E-Mobilität ist die Zukunft – und erfordert einen raschen Ausbau der Ladeinfrastruktur. In einem Projekt haben Phytec und Pionix für den Kunden Qwello eine individuelle Elektronik für Ladesäulen entwickelt. Daraus entstand ein universeller Ladecontroller, der nun für andere Kunden verfügbar ist.
Controller für Ladesäulen müssen typische Anforderungen erfüllen, vom Energie- und Lastmanagement über die Kommunikation mit dem Fahrzeug bis hin zu Mechanismen für Benutzeridentifikation und Abrechnung. Hinzu kommen Vernetzung und Fernwartung, Update-Fähigkeit und Security-Funktionen. Diese Anforderungen unterscheiden sich jeweils nur wenig.
Darüber hinaus gibt es Ladesäulen mit AC- und DC-Ladetechnik sowie kombinierte Systeme und Megawatt-Charging. Außerdem verschaffen sich Anbieter von Ladesäulen einen Marktvorteil, wenn sie neuartige Funktionalitäten integrieren, mit denen sie sich vom Wettbewerb differenzieren. Das Ergebnis für die Produktentwicklung: Elektroniken von der Stange können die Anforderungen in der Regel nicht ausreichend erfüllen. Komplette Neuentwicklungen sind jedoch zeit- und kostenintensiv.
Deshalb hat Phytec gemeinsam mit dem Partner Pionix nun erstmals eine Elektronik speziell für den vertikalen Markt der EV-Ladelösungen entwickelt, basierend auf einer Entwicklung für den Initialkunden Qwello. Das Unternehmen betreibt in mehreren deutschen sowie europäischen Städten und Regionen Ladeinfrastruktur, wobei es kommunale Partnerschaften über öffentliche Konzessionsverträge eingeht und sowohl Ladeinfrastruktur als auch Ladedienstleistungen anbietet. Für seine neue Ladestation CP22 benötigte Qwello eine Ladeelektronik, die AC-Laden mit bis zu 22 kW Leistung an zwei Ladeanschlüssen gleichzeitig ermöglicht und gemäß deutschem Eichrecht zertifiziert werden kann. Die Bedienung sollte über ein geteiltes Display und Bezahlterminal für zwei parallele Ladevorgänge erfolgen.
Als Besonderheit verfügt die Ladesäule über Parksensoren, die Falschparker erkennen. Das ermöglicht einen Rückschluss, ob die Säule frei ist, auch wenn kein Ladevorgang stattfindet. Dazu ist die Ladestation in eine Cloud-Anwendung mit App eingebunden. LEDs zeigen den Status direkt sichtbar an der Säule an. Als weitere Anforderung an die Elektronik sollten alle Komponenten in einer minimalistischen, schlanken Säule untergebracht werden, die sich ins Stadtbild einfügt und für beengte öffentliche Parkräume optimiert ist.
Um diese Anforderungen erfüllen zu können, erstellte Phytec gemeinsam mit Pionix, einem Entwickler und Anbieter von Open-Source-Softwarelösungen für EV-Charger, eine Spezifikation auf Basis des bewährten System on Modules phyCORE-AM62x mit Texas-Instruments-Prozessor. Es bietet die geforderte Unterstützung für zwei Displays, zahlreiche Schnittstellen für die Einbindung von Sensorik und Peripherie sowie einen dedizierten Microcontroller, der den sicherheitskritischen Ladevorgang steuern kann.
Auf der Basisplatine stehen neben den beiden AC-Ladeausgängen Gigabit Ethernet, Dualband-WLAN, Bluetooth Low Energy (BLE) und ein LTE-Mobilfunkmodul sowie Modbus und CAN FD zur Verfügung. Für die Übereinstimmung mit Security-Anforderungen, insbesondere auch im Hinblick auf den Cyber Resilience Act, ist die Platine mit einem Trusted-Platform-Module (TPM 2.0) bestückt.
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Die schnelle Entwicklung der Qwello-Elektronik und des phyVERSO-Ladecontrollers wurde durch das modulare Design der Phytec-Elektronik möglich, mit bewährten System on Modules sowie Schaltungen und Layout-Blöcken aus einer Bibliothek für das Basisboard. Künftig erlaubt dieser Aufbau auch die individuelle Anpassung der phyVERSO-Elektronik für weitere Kundenprojekte. Innerhalb von wenigen Wochen ist somit in vielen Projekten die Integration weiterer I/Os, die Änderung von Steckverbindern oder die Anpassung des Platinenformats möglich – inklusive Produktion und Lieferung der ersten Prototypen.
