Artificial Intelligence at the Edge

Edge AI - ein Gamechanger für das IIoT?

16. Oktober 2024, 9:00 Uhr | Thomas Rosteck / ak
Thomas Rosteck, Infineon Technologies: »Edge AI hat das Potenzial, die Einsatzmöglichkeiten von KI in industriellen Anwendungen neu zu formen.«
© Infineon Technologies

Kleiner, schneller, kostengünstiger, energieeffizienter: Edge AI wird derzeit vor allem mit Endgeräten wie Smartphones in Verbindung gebracht. Doch auch in der Industrie zeigt KI mit lokaler Datenverarbeitung in Echtzeit und autonomen Entscheidungen, was sie kann, und hat das Zeug zum Gamechanger.

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Sprachassistenten in intelligenten Wearables und im Smart Home, Fahrzeugassistenzsysteme oder Bilderkennung bei der automatisierten Passkontrolle und zum Entsperren des Smartphones: Künstliche Intelligenz ist bereits ein integraler Bestandteil unseres Alltags und nicht mehr wegzudenken. Im IoT, aber auch in der Industrie, also dem IIoT, spielt KI eine immer größere Rolle. Das IIoT profitiert besonders bei der Prozessoptimierung und Kostenminimierung von der Integration von KI. Hier wird KI schon heute eingesetzt, besonders bei der Optimierung von Routineprozessen und beim Energiemanagement.

Die Möglichkeiten von KI wachsen rasant, doch damit steigen auch die Anforderungen an IoT- und IIoT-Systeme. Diese Herausforderungen lassen sich mit Edge AI - künstlicher Intelligenz im Edge-Gerät - adressieren: speziell in Applikationen, in denen es auf Reaktionen in Echtzeit, Schnelligkeit, Nachhaltigkeit, Skalierbarkeit und Zuverlässigkeit ankommt, zeigt Edge AI ihre Stärken. Im Gegensatz zu Cloud-basierter KI erfolgt die Datenverarbeitung bei Edge AI direkt im Gerät, also »at the edge«. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung immer leistungsfähigerer Prozessoren und entsprechender KI-Modelle ist es möglich, Edge AI auch in den kleinsten Geräten zu implementieren. Im Zusammenspiel mit Cloud-basierter KI, die in der Lage ist, riesige Datenmengen zu handhaben, lassen sich so ganz neue Lösungsansätze für IoT und IIoT erschließen.

Was kann Edge AI?

Die Verarbeitung der Daten lokal im Gerät, also Edge AI, bietet viele Vorteile in puncto Effizienz, Schnelligkeit, aber auch Sicherheit.

- Verzögerungsfrei: Zur Verarbeitung müssen die Daten nicht mehr in die Cloud gesendet werden, was die Latenzzeiten drastisch reduziert. Gerade in Health-Anwendungen, aber auch im Automobilsektor ist eine Datenverarbeitung in Echtzeit von entscheidender Bedeutung. Hier müssen verlässliche Reaktionen in Sekundenbruchteilen umgesetzt werden. Aber auch in voll automatisierten Fertigungslinien sind Aktionen in Echtzeit unerlässlich, um Qualität, Sicherheit und Effizienz zu gewährleisten.

- Unabhängig von Connectivity: Im Hinblick auf Robustheit und Autarkie sind Edge-AI-Lösungen gegenüber Cloud-basierten Anwendungen oft im Vorteil. Weil die Daten im Gerät verarbeitet werden, ist keine konstante Verbindung zum Netzwerk oder zur Cloud erforderlich. Dadurch sind beispielsweise mobile Geräte wie Defibrillatoren auch ohne Verbindung zur Cloud einsetzbar. Sie arbeiten durch KI noch akkurater und effizienter. Anwendungen, bei denen es auf hohe Verlässlichkeit ankommt, laufen auch dann weiter, wenn es zu einer Netzwerkunterbrechung oder einem Ausfall der Cloud-Server kommt. So lässt sich auch im Auto die mobile Verlässlichkeit gewährleisten, unabhängig vom Kommunikationsnetz.

