auch die potenten Investoren.
Solche Unternehmen und Investoren könnten aber auch von außen kommen.
Esser: Das wäre ebenfalls eleganter Weg, um hier die Halbleiterindustrie weiterzuentwickeln. Gerade erst hat Apple angekündigt, in München für 1 Mrd. Dollar ein Designzentrum für Chips aufbauen zu wollen. Der Standort hier ist also für ausländische Investoren schon jetzt sehr interessant. Was spräche dagegen, etwa TSMC dazu zu verlocken, eine Fab in Europa zu bauen? Solange wir hier etwas davon hätten, wohl nichts.
Im Gegenteil, die Politik würde sich freuen …
… und es wäre ja eine Perle für jede Regierung, wenn sich ein großer Investor wie Apple hier ansiedelt.
Die europäische und deutsche Halbleiterindustrie war also über die vergangenen zehn Jahre sehr erfolgreich darin, die politischen Ebenen von der strategischen Bedeutung dieser Technologie zu überzeugen?
Bösenberg: Das sieht man schon daran, dass die Halbleiterindustrie die erste Branche war, auf die das Instrument Important Project of Common European Interest angewandt wurde. Jetzt folgen weitere Branchen diesem erfolgreichen Muster wie Batterien und Wasserstoff. Die Halbleiterbranche hat auf politischer Ebene gute Arbeit geleistet.
Das Umfeld stimmt also hierzulande. Sie wären nicht überrascht, wenn es demnächst mehrere Initiativen wie die von Apple in Europa oder auch in Sachsen gäbe?
Esser: Es sind jedenfalls sehr gute Bedingungen vorhanden, die europäische Halbleiterindustrie ist Weltspitze, die Abnehmer der Halbleiter auch – das sollte auf keinen Fall klein geredet werden – und mit IPCEI 2 kommt das richtige Umfeld für Investitionen für die kommenden Jahre hinzu.
Umgekehrt ist durch die Übernahme von Siltronics durch Globalwafers der einzige Wafer-Hersteller Europas mit weltweiter Bedeutung taiwanisch geworden. Ist das nicht ein schwerer Verlust, durch den Europa in eine weitere Abhängigkeit gerät?
Esser: Zunächst einmal scheint die Übernahme durch Globalwafers noch nicht in trockenen Tüchern zu sein, das werden wir sehen. Auf jeden Fall ist es eine Tatsache, dass die Halbleiterindustrie eben global eng vernetzt ist. Da ist es nicht unbedingt schlecht, wenn ein weltweit führendes Unternehmen in Deutschland investiert – unter der Voraussetzung, dass die Standorte hier weitergeführt und ausgebaut werden. Dazu gibt es in Sachsen ein schönes Beispiel: Die Übernahme von Novaled ist hierzulande ja zunächst sehr kritisch gesehen worden. Mithilfe von Subventionen, also Steuergeldern, sei das Startup-Unternehmen hochgepäppelt worden, so lautete der Tenor, und dann schnappt sich Samsung den Dresdner OLED-Spezialisten weg – und wieder wandert eine Zukunftstechnologie, die hier entwickelt wurde, in asiatische Hände ab.
Acht Jahre später können wir sagen: Alles blieb am Standort, Samsung hat ihn ausgebaut und es sind viele neue Arbeitsplätze entstanden. Für Sachsen und das Cluster insgesamt ein Gewinn. Übernahmen müssen also nicht schädlich sein. Und sie funktionieren auch andersherum: Infineon hat die amerikanische Cypress gekauft und 2014 bereits International Rectifier. Wenn es uns gelingt, in unseren Clustern die deutschen Unternehmen so erfolgreich zu machen, dass solche Übernahmen für sie sinnvoll sind und sie sie sich leisten können, macht es ja nichts, wenn umgekehrt ausländische Unternehmen hier investieren. Wenn hier die Technologie ist, dann sind wir am richtigen Platz.
Zurück zu IPCEI 2: Wie geht es jetzt konkret weiter?
Esser: Jetzt können alle europäischen Cluster ihre Ideen einbringen, es gibt ja nicht nur Silicon Saxony, sondern weitere Cluster, wie etwa rund um Leuven mit dem IMEC im Zentrum und mit dem CAE-Leti in Grenoble. Die Entscheidungen für die Förderungen werden dann in Brüssel getroffen werden, etwa wo wer für welche Projekte in Umfeldern wie KI, 5G, Automotive, IIoT oder Leistungshalbleiter Förderungen erhält. Wir stehen hier also im Wettbewerb mit vielen europäischen Clustern.
Dass wir technologisch sehr anspruchsvolle und für die Zukunft wirtschaftlich vielversprechende Projekte vorlegen müssen, ist klar. Aber wir sind hier in einer sehr guten Position und es gibt keinen Grund zum Jammern. Wir sind in Sachsen ein tolles Cluster mit großartigen Zukunftsperspektiven für die nächsten sieben Jahre!