Neuro-inspirierte Bauelemente

Memristoren gegen das katastrophale KI-Vergessen

21. März 2025, 9:30 Uhr | Heinz Arnold
Schematische Darstellung des neuen Memristors
© Chen, S., Yang, Z., Hartmann, H. et al., Nat. Commun., https://doi.org/10.1038/s41467-025-57543-w

Jülicher Forscher um Ilia Valov haben neue Memristoren entwickelt, die gegenüber bisherigen Typen robuster sind, über einen größeren Spannungsbereich arbeiten und analog sowie digital betrieben werden.

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Memristoren zeichnen sich dadurch aus, dass sie wenig Strom aufnehmen und sich ähnlich verhalten wie Gehirnzellen – Eigenschaften, über die sie das Problem des »katastrophalen Vergessens« beheben können, durch das künstliche neuronale Netze bereits Gelerntes abrupt verlieren.

Das Problem tritt auf, wenn neuronale Netze auf eine neue Aufgabe trainiert werden. Denn wenn neue Optimierungen durchgeführt werden, überschreiben sie die vorherigen Optimierungen einfach. Das Gehirn von Tieren hat dieses Problem nicht, weil es offenbar das Maß der synaptischen Veränderung anpassen kann. Fachleute sprechen neuerdings auch von einer sogenannten »Metaplastizität«.

Sie vermuten, dass das Gehirn erst durch diese verschiedenen Grade der Plastizität permanent neue Aufgaben erlernen kann, ohne alte Inhalte zu vergessen. Mit dem neuen Memristor lässt sich dieses Verhalten imitieren.

»Die einzigartigen Eigenschaften erlauben es, verschiedene Schaltmodi zu nutzen, um die Modulation des Memristors so zu steuern, dass gespeicherte Informationen nicht verloren gehen«, erklärt Prof. Ilia Valov vom Peter Grünberg Institut (PGI-7) des Forschungszentrums Jülich.

Ideale Kandidaten für neuro-inspirierte Bauteile

Memristoren sind im Grunde nichts anderes als ein Widerstand mit Gedächtnis – daher auch ihr Name, der sich aus „memory“ (Speicher) und „resistor“ (Widerstand) zusammensetzt. Der elektrische Widerstand ändert sich abhängig von der angelegten Spannung, und anders als bei klassischen Schaltelementen bleibt der Widerstandswert nach Abschalten der Spannung bestehen. Dies liegt daran, dass sich Memristoren strukturell verändern können – etwa, weil sich Atome an den Elektroden ablagern. »Memristive Elemente gelten als ideale Kandidaten für lernfähige, neuro-inspirierte Bauteile eines Computers nach dem Vorbild des Gehirns«, sagt Ilia Valov.

Hürden für die Kommerzialisierung

Doch trotz erheblicher Fortschritte und Bemühungen geht die Kommerzialisierung der Bauteile langsamer als erwartet voran. Das liegt vor allem an einer oft hohen Fehlerrate in der Produktion sowie einer geringen Lebensdauer der Produkte. Hinzu kommt, dass sie empfindlich auf Wärmeentwicklung oder mechanische Einflüsse reagieren, was zu häufigen Störungen im Betrieb führen kann. »Die Grundlagenforschung ist daher unerlässlich, um die nanoskaligen Prozesse besser kontrollieren zu können«, so Valov, der schon viele Jahre auf diesem Gebiet der Memristoren arbeitet. »Wir brauchen neue Materialien und Schaltmechanismen, um die Komplexität der Systeme zu verringern und die Breite der Funktionalitäten zu vergrößern.«

Ein vollkommen neuer Mechanismus

Genau dazu konnte der Chemiker und Materialwissenschaftler gemeinsam mit deutschen und chinesischen Kollegen nun einen wichtigen Erfolg vermelden: »Wir haben einen grundsätzlich neuen elektrochemischen memristiven Mechanismus entdeckt, der chemisch und elektrisch stabiler ist«, erklärt Valov. Die Entwicklung wurde nun im Fachblatt Nature Communications präsentiert.