Aus der Zusammenarbeit von Phytec und Pionix resultiert ein abgestimm- tes Gesamtpaket aus Hardware und Software, auf das Kunden direkt mit ihrer eigenen Applikation aufsetzen können. Dies eröffnet umfassende Möglichkeiten zur Entwicklung individueller Ladelösungen. Damit bietet das phyVERSO-EVCS zahlreiche Vorteile gegenüber fertigen Standardlösungen – und verkürzt gleichzeitig die Zeit zur Serienreife.
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Für den Hauptprozessor kommt ein angepasstes Board-Support-Package von Phytec auf Basis von Yocto-Linux zum Einsatz, in Verbindung mit einem ladespezifischen EVerest-Layer. Der Software-Stack unterstützt alle gängigen Ladeprotokolle wie Plug and Charge gemäß ISO 15118, Autocharge und EIM/RFID-Leser, verfügt über ein integriertes Energiemanagement mit Lastausgleich und ermöglicht die Authentifizierung und Zahlung über die gängigen Standards OCPP 1.6J (Open Charge Point Protocol) und OCPP 2.0.1. Weitere Ladesäulen-spezifische Technologien wie Back-up-Stromversorgung, Schutz vor Gleichstrom-Erdfehlern und Unterstützung für automatische Steckerverriegelung sind ebenfalls integriert. Die Safety-kritische Firmware zur Ladesteuerung für den Microcontroller wurde von Pionix entwickelt.
Die Spezifikation für den Qwello-Ladecontroller erfolgte im Juni 2023. Im November – nach nur sechs Monaten Entwicklungszeit – erfolgte die Übergabe der ersten Prototypen, die erfolgreich die TÜV-Zulassung erhielten. Nach geringfügigen Anpassungen ist der Serienstart für die Elektronik der neuen Ladesäulengeneration von Qwello noch für dieses Jahr geplant. Holger Rapp, CTO von Qwello, ist mit dem Ergebnis mehr als zufrieden: »Nach nur sechs Monaten Entwicklungszeit haben wir die ersten Ladecontroller erhalten. Das und die abgestimmte Plattform aus Hardware und Software haben unsere Zeit zur Marktreife deutlich verkürzt.«
Parallel zur kundenspezifischen Elektronik für Qwello entwickelten Phytec und Pionix in Absprache mit Qwello den universellen Ladecontroller phyVERSO-EVCS. Er basiert auf der Spezifikation des Qwello-Ladecontrollers, bietet zusätzlich aber Unterstützung für AC- und DC-Ladesysteme, auch in gemischter Konfiguration. Damit kann die Elektronik für die Entwicklung von eichrechtskonformen Wallboxen für den privaten und öffentlichen Bereich ebenso wie für Ladesäulen und Megawatt-Ladeparks verwendet werden. Als Software wird das phyVERSO-EVCS mit Linux-Betriebssystem sowie der Pionix-Ladefirmware auf dem Mikrocontroller ausgeliefert.
Die Kompatibilität mit dem Charger-Betriebssystem EVerest ist getestet und eine angepasste Version der Open-Source-Software steht zum Download bereit. Zudem bietet Pionix die Elektronik im Bundle mit seiner umfassenden Ladesoftware BaseCamp inklusive Software-Maintenance, Update-Service und weiteren Leistungen an. Das Framework unterstützt zahlreiche Protokolle für die Integration mit Infrastruktur, Fahrzeugen, Bezahlsystemen und verfügt für die Kommunikation oder Einbindung in Netzwerke über einen lokalen MQTT-Server (Message Queuing Telemetry Transport). Unternehmen können ihre Applikationssoftware direkt auf diese Basis aufsetzen.
Phytec unterstützt Kunden mit umfassenden Services im gesamten Produktlebenszyklus – von der Beratung und Implementierung von Security-Features über Update- und Device-Management bis zum Lifecycle-Management von Hardware und Software. Durch die Partnerschaft mit Pionix erhalten Unternehmen Unterstützung rund um Ladesäulen-spezifische Softwarelösungen sowie für die Integration künftiger Standards und die Übereinstimmung mit Sicherheitsanforderungen.
Der Autor
Mario Haas
leitet bei Phytec kundenspezifische Projekte. Er hat das modulare SBC+-System für die schnelle und einfache Anpassung von Elektroniken mitentwickelt und ist ein Ansprechpartner rund um Elek- troniken für EV-Ladelösungen.