- Energieeffizienz: KI ist wegen ihrer Komplexität sehr energieintensiv. Die Speicherung von Daten und die Ausführung von Algorithmen im Edge-Gerät erfordern weniger Energie als die Übertragung und Verarbeitung in der Cloud, und es werden dadurch keine Cloud-Ressourcen beansprucht. Darüber hinaus können IoT-Geräte durch den Einsatz von Edge AI im Tiefschlafmodus bestimmte Ereignisse erkennen und entsprechende Aktionen auslösen. Das Gerät wacht vollständig auf, um die erforderliche Aufgabe auszuführen, und kehrt anschließend wieder in den Schlafmodus zurück, wodurch Energie gespart wird. Dies trägt nicht nur zur Kostenoptimierung, sondern auch zur Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit bei. Zudem kann Edge AI den Energiebedarf durch eine Echtzeitanalyse des tatsächlichen Verbrauchs optimieren und kontinuierlich anpassen. Individualisierte KI-Modelle ersetzen klassische algorithmische Modellberechnungen in Software und sind so schneller und effizienter.

- Datensicherheit: Auch bei der Sicherheit punkten Edge-AI-Anwendungen. Alle Daten werden lokal verarbeitet, was ihre Sicherheit per se schon einmal deutlich erhöht und den Zugriff durch Dritte erschwert. Unerlässlich ist in diesem Kontext Embedded Security. Nur wenn die Mikrocontroller über ein ausreichendes Maß an Sicherheit verfügen, lassen sich die zu verarbeitenden Daten vor unberechtigtem Zugriff und Manipulation schützen. Dies erfordert robuste Sicherheitsmaßnahmen wie Datenverschlüsselung, Zugriffskontrollen und Sicherheitsprotokolle. Ist ein Transfer von Daten dennoch notwendig, können sie noch vor der Übertragung im Gerät verschlüsselt werden. Und Stichwort Datensouveränität: Die Wahrung des Datenschutzes und der Vertraulichkeit sensibler Daten auch in der Industrie wird vereinfacht, weil die Unternehmen die volle Kontrolle und Autonomie darüber besitzen.

- Kosteneffizienz: Die lokale Datenverarbeitung hilft nicht nur bei der Einsparung von Energie, sondern trägt auch zur Kosteneffizienz bei. Datenübertragung, externe Rechenkapazitäten und Speicherkosten in der Cloud oder in zentralisierten Servern werden so vermieden. Edge-AI-Systeme sind modularer und lassen sich flexibler einsetzen. Dadurch können sowohl die Entwicklungskosten als auch die Gesamtkosten der Systemintegration deutlich reduziert werden.

Edge AI - Konkurrenz oder Ergänzung zu Cloud-basierter KI?

Edge AI kann aufgrund der oben ausgeführten Vorteile in vielen Anwendungsfällen die bessere Alternative zur Cloud-basierten KI darstellen. Zu beachten ist allerdings immer: Der Anwendungsfall bestimmt, welche Art von KI eingesetzt werden muss. Edge AI und Cloud-basierte KI sollten nicht als Entweder-oder-Thema betrachtet werden, sondern als sich ergänzende und koexistierende Systeme oder sogar als Kontinuum an Varianten zwischen den beiden Polen. Besonders in KI-Anwendungen, in denen es auf hohe Speicherkapazitäten, umfangreiche Datenverarbeitung, komplexe Modellierung und erweiterte Analysen ankommt, ist die annähernd unbegrenzte Speicher- und Rechenkapazität der Cloud unerlässlich.

Vor allem in Kombination werden die beiden Varianten von KI zum Gamechanger: KI-Modelle werden in der Cloud aufwendig trainiert und dann in Edge-Geräten eingesetzt, um Echtzeit-Ergebnisse zu bekommen. Auf der anderen Seite lassen sich durch Edge AI erste Daten sammeln und analysieren und im zweiten Schritt in der Cloud weiterverarbeiten.

