Langfristig betrachtet, sieht sich die Elektro- und Digitalindustrie im Aufwind – auch wenn die Geschäfte derzeit besser laufen könnten. Schub aber könnte die heute beginnende Hannover Messe bringen, jedoch nicht für alle.
Die deutsche Elektro- und Digitalindustrie sieht sich trotz aktueller Auftragsschwäche weiter auf Wachstumskurs. »Wir haben drei Megatrends, die unsere Branche auch langfristig vorantreiben werden: Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung«, sagte Gunther Kegel, Präsident des Branchenverbandes ZVEI, der Deutschen Presse-Agentur. »Diese Megatrends werden unserer Branche in den kommenden Jahren ganz klar Wachstum bescheren.«
Rückenwind verspricht er sich von der heute beginnenden Hannover Messe (22. bis 26. April). Denn die weltgrößte Industrieschau rücke in diesem Jahr diese Trends in den Mittelpunkt: »Die Hannover Messe hat sich ebenfalls auf diesen Dreiklang - Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung eingestellt.«
Mit Blick auf das laufende Jahr zeigte sich Kegel weniger optimistisch. Trotz erster positiver Signale steht die deutsche Elektro- und Digitalindustrie vor einem herausfordernden Jahr. »Wir haben die konjunkturelle Schwächephase aus der zweiten Jahreshälfte 2023 ins neue Jahr mitgenommen, der Auftragseingang ist auch zum Jahresanfang weiter schwach«, sagte Kegel. Einen ersten Lichtblick erkennt der ZVEI-Präsident allerdings im Geschäft mit China, dem größten Abnehmerland der deutschen Elektro- und Digitalindustrie. »In den ersten beiden Monaten haben die Ausfuhren um über 14 Prozent zugelegt. Das stimmt optimistisch für die vor uns liegende Zeit.« Insgesamt gaben die Branchenausfuhren in den ersten beiden Monaten des Jahres leicht um minus 0,8 Prozent nach.
Trotz des schwierigen konjunkturellen Umfelds und der großen geopolitischen Unsicherheiten bleibt die Beschäftigtenzahl weiter hoch. Die Branche beschäftigt 900.000 Menschen in Deutschland – ein Zuwachs von rund 100.000 Stellen seit 2005. »Damit bleibt die Elektro- und Digitalindustrie – nach Köpfen – die zweitgrößte Branche des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland«, so Kegel. Mehr als 100.000 der Branchenbeschäftigten sind allein im Bereich Forschung & Entwicklung (F&E) tätig. Sie bilden die Basis für den Beitrag der Elektro- und Digitalindustrie zu technologischem Fortschritt und damit zu Wachstum und Wohlstand.
Diesen Beitrag hält die Branche mit ihren F&E-Aufwendungen hoch. »Während diese zwischen den Jahren 1990 und 2021 um 150 Prozent auf gut 22 Milliarden Euro gestiegen sind, lag der kumulierte Zuwachs bei den restlichen Investitionsausgaben hier nur bei zehn Prozent. Diese sehr unterschiedliche Entwicklung verdeutlicht einmal mehr, wo die Elektro- und Digitalindustrie ihre Investitionsschwerpunkte setzt – nämlich dort, wo es um Innovationen und technologischen Fortschritt und damit um die Zukunft geht«, so Kegel.
Zuletzt stiegen aber auch die Ausrüstungsinvestitionen auf neun Milliarden Euro. Eine Mitgliederbefragung des ZVEI zeigt zudem: Die Hälfte der deutschen Elektrounternehmen plant, 2024 deutlich mehr zu investieren als in den vergangenen drei Jahren. Weitere 35 Prozent wollen etwas mehr oder mindestens genauso viel investieren wie zuvor. Für 81 Prozent liegt ein Investitionsschwerpunkt vor allem auch in Deutschland.
Innerhalb der Branche gebe es große Unterschiede. »Alle Unternehmen, die sich am Ausbau der Stromnetze beteiligen, haben nach wie vor brummende Konjunkturen, zum Teil mit Lieferzeiten von einigen Jahren, während die klassischen Industrieausrüster, allen voran die Automatisierungstechnik, im Moment die Zurückhaltung bei Investitionen spüren«, so Kegel.
Das ändere aber nichts am langfristigen Aufwärtstrend, zeigte sich Kegel überzeugt. »Natürlich wird es auch schwächere Phasen wie die aktuelle Konjunkturdelle geben. Aber daran anschließen werden sich Jahre, die uns ein deutlich größeres Wachstum bringen werden.«
Als großen Erfolg wertete Kegel die Neuansiedlungen von Chipherstellern wie Intel in Magdeburg und TSMC in Dresden. »Es ist richtig, dass die Bundesregierung die entscheidenden Player der Halbleiterbranche nach Deutschland holt. Wir brauchen diese Schlüsseltechnologie vor Ort, auch um international mithalten zu können.« Dass hierfür hohe Subventionen gezahlt werden, sei zwar wenig erfreulich, aber unvermeidlich. »Sonst klappt das nicht.« Schließlich buhlten auch andere mit hohen Subventionen um Neuansiedlungen. »Da bleibt uns nichts anderes übrig, als es auch zu tun - oder wir verlieren in Europa eine weitere Spitzentechnologie. So sind nun einmal die Spielregeln.«
Kritik äußerte Kegel an den Energiepreisen. Trotz spürbarer Entspannung seien diese für energieintensive Unternehmen weiter zu hoch. »Für die allgemeine Industrie, bei der Energie vielleicht zwei bis fünf Prozent der Gesamtkosten ausmacht, sind die Preise immer noch hoch. Das tut weh, ist aber nicht existenzgefährdend.« Bei energieintensiven Unternehmen etwa aus der Chemieindustrie sehe dies anders aus. »Da reicht das jetzt anvisierte Preisniveau nicht. Da besteht die Gefahr, diese Industrien in Teilen zu verlieren.« Hier müsse die Politik gegensteuern. »Kurzfristig kann das sicher über Subventionen erfolgen, langfristig aber nicht.«
Mehr Augenmaß forderte Kegel in der Klimapolitik. »Beim Klimaschutz warne ich davor, das Tempo weiter anzuziehen. Es nützt uns gar nichts, wenn wir in Deutschland als Erste und Einzige unsere Klimaschutzaufgaben gelöst haben. Davon lässt sich das Weltklima nicht beeindrucken«, sagte der Verbandschef. »Es kann ja nicht das Ziel sein, dass wir als Klassenbester durchs Ziel gehen und dann alle möglichen Ausgleichsmechanismen wie etwa Zölle anwenden müssen, um Wettbewerbsnachteile auszugleichen.«
Besser sei es, sich beim Klimaschutz enger mit anderen Ländern abzustimmen. »Es ist viel wichtiger, dass wir das im Gleichschritt mit anderen großen Weltregionen tun«, sagte Kegel. »Wenn wir unser Tempo fünf Jahre verlangsamen und dafür die Chinesen ihr Tempo fünf Jahre beschleunigen, dann hat das Weltklima davon wesentlich mehr.«