»Bislang wurden zwei Hauptmechanismen für das Funktionieren der sogenannten bipolaren Memristoren ausgemacht: ECM und VCM«, erläutert Valov. ECM steht für »Electrochemical Metallization« und VCM für »Valence Change Mechanism«, zu Deutsch: »elektrochemische Metallisierung« beziehungsweise »Valenzwechselmechanismus«.

»Electrochemical Metallization«

Bei ECM-Memristoren bildet sich ein metallisches Filament zwischen den beiden Elektroden aus: eine winzige »leitfähige Zunge«, die den elektrischen Widerstand verändert und sich bei entgegengesetzter Spannung wieder auflöst. Als kritischer Parameter wird die Energiebarriere (Widerstand) der elektrochemischen Reaktion betrachtet. Diese Bauweise ermöglicht eine geringe Schaltspannung und schnelle Schaltzeiten. Die erzeugten Zustände sind jedoch variabel und eher kurzlebig.

»Valence Change Mechanism«

In VCM-Memristoren wird der Widerstand dagegen nicht durch die Bewegung von Metallionen, sondern durch die Bewegung von Sauerstoffionen an der Grenzfläche zwischen Elektrode und Elektrolyt gesteuert – durch die Veränderung der sogenannten Schottky-Barriere. Der Prozess ist vergleichsweise stabil, benötigt aber hohe Schaltspannungen.

Das Unmögliche möglich machen

Beide Memristor-Typen bringen verschiedene Vor- und Nachteile mit sich. »Wir haben daher überlegt, einen Memristor zu bauen, der die Stärken beider Typen vereint«, erklärt Ilia Valov. Unter Fachleuten galt dies eigentlich als unmöglich. »Unser neuer Memristor basiert auf einem völlig anderen Prinzip: Er nutzt ein Filament aus Metalloxiden, kein rein metallisches wie ECM«, erläutert Valov.

Dieses Filament wird durch die Bewegung von Sauerstoff- und Tantal-Ionen gebildet und ist stabil. Es löst sich nie ganz auf. »Man kann sich das im Grunde so vorstellen, dass das Filament zumindest im Ansatz immer vorhanden ist und nur chemisch verändert wird«, sagt Valov. Der neuartige Schaltmechanismus ist dadurch sehr robust. Die Wissenschaftler bezeichnen ihn auch als Filament-Leitfähigkeitsänderungsmechanismus (FCM).

Die entsprechenden Bauteile verfügen über mehrere Vorteile: Sie sind chemisch und elektrisch stabiler, resistenter gegenüber hohen Temperaturen, haben ein breiteres Spannungsfenster und es sind nur niedrige Spannungen erforderlich, um sie aufzubauen. Dadurch erhöht sich die Ausbeute, einfach weil weniger Bauteile im Fertigungsprozess »durchbrennen« und auch die ihre Lebensdauer erhöht sich.

Wahlweise binär oder analog

Obendrein ermöglichen die verschiedenen Oxidationsstufen, den Memristor auf binäre und/oder analoge Weise zu betreiben. Die Kombination aus analogem und digitalem Verhalten ist für neuromorphe Chips besonders interessant, weil sie dazu beitragen kann, das Problem des »katastrophalen Vergessens« zu überwinden.

Computation-in-Memory-Anwendungen

Die Forschenden haben in einer Simulation das neue memristive Bauelement bereits in ein Modell künstlicher neuronaler Netze implementiert. Bei mehreren Bilddatensätzen erreichte das System eine hohe Genauigkeit in der Mustererkennung. Künftig will das Team nach weiteren Materialien für die Memristoren suchen, die womöglich noch besser und stabiler funktionieren als die jetzt vorgestellte Version. »Unsere Ergebnisse werden die Entwicklung von Elektronik für „Computation-in-Memory“-Anwendungen weiter vorantreiben«, ist sich Valov sicher.


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