Augen verschließen nützt nichts

Das sind die Ursachen des spanischen Blackouts

1. Juli 2025, 7:30 Uhr | Heinz Arnold
Priv.-Doz. Dr. Michael Fette, Geschäftsführer von Fette Dynamics: »Einheitenzertifikate werden unter „Laborbedingungen“ erstellt, die Realität im System ist aber anders, also verhalten sich die zertifizierte Anlagen im Netz ganz anders als unter den Prüfbedingungen. Deshalb brauchen wir Edge-Computing vor Ort! Wie bisher die alten Verfahren einfach ins neue Netz zu übertragen, schafft statt des beabsichtigten Schutzes nur zusätzliches Risiko!«
© Fette Dynamics

Kürzlich hat die spanische Regierung einen Bericht veröffentlicht, der Hinweise geben soll, warum es in Spanien am 28. April zum Blackout gekommen war. Über die wirklichen Ursachen aber schweigt er sich aus. Aber sie sind bekannt.

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In dem teilweise geschwärzten Bericht zum verheerenden Ausfall – es ist von mehreren Milliarden Euro Schaden die Rede – werden zwar einige Faktoren angesprochen, die unter anderem auch zum Blackout geführt haben – aber konkreten Aussage, wo die wirklichen Ursachen zu finden sind und wo die Verantwortlichkeiten liegen, finden sich darin nicht.
  
Auslöser war danach der Ausfall eines Umspannwerks in Granada, es folgten zwei weitere Ausfälle in Badajoz und Sevilla in Sekundenabstand. Von da an setzten die weiteren Notabschaltungen ein und das gesamte spanische Netz brach zusammen. 

Was der Bericht offen lässt

Außerdem erwähnt der Bericht, dass ENTSO-E schon eine halbe Stunde vor dem Blackout Oszillationen der Leistung und der Frequenz – auch Pendelungen genannt – im gesamten europäischen Stromnetz gemessen habe. Allerdings geht aus dem Bericht nicht hervor, ob und welche Einflüsse diese Oszillationen für den Blackout hatten – das lässt er ausdrücklich offen. 

Priv.-Doz. Dr. Michael Fette, Geschäftsführer von Fette Dynamics, der sich schon seit Jahrzehnten mit der Stabilisierung von Übertragungs- und Verteilnetzen beschäftigt und als einer der führenden Experten auf diesem Gebiet gilt, 
steht dem Bericht etwas ratlos gegenüber. Denn was seiner Ansicht nach zu dem Ausfall geführt hat, ist weder neu noch unbekannt. 

Was neu ist…

Was tatsächlich in den vergangenen 20 Jahren neu hinzugekommen ist: die starke Integration wechselrichterbasierter Einspeiser und Lasten, die die Systemeigenschaften grundlegend verändern. Der starke Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein Teilaspekt Sie haben sicherlich dazu beigetragen, dass es in Spanien zum Blackout kam, zumal im Süden des Landes überwiegend Energie aus PV-Anlagen eingespeist wird. So war es auch am 28. April. 

…und wer die »Übeltäter« nicht sind

Doch die physikalischen Grundlagen, die beschreiben, wie sich ein Netz verhält, in das beispielsweise ein hoher Anteil an Energie aus PV-Anlagen eingespeist wird, ist nicht neu. Die »Übeltäter« sind auch keinesfalls die PV-Anlagen an sich – auch nicht die Windkraft oder Batterien, und die vielen Stromversorgungen in Industrie und in den Haushalten. Zu Übeltätern werden sie erst, weil sie in großer Zahl neu ins Netz eingebaut wurden – ohne daraus die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Denn nun bauen sich die sogenannten »nichtlinearen Dynamiken« auf. Das bedeutet: Die alten über Jahrzehnte gültigen Regeln zur Stabilisierung funktionieren nicht mehr, das Netz müsste über neue Methoden stabilisiert und dazu teilweise umgebaut werden. 

