In Deutschland suchen drei von vier Elektronik-Unternehmen Mitarbeiter inzwischen auch im Ausland, ermöglicht durch Blaue Karte EU und ICT-Richtlinie.
Zum Auftakt der Hannover Messe am Montag hat der VDE seinen VDE Tec Report 2018 vorgestellt, dem eine Umfrage unter 1350 Mitgliedsunternehmen und Hochschulen zu Grunde liegt. Demnach führen Trends wie Elektromobilität, Smart Grids, Smart Cities oder Industrie 4.0 zu einem weiter steigenden Bedarf an Experten der Elektro- und Informationstechnik, sagen 90 Prozent. Und 95 Prozent gehen davon aus, dass sich der internationale Wettbewerb um Fachkräfte der Elektro- und Informationstechnik verschärft.
»Wir befinden uns in einem harten Standortwettbewerb um die führenden kreativen Köpfe der jungen Generation«, sagt VDE-CEO Ansgar Hinz.
In dieselbe Richtung weist eine neue Umfrage des ZVEI. Bei jeder dritten akademischen MINT-Stelle dauert es bis zu einem halben Jahr, bis sie neu besetzt werden kann. Der Anteil der weiblichen MINT-Kräfte beträgt lediglich elf Prozent; etwa die Hälfte von ihnen verfügt über einen akademischen Abschluss.
VDE und ZVEI blasen ins selbe Horn: vor dem Hintergrund des demografischen Wandels komme der Bildungspolitik eine entscheidende Rolle zu. Und der Bindung der Mitarbeiter, die man schon hat: »Ältere MINT-Kräfte länger im Beruf zu halten sowie Anreizmodelle zu entwickeln, um MINT-Kräfte an die Unternehmen zu binden, sind weitere Strategien, die jeweils sechs von sieben Firmen einsetzen«, so ZVEI-Chefvolkswirt Dr. Andreas Gontermann. Drei von vier Unternehmen werben laut ZVEI gezielt Fachkräfte im Ausland an, wobei 77 Prozent der Firmen hier nicht daran glauben, dass ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz die Lösung wäre.
Doch nicht nur Deutschland rekrutiert im Ausland. In den USA ist die Zahl der bewilligten H-1B-Visaanträge 2017 um 78 Prozent auf 2.515 gestiegen, gestellt vor allem von den großen Tech-Konzernen Facebook (+53 Prozent), Google (+31 Prozent) und Microsoft (+29 Prozent), die alle ihre Rekrutierungsbemühungen im Ausland deutlich verstärkt haben, wie Statista mit Verweis auf einen Bericht von TechRepublic meldet.
Das H-1B-Visum ist ein Nichteinwanderungsvisum, das es amerikanischen Unternehmen erlaubt, speziell qualifizierte ausländische Arbeitnehmer zu beschäftigen. In den USA wird es an Personen vergeben, die über ein abgeschlossenes Hochschulstudium verfügen, das mindestens einem US Bachelor Degree entspricht oder einer vergleichbaren Leistung, die per Gutachten bestätigt sein muss. Zudem muss der US-amerikanischen Arbeitgeber eine Stellenzusage gemacht haben, wobei zwischen der auszuübenden Tätigkeit und der Qualifikation ein Zusammenhang bestehen und das Gehalt dem ortsüblichen Tarif entsprechen muss.
Ein H-1B-Visum ist drei Jahre lang gültig und kann einmal um drei weitere Jahre verlängert werden. Wer sonst keine weitere Aufenthaltserlaubnis erlangt hat, muss sich mindestens ein Jahr lang außerhalb der USA aufhalten, bevor erneut ein H-1B-Visum beantragt werden kann.
Vor allem Mittelstand rekrutiert aus dem Ausland
Laut VDE Tec Report glauben 57 Prozent der Befragten nicht daran, dass sie ihren Bedarf an Ingenieuren und Informatikern in den nächsten Jahren ausreichend decken können. Und weichen aus ins Ausland: Jedes dritte Unternehmen und jede dritte Hochschule rekrutiert bereits Mitarbeiter im Ausland, weil der Markt hierzulande nicht genügend hergibt. Dies trifft laut Umfrage besonders kleine Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern (46 Prozent) und den klassischen Mittelstand mit 1.000 bis 5.000 Mitarbeitern (43 Prozent).
Dabei hilt die Blaue Karte EU, mit der Fach- und Führungskräfte seit 2012 leichter nach Deutschland einwandern und arbeiten können. Knapp jeder vierte Spezialist, der mit ihr nach Deutschland kommt, stammt aus Indien (22,8 Prozent). Dahinter folgen die Herkunftsländer China, Russland, Ukraine und Syrien.
Beantragt werden kann die Blaue Karte EU von Hochschulabsolventen aus dem außereuropäischen Ausland, die ein verbindliches Angebot für einen Arbeitsplatz in Deutschland nachweisen können. Ab einem jährlichen Einkommen von 56 800 Euro besteht ein Rechtsanspruch darauf, dass die Blaue Karte EU erteilt wird. Für Naturwissenschaftler, Mathematiker, Ingenieure, IT-Fachkräfte und Ärzte gilt dies schon ab 41 808 Euro. Diese Einkommensgrenzen werden jedes Jahr angepasst.
Anders als beim H-1B-Visum, das nur einmal verlängert werden kann, erhält ein Mitarbeiter, der seit 33 Monaten im Besitz einer Blauen Karte EU, ein unbefristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland. Mit Deutschkenntnissen auf B1-Niveau sogar bereits nach 21 Monaten. Rund 20 000 ehemalige Inhaber der Blauen Karte besitzen aktuell schon das dauerhafte Aufenthaltsrecht in Deutschland.
Vereinfachung durch ICT-Regelung
Während die Blaue Karte die langfristige Gewinnung ausländischer Fachkräfte unterstützt, macht die 2017 geschaffene ICT-Regelung (Intra Corporate Transfer) den Personaleinsatz flexibler: Mitarbeiter, die bereits an außereuropäischen Standorten eingesetzt sind, können auch an den europäischen Standorten desselben Unternehmens tätig werden.
Beispiel: Ein Unternehmen mit Standorten in Deutschland, Frankreich und Pakistan hat einen Anspruch darauf, seine pakistanischen Spezialisten auch in Deutschland und Frankreich einsetzen zu können. Ist der längste Aufenthalt beispielsweise in Frankreich geplant, wird dort der Aufenthaltstitel »ICT-Karte« erteilt. Mit diesem Titel ist es dann möglich, den Spezialisten flexibel und kurzfristig auch in Deutschland einzusetzen.
Laut einer aktuellen repräsentativen Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu Inhabern einer Blauen Karte EU (»Blue Card«) sind insgesamt zwei Drittel der Befragten in einem MINT-Beruf (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) tätig und ein Fünftel als Humanmediziner. Knapp ein Drittel der Befragten war bereits vor der Berufstätigkeit für einen Studienaufenthalt in Deutschland, etwa ein Drittel der Teilnehmer plant, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Insgesamt wurden seit August 2012 bis September 2015 35.000 Blue Cards erteilt.
Mehr Infos auch unter visaguide.world.