Eine alternative Möglichkeit, um Energie mittels strahlungsfreier, elektromagnetischer Energie zu übertragen, basiert auf resonantem Tunneln. Tunnelnde elektromagnetischen Wellen breiten sich nicht durch die „Luft“ aus, um absorbiert oder unkontrolliert abgestrahlt zu werden. Auf Basis der konventionellen Übertragungstechnik wird durch die Erweiterung des Resonanzkreises durch die Konzentration der magnetischen Feldlinien und die Schaffung von zwei verschiedenen Medien über die Kopplung von zwei Ferriten das Funktionsprinzip der evaneszenten resonanten Wellenkopplung mit Tunneleffekt erreicht.
Um den Tunneleffekt zu erreichen, müssen die Eigenschaften der Medien passend gestaltet werden: Die Bedingungen in beiden äußeren Medien (Ferrit), die das mittlere Medium (Luft) umfassen (siehe Bild 3), muss so sein, dass die elektromagnetische Charakteristik der einer fortschreitenden Welle genügt. Das mittlere Medium hingegen muss reale exponentielle – steigende und fallende – Wellenbedingungen ermöglichen. So dringt eine Welle vom sendenden Medium in das mittlere Medium ein, „durchdringt“ das mittlere Medium und bildet im Empfangsmedium wiederum eine Welle.
Evaneszente Wellen haben Energie und sie können Energie im Nahfeld übertragen, aber der wesentliche Punkt einer evaneszenten Welle hat nichts mit Energieübertragung zu tun. In einer evaneszenten Welle breitet sich die Welle nicht als wandernde Welle in das zweite Medium aus, sodass keine Fernfeldstrahlung im zweiten Medium oder keine Energieausbreitung über große Entfernungen – im Vergleich zur Wellenlänge – von der Grenze aus erfolgt.
Eine evaneszente Welle fällt auf der anderen Seite der Grenze in ihrer Amplitude exponentiell ab. Dies ist eine Voraussetzung für die Kontinuität von elektrischen und magnetischen Feldern an der Grenze und der Maxwell-Gleichungen. Die Anforderungen schreiben vor, dass die Gleichungen nur exponentiell abnehmende Lösungen haben.
Fehlt das Empfangsmedium, findet im Sendemedium eine Totalreflexion statt und es erfolgt somit keine Abstrahlung von Energie. Deshalb werden EMV/EMF-Eigenschaften leichter erfüllt als mit herkömmlichen Wireless-Power-Systemen. Das mittlere Medium kann z.B. auch Wasser sein. Die Dämpfung durch metallene Bleche – auch MU-Metall – ist deutlich geringer als bei den herkömmlichen induktiven Übertragungsverfahren, da die Kopplung – wie oben beschrieben – nicht auf Nahfeldmagnetismus basiert.
Wenn der Sender ohne Empfänger betrieben wird, d.h. die Empfangsspule mit Ferritkern sich in genügend großer Entfernung befindet, wird keine Energie abgestrahlt, es findet eine innere totale Reflexion statt. Wenn aber die Ferritkerne von Sender und Empfänger genügend nahe zusammengebracht werden, findet ab einer gewissen Entfernung ein „Koppeln“ statt – was bedeutet, die Feldkopplung zwischen den beiden Medien ist groß genug, um die Luftbarriere zu überbrücken.
Durch den Tunneleffekt wird eine geringere Abnahme der Leistung in Abhängigkeit von der Distanz zwischen Sender und Empfänger erreicht. In diesem Energieübertragungssystem liegt die Proportionalität zwischen Leistung und Distanz im Bereich von 1/r bis 1/r1,7, bei anderen kontaktlosen Energieübertragungssystemen, mit magnetischer Kopplung ist das Verhältnis 1/r3.
Das Blockschaltbild des kontaktlosen Energieübertagungssystems mit Tunneleffekt ist in Bild 4 dargestellt. Ein Signalgenerator erzeugt ein hochfrequentes Signal, das über ein Regel- und Steuersystem eine HF-Endstufe speist. Das verstärkte Signal wird der Senderspule zugeführt.
Auf der Empfangsseite wird die vom Sender übertragene Energie über die Empfängerspule, der Impedanzanpassung, einem Gleichrichter mit anschließender Spannungsregelung zugeführt. An den Ausgang des Spannungsreglers kann ein elektrischer Verbraucher angeschlossen werden. Innerhalb der Leistungsklasse kann der Empfänger jede beliebige Spannungs-/Stromkonstellation zur Verfügung stellen.