Die »nichtlineare Dynamiken« schlagen durch

Nun können »nichtlineare Dynamiken« aus vielfältigen Gründen entstehen. Es gab sie selbstverständlich auch in der Vergangenheit, nur tauchten sie in den alten Netzstrukturen kaum störend auf – aufgrund der vielen rotierenden Massen waren Selbstheilungskräfte im Netz vorhanden, die dafür sorgten, dass sich die nichtlinearen Dynamiken nicht aufschaukeln konnten, die Netze waren weitgehend symmetrisch, was ebenfalls dazu beitrug, dass keine Schieflasten entstanden. Zudem hatte man im Übertragungsnetz für sehr niederfrequente Zwischensystemschwingungen mit der technischen Lösung der PSS – Power System Stabilizer – eine bewährte Technik, um diese Schwingungen zu dämpfen.
 

Das Zerstörungspotenzial nichtlinearer Dynamiken

Nichtlineare Dynamiken sind im 50-Hz-Netz immer vorhanden, sie haben sich bisher allerdings meist nicht ausgewirkt, weil sie normalerweise gedämpft werden. 

Doch es gab schon früher Ausnahmen. Dr. Michael Fette kennt ein interessantes Beispiel. Thyssen-Krupp hatte in Brasilien ein neues Stahlwerk errichtet. Nun sollte eine 17-MW-Maschine angefahren werden. Leider verlief das nicht nach Plan. Die Maschine zerstörte sich beim Anlauf selbst. Zuerst einmal standen alle vor einem Rätsel: Wie konnte das passieren? »Als wir die zerstörte Maschine besichtigten, fielen Zahnräder auf, die stark in Mitleidenschaft gezogen waren«, erinnert sich Fette. In die Zahnräder waren an verschiedenen Stellen Löcher geschmolzen. »Hier müssen Ströme im kA-Bereich geflossen sein!« 

Das Interessante war, dass sich ein sehr regelmäßiges Muster eingestellt hat. Der Übeltäter hatte damit einen Fingerabdruck hinterlassen, an dem er zu identifizieren war: »Die Ursache muss ein Wechselstrom gewesen sein, und zwar im niederfrequenten Bereich.« Damit war auch klar, dass nichtlineare Effekte dazu geführt hatten, dass diese Ströme flossen. »Wir konnten tatsächlich einen Strom mit einer Frequenz von unter 0,01 Hz messen – das ist fast Gleichstrom!« 

Wie aber konnten dieser niederfrequente Strom entstehen? Erneuerbare Quellen und andere Ursachen, wie sie in modernen Netzen heute auftauchen, waren dort nicht vorhanden. Was aber vorhanden war, waren zwei Einspeisungen im Bereich von 138 kV. Es traten Erdschlüsse auf, die die zu einer Kopplung der Einspeisungen führten, die wiederum zu kleinen Winkelabweichungen führten und die Folge waren niederfrequente Ströme. Das Netz verhielt sich nun nicht mehr symmetrisch. Weil nun die Ursachen bekannt waren, konnte Abhilfe geschaffen werden: Es mussten die Erdungsverhältnisse verbessert werden. Unter anderem wurde eine Schaltanlage versetzt um eine strikte Trennung der beiden Einspeisungen zu erreichen. Dann hat alles einwandfrei funktioniert.

Dieses Beispiel ist aber auch für die derzeitige Situation in unseren Netzen relevant: Zukünftig werden die Erdungssysteme eine riesige Rolle spielen. »Denken Sie nur an die Anzahl der Balkonkraftwerke!«, so Fette. Denn nun verhält sich das Netz nicht mehr symmetrisch, was es bisher tat und weshalb bisher auch keine Probleme auftraten. »Künftig werden wir ganz andere Netzstrukturen benötigen, um diese Effekte kompensieren zu können!«

 

