KI simuliert Hunde

Künstliche Nasen erschnüffeln Krankheiten

22. Februar 2021, 11:16 Uhr | Heinz Arnold
Andreas Mershin in seinem Büro am MIT neben einem Hund, der auf das Erschnüffeln von Krankheiten trainiert ist. Er wurde von der britischen Organisation Medical Detection Dogs ausgebildet.
Andreas Mershin in seinem Büro am MIT neben einem Hund, der auf das Erschnüffeln von Krankheiten trainiert ist. Er wurde von der britischen Organisation Medical Detection Dogs ausgebildet.
© Medical Diagnostic Dogs

Künstliche Nasen sind auf dem Weg, das zu lernen, was Hunde können – und zwar besser: Krebs in einem sehr frühen Stadium zu erkennen.

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Hunde viele Erkrankungen des Menschen »erschnüffeln« können, darunter verschiedene Krebsarten. Sie erzielten beispielsweise bei der Erkennung von Prostatakrebs Trefferraten von 99 Prozent. Ob sie auch Covid-19 erkennen können, ist noch nicht belegt, aber wahrscheinlich.

Allerdings kostet es einen erheblichen Aufwand, die Hunde zu trainieren. Anschließend stehen sie nur begrenzte Zeit zur Verfügung. Deshalb suchen Wissenschaftler nach Wegen, die erstaunlichen Leistungen der Hundenase und der mit olfaktorischer Wahrnehmung befasste Hirnareale nachzubilden.

Die Sensoren sind schon besser als ihre natürlchen Vorbilder

Jetzt haben Forscher vom MIT ein System vorgestellt, das chemische Substanzen und Microben in Luftproben sogar noch sensitiver aufspüren kann als Hundenasen. Die Forscher verbanden diese künstliche Nase mit einem Maschine-Learning-Prozess, um aus den Luftproben auf die Krankheiten der jeweiligen Personen zu schließen. Das System reagiert inzwischen auf Chemikalien und Mikroben in den Luftproben sensitiver als eine Hundenase.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich ihre Erkenntnisse über die Wirkungsweise der Hundenase und der zugehörigen Regionen des Gehirns dazu nutzen lassen werden, die erstaunlichen olfaktorischen Fähigkeiten zu automatisieren und ein Detektionssystem zu entwickeln, das in ein Smartphone passt.

»Über die letzten 15 Jahre hat kein Verfahren die Hunde darin übertreffen können, Krankheiten von Menschen präzise zu identifizieren«, sagt Andreas Mershin, Research Scientist am MIT. »Sie erzielten teilweise sogar bessere Ergebnisse als Labortests. Viele Krebsarten haben Hunde früher erkannt als jede andere Technologie, die uns derzeit zur Verfügung steht.«

Zudem stellen Hunde offensichtlich Verknüpfungen fest, die den menschlichen Forschern bisher entgangen waren. Als die Hunde mit Proben von Patienten trainiert werden sollten, bei denen eine Krebsart entdeckt wurde, haben einige noch mehrere andere Krebsarten erkannt – auch wenn zuvor wegen der Ähnlichkeiten der Krankheiten untereinander die Unterschiede im Labor nicht aufgefallen waren.

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Eine frühe Version der künstlichen Nase, die Andreas Mershin und seine Mitarbeiter entwickelt haben. In der Zwischenzeit ist sie kleiner als ein Mobiltelefon.
Eine frühe Version der künstlichen Nase, die Andreas Mershin und seine Mitarbeiter entwickelt haben. In der Zwischenzeit ist sie kleiner als ein Mobiltelefon.
© Medical Diagnostic Dogs

Das riechende Smartphone

Mershin und sein Team haben den miniaturisierten Detektor kontinuierlich weiterentwickelt und das System verkleinert. Im Sensor befinden sich Geruchsrezeptoren von Säugetieren als Sensoren, der Daten in einem typischen Smartphone in Echtzeit verarbeitet werden können. Schon bald könnten laut Mershin in jedem Mobiltelefon derartige Geruchssensoren genauso selbstverständlich integriert werden, wie heute Kameras. Sie könnten dann sehr frühzeitig Hinweise auf Krankheiten erkennen – und ganz nebenbei auch als Rauchwarner dienen und auf Gaslecks hinweisen.
 
In einem der kürzlich erfolgten Tests untersuchte das Team 50 Urinproben, die von Prostatepatienten stammten. Es waren aber auch Proben von gesunden Personen darunter. Nun traten speziell trainierte Medical Detection Dogs aus Großbritannien gegen die miniaturisierten Detektionssysteme vom MIT an. Die Kombination aus Sensoren und KI erreichte bei der Erkennung der Krankheit dieselben Erfolgsraten wie die Hunde.

KI bringt den Durchbruch zur Indentifizierung von Krankheiten

Derzeit ist das System laut Mershin um den Faktor 200 sensitiver als eine Hundenase, wenn es darum geht, bestimmte Moleküle zu erkennen, wie in Tests ermittelt wurde. »Allerdings ist das System um 100 Prozent schlechter, wenn es darum geht, aus den Molekülkonzentrationen auf die Krankheiten zu schließen.«

Deshalb ist die KI so wichtig. Über Maschine Learning sollen die Muster erkannt werden, die den Menschen bei der chemischen Analyse bisher entgangen sind. »Hunde wissen nichts von Chemie, sie sehen keine Liste von Molekülen in ihrem Kopf auftauchen. Auch wenn Sie einen Kaffee riechen, sehen Sie keine Liste von Molekülen und Konzentrationen. Aus den Sinneswahrnehmungen taucht einfach ein integriertes Empfinden auf. Diese Empfindung auf Basis des Geruchs können die Hunde „durchsuchen“«, sagt Mershin.

Die Sensoren an sich, die künstlichen Nasen, seien inzwischen besser als ihre biologischen Vorbilder. Was bisher aber noch nicht gelungen sei: Eine KI so zu trainieren, dass sie die Wahrnehmung des Hundes insgesamt simuliert. »Jetzt haben wir gezeigt, dass dies möglich ist«, freut sich Mershin. »Was Hunde tun, können wir bis zu einem gewissen Grad replizieren.«

Der nächste Schritt besteht nun darin, die Voraussetzungen zu schaffen, um den Detektor für den Gebrauch in Krankenhäusern weiter zu entwickeln. Mershin hofft, Tests mit viel mehr Personen als bisher durchführen zu können, etwa 5.000 Proben analysieren zu können. Das kommt allerdings nicht billig. Allein klinisch getestete und zertifizierte Urinproben schlagen mit 1.000 Dollar pro Einheit zu Buche.

Die Resultate der Wissenschaftler werden in PLOS One veröffentlicht. Die Autoren sind Clare Guest von Medical Detection Dogs in Großbritannien, Andreas Mershin vom MIT und 18 weitere Mitarbeiter der Johns Hopkins University, der Prostate Cancer Foundation sowie weiterer Universitäten und Organisationen.


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