Die kontaktlose Übertragung von Energie hat zahlreiche Vorteile. Zum Beispiel macht sie fehleranfällige Steckkontakte überflüssig. Geräte können in Gehäuse eingebaut werden, die gegen das Eindringen von Feuchtigkeit geschützt sind. Zudem müssen sich die Anwender nicht mehr die Mühe machen, Kabel einzustecken. Ausgerissene Kabel und Stecker gehören der Vergangenheit an.
Die meisten Anwendungen der kontaktlosen Energieübertragung liegen gegenwärtig im Bereich des Ladens von Akkus in tragbaren Geräten kleiner Leistung. Es gibt einige wenige etablierte Standards in diesem Bereich, die eine Vereinheitlichung anstreben, die jedoch die Flexibilität der Systeme eher einschränkt. Das Vorhandensein eines Qi-Logos bedeutet beispielsweise, dass das Gerät durch das Wireless Power Consortium registriert und zertifiziert ist. Seit 2015 kann nach Qi-Standard eine Leistung bis zu 15 W übertragen werden. Es gibt jedoch viele Anwendungen, für die kein Standard notwendig ist und die eine deutlich höhere Leistung als 15 W erfordern. Hier kann ein Verfahren mit individuell optimierter Energieübertragung eingesetzt werden.
Mit dem vorgestellten kontaktlosen Energieübertragungsverfahren mit Tunneleffekt von WPT-Systems ergeben sich hinsichtlich der Anwendungsgebiete zahlreiche neue Möglichkeiten:
Versorgung von Produkten für medizinische Langzeituntersuchungen und batteriegespeisten Implantaten.
Sicherheitstechnische Produkte, die durch Mauern und andere Barrieren energiegespeist werden.
Regelungen und Steuerungen in der Schwerindustrie, die bisher mit beweglichem Kabel versorgt werden.
Sensorik, Versorgung von autarken und/oder drehenden Sensorsystemen, Kameras, Motoren.
Bergbau oder explosionsgefährdete Anwendungen, durch vollständig ge-kapseltes Energieversorgungssystem.
Bei Transport und Verkehr, Aufladen der Akkus von Elektrofahrzeugen ohne Kabel.
Das Energieübertragungsverfahren mit Tunneleffekt erlaubt große Freiheitsgrade in der Kombination zwischen Sendern und Empfängern. Bild 9 zeigt einen Testaufbau mit einem Sendemodul (rechts) mit einer maximalen Ausgangsleistung von 150 W und mehreren Empfängern.
Eine Wireless Power Transmission sollte die Übertragung über eine Distanz im Zentimeterbereich und nicht nur wenigen Millimetern ermöglichen. In der Praxis stoßen die bisher bekannten Verfahren mit induktiven oder resonanten induktiven Verfahren recht schnell an ihre technischen und mechanischen Grenzen. Ein Entwickler, der ein induktiv gekoppeltes Energieübertragungsverfahren einplant, muss sehr hohen Aufwand treiben, um unerwünschte Nebeneffekte zu beseitigen bzw. zu vermeiden – z.B. um Fremdobjekte in der Nähe des Übertragungskanals zu detektieren (Foreign Object Detection, FOD).
Das hier vorgestellte Verfahren zur kontaktlosen Übertragung von Energie mit Tunneleffekt bietet dem Entwickler mehr Freiheitsgrade, wie eine größere Distanz bis zu 30 cm und einen hohen Versatz zwischen Empfänger- und Senderspule. Das Übertragungsverfahren ist ohne großen zusätzlichen Aufwand sicher hinsichtlich seiner Abstrahlungseigenschaften und tolerant gegen äußere Einflüsse wie Fremdkörper. Eine gleichzeitige Versorgung von mehreren Empfängern ist problemlos möglich.
Das von WPT-Systems entwickelte Konzept zur kontaktlosen Energieübertragung kombiniert ein international patentiertes Übertragungsverfahren mit modernster Elektronik auf Basis von Wide-Band-Gap-Materialien. Somit stehen Produkte und Bausteine zur Verfügung, die hinsichtlich Integrationsdichte und Übertragungseigenschaften kaum Wünsche offenlassen.
Der Autor
Michael Zenkner
ist Leiter des Unternehmens WPT-Systems und gibt die technische Entwicklung und Geschäftsstrategie vor. Die notwendige Erfahrung im Produktmanagement konnte er sich durch die aktive Mitwirkung an Entwicklungen von Techniken und Produkten in unterschiedlichen Unternehmen aneignen. Zenkner studiert zusätzlich Internationales Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Augsburg.
m.zenkner@wpt-systems.de