Doch schon damals nahm die Einspeisung aus erneuerbaren Quellen wie PV und Wind zu und wirkte sich auf die Stabilität der Netze aus. »Wenn viele Spannungsregler miteinander sprechen und aufeinander einwirken können, dann hat das zwangsläufig nichtlineare Dynamiken zur Folge. Lässt man ihnen freien Lauf, dann schaukeln sie sich auf und können zum Netzausfall führen«, erklärt Dr. Michael Fette. Sind nur wenige Spannungsregler im Netz vorhanden, dann kann steuernd eingegriffen werden – so hat es in der Vergangenheit funktioniert jeder einzelne Regler konnte isoliert betrachtet werden Heute aber kommunizieren Tausende von Regler im Netz miteinander und reagieren darauf.  Die früher vorhandenen stabilisierenden Elemente sind mit der steigenden Anzahl der Erneuerbaren zunehmend wegfallen, was das Problem verschärft. 

Jetzt stellen diese Dynamiken eine sehr ernst zu nehmende Gefahr für das Netz dar – die Entwicklung dorthin war aber für alle Experten sichtbar. Für niemanden, der Elektrotechnik studiert hat und der für Energieversorger und Netzbetreiber arbeitet, dürfte dies ein Geheimnis sein. Wer die Grundlagen kennt, der weiß auch, was zu tun ist, um die Netze dennoch zu stabilisieren. 

Allerdings arbeiten diese Experten unter den Bedingungen, wie sie in unserer Energielandschaft derzeit eben herrschen. Und das bedeutet in der Realität: Alle verschließen die Augen vor dem Problem.  

Es kann zwar gemessen werden…

Warum das so ist, dazu eine kleine Zeitreise zurück ins Jahr 2006. »Damals habe ich in Zusammenarbeit mit A.Eberle genau daran gearbeitet: ein Gerät zu entwickeln, das schon früh davor warnen kann, dass sich ein Netzausfall, ein Kollaps, anbahnt. Dann ist die Zeit vorhanden, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen und das Netz in stabile Bahnen zu lenken. Es kommt vor allem darauf an, erst einmal Ruhe ins Netz zu bringen – das ist der allerwichtigste Schritt«, weiß Fette. 

Entwickelt hatten er und A.Eberle ein Gerät, das den Frequenzgang im Netz kontinuierlich und exakt misst. Die Messergebnisse fließen in die ständige Überwachung des Netzes ein, aus der Analyse lässt sich die Netzdynamik ermitteln – und es lassen sich Schritte einleiten. 2007 kam das neu entwickelte »Collapse Prediction Relay D«, kurz CPR-D, auf den Markt. Was dabei sehr wichtig ist: Der CPR misst nicht nur im Bereich der 50-Hz-Frequenz. Um die nichtlinearen Dynamiken zu erkennen und zu bewerten zu können, ist entscheidend zu wissen, was sich in den sehr niedrigfrequenten Bändern abspielt (siehe das Beispiel im Kastentext). 
 
Der CPR warnt vor einem sich anbahnenden Netzzusammenbruch, vor dem unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch und er kann Regler stillsetzen. Das ist besonders wichtig, denn die fehlende Koordination der Regler führt dazu, dass die Leitungen überlastet werden, dann setzt die Kettenreaktion ein. Die CPRs können Regler aber auch aktivieren, um eine Netzwiederherstellung nach einem Zusammenbruch vorzubereiten

Gibt das Gerät eine Vorwarnung ab, so kann ermittelt werden, ob sich das Netz in Richtung eines stabilen Zustandes entwickelt oder aber auf einen Kollaps zusteuert. In diesem Fall kann in Abhängigkeit von Netztopologie und den sonstigen Randbedingungen entschieden werden, welche Maßnehmen – von Lastabwurf über zusätzliche Wirk- und Blindleistungen bis zu Verinselungen – ergriffen werden müssen, um das Netz in Richtung Stabilität zu führen. 

Damit stand also schon im Jahr 2007 ein Gerät zur Verfügung, das die Netzbetreiber sehr flexibel einsetze konnten – es lässt sich an jedem Punkt des Netzes einsetzen, um Blackouts zu verhindern und damit immense materielle Schäden abzuwenden. »Wir haben also erwartet, dass uns die CPRs aus den Händen gerissen werden. Leider trat das Gegenteil ein«, erinnert sich Fette. 

