In der jetzigen Situation trägt besonders Früchte, dass Petermann schon lange einen eigenen Engineering Service betreibt. Wenn beim Kunden die Ressourcen in der Entwicklung knapp sind, kann er seine Platinen an Petermann schicken. Die Engineering-Abteilung fügt den Quarz in die Schaltung ein und führt den Test durch. »Dass sie die Qualifizierung nicht im eigenen Haus durchführen müssen, hilft vielen Kunden enorm«, erklärt Petermann. »Ich habe bisher auch nicht erlebt, dass ein Kunde unsere Empfehlungen nicht umgesetzt hat.« Auf diese Weise könne Petermann gerade jetzt, wo Ressourcen-Engpässe herrschen, neue Kunden gewinnen. Außerdem sieht er den Trend, dass Kunden wegen der Knappheit in gewissen Sektoren Redesigns durchführen, um Komponenten einzusetzen, die (noch) relativ einfach am Markt zu erhalten sind. »Auch hierbei beraten wird die Anwender, erklären, welche Quarze zu welchen ICs passen, und schlagen ihnen solche Komponenten vor, mit denen sie längerfristig auf der sicheren Seite sind.«
Auch Auris hat die Zeichen der Zeit offenbar früh erkannt. »Wir haben seit Herbst Kapazitäten aufgebaut und können liefern«, sagt Rüdiger Zahn. »Allerdings haben einige Kunden offenbar die veränderte Marktsituation noch nicht erkannt und auf gestiegene Lieferzeiten nicht reagiert.« Je nach Gehäusetyp können sie bei moderaten sechs bis acht Wochen liegen, aber auch bei 12 bis 16 Wochen, besonders bei Quarzen in Keramikgehäusen. Bei Metallgehäusen sähe die Lage im Moment entspannter aus, die Nachfrage ziehe aber an.
Steigende Preise spielten auch laut Stefan Hartmann eher eine Nebenrolle; der Fokus werde in den meisten Fällen auf Lieferfähigkeit gelegt, die Preise stünden nicht so sehr im Fokus: »Die massiv erhöhten Frachtkosten, Produktionskosten aufgrund von Pandemie-bedingten Maßnahmen und auch Kosten von Zuliefermaterialien führen auch auf der Herstellerseite zu erhöhtem Kostendruck, der sich aufgrund der geringen Margen auf die Kunden auswirkt.«
Ähnlich sieht es Nathalie Friebe: »Natürlich lässt die Marktsituation auch die Preise steigen. Allerdings handelt es sich bei Frequency Control Products um keine hochpreisigen Artikel. Wir haben aktuell in der Herstellung etwa sechs Prozent höhere Kosten als üblich. Für die Kunden bedeutet das aber eine kaum spürbare Veränderung.«
Viel wichtiger sei ihnen die Verfügbarkeit momentan und in den kommenden Jahren. Erfahrungsgemäß werden einmal eindesignte Quarze oder Quarzoszillatoren nicht mehr durch Alternativen ersetzt. Entwickler haben einen gewissen Respekt vor diesen Produkten und arbeiten hier nach dem Motto „Never Change a Running System“. Mit den aktuellen Verkaufszahlen ist sie zufrieden. Zwar gebe es bisweilen Einschränkungen bei den Verfügbarkeiten, andererseits deckten sich die Kunden mit Produkten von Red Frequency ein.
Doch bietet sich bei der Knappheit auf dem Sektor der quarzbasierten Frequenzgeber nicht zumindest auf dem Gebiet der Oszillatoren den MEMS-Zeitgebern eine Chance? Davon ist MEMS-Hersteller SiTime fest überzeugt (siehe dazu das Interview mit Piyush Sevalia von SiTime auf S. 20). Christian Dunger, Vorstandsvorsitzender von WDI, widerspricht dieser Ansicht recht eindeutig (siehe Artikel „Am Rande des Wahnsinns“ auf S. 22). Derselben Meinung ist Roland Petermann; es sei sogar gerade umgekehrt: »Weil auch diese Produkte Lieferzeiten von 26 bis 30 Wochen haben, steigen jetzt viele von MEMS auf die klassischen Quarzprodukte um. Die Wenigsten brauchen 20 ppm!«
Doch wie sieht es auf dem Gebiet der TCXOs aus? Zur Erinnerung: Im vergangenen Oktober ist die einzige Fab von AKM in Japan komplett abgebrannt. Hier hat das Unternehmen unter anderem ASICs gefertigt, die speziell für den Einsatz in TCXOs konzipiert waren. AKM hat diesen Markt stark dominiert; bei 80 Prozent soll der Marktanteil des Unternehmens gelegen haben. Nach dem Totalausfall herrschte zunächst blankes Entsetzen unter den Herstellern von TCXOs, weil sie kaum an Ersatz herankamen.
Glücklicherweise habe Epson eine eigene In-House-IC-Fertigung, sodass die meisten Serien von Epson von dem Unfall gar nicht betroffen waren, erklärt Stefan Hartmann. »Weil aber TCXOs, die auf ICs von AKM basieren, einen erheblichen Marktanteil hatten, ist es Epson nicht möglich, hier auf breiter Front einzuspringen und die Belieferung zu übernehmen.« Es werde jedoch mit Hochdruck daran gearbeitet, die TCXOs auf Basis von AKM-ICs zu ersetzen, und so könnte sich die Lage in diesem Bereich in der zweiten Jahreshälfte entspannen. Ebenfalls günstig sieht Roland Petermann die Situation: »Ab August können wir wieder liefern und neue Produkte bemustern.«
»Glücklicherweise haben wir Vorräte auf Lager. Neukunden können wir jedoch nicht beliefern«, erklärt Rüdiger Zahn. Dafür helfe Auris den Bestandkunden über die Durststrecke hinweg. Doch er ist ebenfalls optimistisch: »Wir erwarten Lieferungen im dritten Quartal.«
Und die angespannte Situation insgesamt? Wie lange wird sie noch anhalten? »2021 dürfte angespannt bleiben, 2022 müssen wir abwarten«, sagt Rüdiger Zahn. Denn der Mehrbedarf sei eindeutig da, das seien nicht vorgezogene Bestellungen, obwohl es natürlich auch Doppelbuchungen gebe. Doch er ist zuversichtlich: »Der weltweite Mehrbedarf wird durch erweiterte Produktionskapazitäten aufgefangen und wir werden zu marktgerechten Lieferzeiten zurückkehren.«
Nathalie Friebe ist mit Prognosen vorsichtig, denn die Knappheit hänge stark von dem wenig vorhersehbaren Verlauf der Corona-Pandemie ab, der die globale Wirtschaftsentwicklung wesentlich beeinflusst. Laut Stefan Hartmann wird die Situation in vielen Bereichen noch über die nächsten Monate angespannt bleiben – zumindest, wenn hinter dem Auftragseingang tatsächlicher Bedarf und nicht zum größten Teil Doppelbuchungen stünden.
Doch könnte es sein, dass sich wegen Doppelbuchungen neben dem tatsächlich starken Bedarf bereits eine Blase aufbaut? »Das ist die 10-Millionen-Euro-Frage«, antwortet Stefan Hartmann.