Edge AI in der Industrie

Die Steigerung von Effizienz und Produktivität ist ein zentrales Anliegen der industriellen Automatisierung und kann durch die Kombination von Edge AI und SPS-Systemen oder mit Cloud-basierter KI effektiv umgesetzt werden.

In herkömmlichen SPS-Systemen liegt der Hauptfokus auf der Steuerung und Überwachung industrieller Prozesse, Maschinen und Anlagen. Durch die Integration von Edge AI können die Systeme jetzt fortgeschrittene Analysen und Machine Learning »am Rand des Netzwerks« durchführen, also näher an der Datenquelle. So sind Edge-AI-fähige SPS-Systeme in der Lage, große Datenmengen zu analysieren und präzise Entscheidungen in Echtzeit zu treffen. Dies ermöglicht Unternehmen, Probleme wie Fehlfunktionen und Abweichungen frühzeitig zu erkennen und Produktionsprozesse zu optimieren, um die Gesamteffizienz und Produktivität zu steigern. Auch die Qualitätskontrolle profitiert davon. Abweichungen von definierten Produktionsparametern und -prozessen lassen sich schnell erkennen und entsprechende Maßnahmen einleiten, im besten Fall schon, bevor Ausschuss produziert wird.

Durch die Auswertung von Daten an einer definierten lokalen Station – durch Edge AI – kann die Qualitätsabsicherung verbessert werden. Dabei werden Stichprobenprüfungen durch individuelle Qualitätsbewertungen ergänzt oder teilweise komplett ersetzt. Gleichzeitig wird unnötiger Verwurf reduziert, indem die KI Randfälle anhand von Informationen aus dem Fertigungsverlauf genauer eingrenzt. Edge AI kann also dabei helfen, die Effizienz von Systemen zu erhöhen und deren Reaktionsfähigkeit zu verbessern.

Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von Edge AI in der Industrie ist die sogenannte »Predictive and Prescriptive Maintenance«. Edge AI analysiert Sensordaten von Fertigungsmaschinen und erkennt auf diese Weise frühzeitig potenzielle Anomalien in den Fertigungsprozessparametern. Dadurch können rechtzeitige Wartungen erfolgen sowie der Wartungsbedarf situativ optimiert werden. Ungeplante Ausfälle lassen sich verkürzen oder sogar ganz vermeiden, ebenso wie unnötige Wartungen. Predictive Maintenance kann die Lebensdauer der Maschinen verlängern, sorgt für eine höhere Produktivität und ermöglicht Kosteneinsparungen für die Hersteller.

In der Industrierobotik eröffnet der Einsatz von KI ebenfalls neue Möglichkeiten. Ein Beispiel hierfür sind kollaborative Roboter. Sie benötigen keine Verbindung zur Cloud, um alltägliche Aufgaben zu erledigen. Lokale Sensorauswertung versetzt sie in die Lage, ihre menschlichen Kolleginnen und Kollegen zu erkennen und adaptiv zu handeln. Erkennung und Reaktion in Echtzeit sind hier wichtige Aspekte, um die Sicherheit des menschlichen Personals zu gewährleisten. Wenn umfassendere Trainings mit sehr großen Datenmengen erforderlich sind, ist eine Cloud-Anbindung notwendig.

Eine Stufe weiter fortgeschritten ist das föderierte Lernen bei Kommissionierrobotern. Sie sind in der Lage, geeignete Greifverfahren für Objekte auszuwählen und voneinander zu lernen. Dieser Lernprozess findet dabei in der Edge und nicht in der Cloud statt. So können sie auch unbekannte Objekte zuverlässig greifen und sich auf diesem Weg schneller anpassen oder neue Aufgaben übernehmen.

Fazit

Die Vorteile von Edge AI – sowohl im IoT als auch im IIoT – liegen auf der Hand und sind vielfältig. In Kombination mit Cloud-basierter KI und vorhandenen Systemen hat Edge AI das Potenzial, die Einsatzmöglichkeiten von KI in industriellen Anwendungen neu zu formen, und das in einer Vielzahl verschiedener Anwendungsfälle.

Der Autor

Thomas Rosteck ist Division President Connected Secure Systems bei Infineon Technologies.


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