…aber keiner mag so genau hinschauen

Denn Netzbetreiber sahen zwar die Vorteile – aber sie mussten auch auf ihr Geschäft achten. Die Geräte einzubauen, bedeutet für sie nur einen kleinen Aufwand. Wenn sie aber anzeigen, dass Maßnahmen zur Stabilisierung erforderlich sind, müssen Gegenmaßnahmen eingeleitet werden – und die können sehr viel Geld kosten. Die Frage ist dann, wer es bezahlt. Die Netzbetreiber fürchten also, dass sie auf ihren Kosten sitzen bleiben könnten. »Wenn sie dagegen das Netz nach einem Blackout – für den sie oberflächlich gesehen nichts können – schnell wieder hochfahren, dann sind sie die Helden!«, sagt Fette. Also schienen sich alle ganz gut darin eingerichtet zu haben, gar nicht so genau zu wissen, was im Netz vor sich geht und die Dinge mal auf sich zukommen zu lassen. 

Der Spuk im Stadtnetz

Die Stadtwerke Erfurt standen vor einem Rätsel. Plötzlich waren im Stadtgebiet immer wieder an unterschiedlichen Orten Qualitätsprobleme in der Stromversorgung aufgetreten, die die Kunden gemeldet hatten. Eine Ursache war zunächst nicht auszumachen. Auffällig war nur, dass die Probleme zwischen 7 Uhr morgens und 19 Uhr abends gehäuft auftraten, nach 19 Uhr war der Spuk wieder verschwunden. Dr. Michael Fette wurde zu Rate gezogen und führte Messungen im niederfrequenten Bereich durch. Bei 5,5 Hz wurde er fündig. 

Es schaute sich um und sah, dass außerhalb vom Stadtgebiet eine Biogasanlage in Betrieb gegangen war. Sie war auf dieselbe Sammelschiene geschaltet und brachte die 5,5-Hz-Komponente ein. Wenn in den Büros ab 7 Uhr morgens die Computer eingeschaltet wurden und viele weitere schwingfähige Lasten ans Netz gingen, setzten die Wechselwirkungen ein, die Oszillatoren im Netz begannen sich auszuwirken und sorgten immer wieder an verschiedenen Stellen für Qualitätsproblemen. Ab 19 Uhr, als die meisten Verbraucher wieder abgeschaltet wurden, tauchten sie nicht mehr auf.  

Wie erwartet handelte es sich also nicht um Spuk, sondern um ganz normale Physik und die Ursache konnte einfach behoben werden: Die Biogasanlage wurde auf eine andere Sammelschiene geschaltet, die unerwünschten nichtlinearen Dynamiken verschwanden und mit ihnen die Probleme. 

 

Einfach ignorieren hilft nicht mehr

Was allerdings in Zeiten, in denen sich die Netze so stark ändern, dass die nichtlinearen Dynamiken nicht mehr zu ignorieren sind, allen auf die Füße fallen wird. Wie sich jetzt eben in Spanien gezeigt hat. Aus diesem Blickwinkel gesehen, kam die Katastrophe in Spanien gerade rechtzeitig, um alle aus der Lethargie zu reißen – und vor allem zu zeigen, dass diese Art von Blackouts kein unabwendbares Schicksal darstellt. 

»In Österreich – also weit entfernt von Spanien – wurde über die CPRs gemessen, dass sich im spanischen Netz selbstinduzierte Schwingungen aufbauten – vier Stunden vor dem Blackout! Wir wussten Stunden vor dem Ereignis bereits, dass sich etwas anbahnt. Vor Ort in Spanien hätte der Netzbetreiber das selbstverständlich noch viel besser sehen und vor allem rechtzeitig reagieren können«, so Michael Fette. 

Aber solche Messungen hat der spanische Netzbetreiber Red Eléctrica offensichtlich nicht vorgenommen. Die nichtlinearen Effekte konnten sich jedenfalls über Stunden hochschaukeln und führten zum Blackout. 

