Geldspritze für Tesla-Herausforderer

VW investiert Milliarden in E-Auto-Firma Rivian

26. Juni 2024, 9:09 Uhr | Andrej Sokolow, dpa, Marco Engemann, dpa-AFX, ih
© Rivian

Volkswagen holt sich bei Elektroautos Hilfe vom Tesla-Herausforderer Rivian – und nimmt dafür Milliarden in die Hand. Europas größter Autobauer will bis zu 5 Mrd. Dollar ausgeben und gemeinsam Technik für künftige Fahrzeuge entwickeln. Für Rivian ist es eine höchst willkommene Geldspritze.

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Die Elektroauto-Firma schreibt nach wie vor rote Zahlen und hat aktuell mit einem sinkenden Interesse an Elektroautos in den USA zu kämpfen. Die zuletzt schwächelnde Rivian-Aktie sprang im nachbörslichen US-Handel um fast 50 Prozent hoch.

Software, Steuercomputer und Netzwerk-Architektur

Die Kooperation ist recht eng gefasst: Software, Steuercomputer sowie Netzwerk-Architektur. Ein zentraler Punkt: Volkswagen wird für neue Autos in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts auf Rivians Technologie und Software einschwenken. Der Autoriese Volkswagen könnte damit viel Geld im Vergleich zu einer Entwicklung der Technik in Eigenregie sparen. Rivian-Chef RJ Scaringe betonte, dass andere Bereiche wie Batterien oder Antriebstechnik nicht Teil der Partnerschaft seien.

Damit die Hersteller immer neue Funktionen bieten können, wurden die Steuereinheiten in den vergangenen Jahren immer mehr und die Kabelstränge immer länger. Mit dem Vormarsch von Elektroautos kam dann ein Wettstreit bei neuen Fahrzeug-Architekturen in Gang. Der Trend: weniger Komplexität und ein Fokus auf Software. Tesla war diesbezüglich ein Vorreiter – ein Computer auf Rädern.

Zonen-Modell statt vieler kleiner Computer

Rivian entwickelte von Anfang an eine eigene Architektur, in der die Auto-Elektronik in mehrere Zonen mit eigenen Computern aufgeteilt wird. In der ersten Generation der Rivian-Plattform seien noch 17 dieser Steuereinheiten nötig gewesen, sagte Scaringe. Zur zweiten Generation habe man die Zahl nun auf sieben Steuereinheiten gedrückt.

VW hat seit Jahren mit Problemen bei der hauseigenen Software-Entwicklung für Elektroautos zu kämpfen, dadurch verzögerten sich bereits Modellstarts.
Scaringe bekräftigte, dass etablierte Hersteller Schwierigkeiten bei eigener Software hätten. Er sieht den Grund dafür darin, wie das Geschäft der Autobauer über Jahrzehnte lief: Viel Technik wurde bei verschiedenen Zulieferern eingekauft, »im Ergebnis hatte man eine Menge kleiner Computer, die an ganz bestimmte Funktionen angebunden waren«.

Wenn man aus dieser Welt komme, tue man sich schwer damit, eine Architektur nach dem Zonen-Prinzip zu entwickeln, bei der eine Steuereinheit Funktionen über mehrere Bereiche hinweg übernehme. Rivian hingegen ordnet diese ECUs verteilt im Fahrzeug an, um den Weg für die Datenübermittlung zu verkürzen.

»Ein echtes Schnäppchen« für VW

Rivian ist einer der wenigen Hersteller, die eine solche Zonen-Architektur bereits in der Serienproduktion haben – und damit wertvoll für VW, kommentierte der Autoanalyst der Marktforschungsfirma Garter, Pedro Pacheco, den Deal. Wenn man bedenkt, wie viel Geld Volkswagen bereits in die Entwicklung einer eigenen Plattform investiert hat, seien die Milliarden für Rivian »ein echtes Schnäppchen« für den deutschen Konzern. Der Deal sende auch ein Signal, dass Dinge, die man einst selber entwickle, nun von einem anderen Hersteller kommen könnten. Zugleich warf Pacheco die Frage auf, was Hersteller mit ihren eigenen Autosoftware-Teams machen, wenn sie so viel zukaufen.

Joint Venture geplant

Der Plan von Rivian und VW sieht ein Gemeinschaftsunternehmen vor, in dem für beide Hersteller entwickelt werden soll. Die Milliarden sollen Rivian nach und nach zufließen. Erst kauft VW Wandelanleihen für eine Milliarde Dollar. Kommt das gemeinsame Entwicklungslabor zustande, zahlt VW eine weitere Milliarde, kauft in zwei Tranchen Aktien für jeweils eine Milliarde 2025 und 2026 und gibt eine weitere Milliarde als Kredit.

Volkswagen bekam zuletzt mehr und mehr Schwierigkeiten beim offensiven Kurs in Richtung Elektromobilität. In Europa ist die Nachfrage schwach, in China ist der Wettbewerb mit günstigen chinesischen Herstellern hart. In den USA will der Konzern mit Elektroautos deutlich Marktanteile gewinnen und hatte dafür hohe Investitionen bereits angekündigt.

1,45 Milliarden Dollar Verlust bei Rivian

Rivian lieferte im vergangenen Quartal knapp 13.600 Elektroautos aus und machte dabei 1,2 Milliarden Dollar Umsatz sowie 1,45 Milliarden Dollar Verlust. Die Firma ist in zwei in den USA populären Fahrzeug-Kategorien aktiv: große SUVs und Pickups. Außerdem baut Rivian für Amazon elektrische Lieferwagen, die inzwischen auch in Europa zu sehen sind. Der weltgrößte Online-Händler ist ebenfalls ein Investor.

Die Stimmung unter den Tesla-Herausforderern, die sich ein immer schnelleres Tempo beim Elektroauto-Absatz erhofften, ist verhalten. Gerade in den USA greifen viele Käufer aktuell lieber zu Hybrid-Modellen, auch bei Tesla ist das Wachstum momentan gebremst. Die Firma Fisker musste einen Insolvenzantrag stellen. Ihr SUV-Modell Ocean kam mit Verzögerungen auf den Markt und verärgerte einige Käufer und Tester mit Software-Problemen.


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