Überrascht wurden die Experten nicht

Der Bericht der spanischen Regierung lässt allerdings den Eindruck aufkommen, dass Red Eléctrica von dem Ausfall der Umspannwerke Sekunden vor dem Blackout überrascht wurde, wie durch ein unvorhersehbares Naturereignis und dann gegen die einsetzenden Abschaltkaskade nichts mehr hätte tun können. Red Eléctrica selbst hat nach dem offiziellen Bericht in einer eigenen Stellungnahme eine Anlage als den Auslöser identifiziert – die allerdings am Rand des Systems angesiedelt ist. Sie als Auslöser zu betrachten, lässt Experten eher lächeln. 

Andererseits ist bekannt, dass um 8:30 Uhr ein Kraftwerk in Spanien abgeschaltet wurde. Ob das der Trigger für den späteren Blackout gewesen sein könnte, kann Michael Fette nicht mit Sicherheit sagen, die Wahrscheinlichkeit dafür sei aber hoch, denn seit dem Zeitpunkt konnte eine veränderte Dynamik beobachtet werden 

Es scheint also in dem Bericht erster Linie darum zu gehen, die wirklichen Ursachen, die schon lange vor dem Ereignis hätten entdeckt werden können, nicht anzusprechen. Gerade weil viel Geld im Spiel ist, das die Verantwortlichen bezahlen müssten – wenn sie ermittelt werden könnten. »Die richtigen Fragen werden in dem Bericht jedenfalls nicht gestellt«, sagt Fette. 

Der Blackout: Kein Blitz aus heiterem Himmel

Zudem hat Spanien der Blackout vom 28. April ganz und gar nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Der Umbau des spanischen Netzes in Richtung Erzeugung durch erneuerbare Energien ist schon sehr weit vorangeschritten. Allerdings wurden nicht die neuen Stabilisierungsmaßnamen ergriffen, um das Netz auch unter den neuen Bedingungen stabil zu halten – was wie oben bereits erläutert – ganz und gar kein Hexenwerk gewesen wäre, sondern auf den Regeln der Physik basiert. 

»Im spanischen Netz traten über die Wochen vor dem Blackout derartige Vorfälle häufig auf«, sagt Fette. Erst kurz zuvor ist es in Spanien in einer Raffinerie von Repsol zu einer vollständigen Trennung vom Netz durch eine Auslösung des Überspannungsschutzes gekommen. Dass der Vorfall lokal begrenzt werden konnte, sei einfach nur Glück gewesen – es sind nicht wie beim Blackout am 28. April so viele Faktoren zusammengekommen, dass schlussendlich das gesamte Netz in Spanien in Mitleidenschaft gezogen wurde.  

Kann das in Deutschland auch passieren?

Die Frage, die sich sofort stellt, lautet: Sind die Verhältnisse in Deutschland nicht ähnlich wie in Spanien? Ist es also reines Glück, dass es hierzulande bisher nicht zu einem flächendeckenden Blackout kam? 

»Erstens ist der Anteil der PV-Anlagen in Deutschland noch deutlich geringer als in Spanien, zweitens ist unser Netz stärker vermascht, die Mixtur ist also im Moment günstiger«, antwortet Michael Fette. Das bedeute, dass es zwar lokal zu Zusammenbrüchen kommen könne, dass sich diese Probleme aber lokal eingrenzen ließen, so dass die Wahrscheinlichkeit für einen globalen Ausfall wie in Spanien momentan relativ gering sei. Die Betonung liegt allerdings auf »momentan«. Denn auch hierzulande entwickelt sich das Netz schnell in Richtung der Verhältnisse, wie sie in Spanien bereits herrschen – und wird auf diesem Niveau nicht stehen bleiben. 

Ein Schritt in die richtige Richtung

Der § 12h des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) soll die Rahmenbedingungen für die marktbasierte Beschaffung von nicht frequenzgebundenen Systemdienstleistungen für Übertragungs- und Verteilernetze schaffen, um übergeordnet für die Spanungshaltung in Netzen zu sorgen, in denen der Anteil der rotierenden Massen sinkt. Die Einspeisung von Blindstrom spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie wird bisher über bilaterale Verträge zwischen Versorgern und Kraftwerken geregelt. Jetzt fordert die Bundesnetzagentur, dass Hoch- und Höchstspannungs-Netzbetreiber mit Blindleistungsbedarf Ende Juni 2025 einen Markt dafür einführen müssen. Weil die konventionellen Kraftwerken wegfallen, müssen die Erzeuger aus Erneuerbaren Energien die Blindleistung zur Verfügung stellen. Als erster deutscher Übertragungsnetzbetreiber hat 50Hertz die marktliche Beschaffung von Blindleistung zur Spannungshaltung am 1. April 2025 eingeführt. Das Unternehmen hat sein Netzgebiet in die fünf Beschaffungsregionen Hamburg, Nord, Mitte, Süd-West und Ost aufgeteilt, weil Spannungsregulierung über Blindleistung kleinräumig organisiert werden muss. In allen Regionen gibt es sowohl spannungshebenden als auch -senkenden Bedarf.

 

»Wir brauchen ein anderes Netzmanagement!«

»Wir stehen also spätestens jetzt vor der Aufgabe, für eine koordinierte Spanungshaltung im gesamten Netz zu sorgen, wir brauchen ein anderes Netz-Management«, fordert Fette deshalb. 

Was ganz neu im Netzmanagement gemacht werden muss: nicht alle Daten von den Messpunkten in die Leitsysteme übermitteln, denn das führt zu einer völlig unbeherrschbaren Datenflut. Allein die Daten von hundert intelligenten Ortsnetzstationen reichten aus, die Kapazitäten der heute zur Verfügung stehenden Systeme nach einem halben Jahr an die Grenze zu bringen, von den Ladepunkten für E-Fahrzeuge gar nicht zu sprechen. Vor allem aber handelt es sich bei den ermittelten Daten fast ausnahmslos um Datenmüll, 99,99 Prozent seien irrelevant, niemand könne mit ihnen etwas Sinnvolles anfangen. 

Was jetzt zu tun ist 

»Was wir brauchen, ist Edge-Computing vor Ort«, sagt Fette. Es müsse für eine intelligente Vorverarbeitung der Daten über für alle nutzbare Protokolle gesorgt werden. 

Was allerdings bisher gemacht wird, hält er für vollkommen überflüssig. »Einheitenzertifikate werden unter „Laborbedingungen“ erstellt, die Realität dann im System ist anders. Aus diesen Zertifikaten abzuleiten, dass alles funktionieren wird, ist erstaunlich. Wahrscheinlich haben dann alle etwas zum Abheften und ein gutes Gefühl, dann wird alles schon seine Richtigkeit haben«, so Fette. »Im Netz verhalten sich die Anlagen dann aber ganz anders als unter den Prüfbedingungen. Die alten Verfahren einfach ins neue Netz zu übertragen, schafft statt des beabsichtigten Schutzes nur zusätzliches Risiko!«

Es sei deshalb unbedingt erforderlich, die Technischen Anschlussbedingungen auf Basis klarer Kriterien bundeseinheitlich auszulegen. »Dann wird die Koordination insgesamt viel einfacher. Jetzt kommt es darauf an, gerade nicht lokal steuernd einzugreifen, sondern vor allem erst einmal Ruhe ins Netz zu bringen – das ist der allerwichtigste Schritt«, weiß Fette. 

Dabei handelt kann es sich nicht um einmalige Maßnahmen handeln. Das System müsse laut Fette permanent optimiert werden, um es auf die sich wandelnden Anforderungen anzupassen. Ziel müsse es sein, dass eine zentrale Stelle alle Regler koordinieren kann. »Vor allem so, dass es das Bedienpersonal verstehen kann, deshalb sind klare Kriterien so wichtig!«


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