Neues Material führt zu KI-Durchbruch

Memristoren verbessern Neuronale Netze entscheidend

29. April 2025, 7:30 Uhr | Heinz Arnold
Prof. Ilia Valov, Peter Grünberg Institut des Forschungszentrums Jülich: »Wir haben mit der FCM-Zelle erstmals eine Zelle entwickelt, die sowohl sehr gutes digitales als auch analoges Schaltverhalten aufweist – und dazu über die Zeit und die Temperatur sehr stabil ist. Das hilft in neuronalen Netzen gegen das katastrophale Vergessen.«
© Jülich

Jülicher Forscher um Prof. Ilia Valov haben neue Memristoren entwickelt, die deutlich bessere Funktionalitäten als die bisherigen Typen aufweisen. »Ein Durchbruch für die KI-Welt«, sagt Prof. Ilia Valov im Interview mit Markt&Technik.

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Markt&Technik: Die neuen Memristoren, die Sie und ihr Team entwickelt haben, unterscheiden sich deutlich von den bisherigen »Electrochemical-Metalization«- und den »Valence Change Mechanism«-Zellen, kurz ECM- und VCM-Zellen genannt. Was genau ist das Neue?

Prof. Ilia Valov, Peter Grünberg Institut des Forschungszentrums Jülich: Sowohl die ECM- als auch die VCM-Zellen haben ihre Vorteile, aber auch ihre Nachteile. Deshalb haben sie sich bisher nur für Nischenanwendungen geeignet und konnten sich nicht auf breiter Basis durchsetzen. Unseren neuen FCM-Zellen gelingt es nun, viele Vorteile der beiden zu verbinden, ohne die Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Das sehen wir als Durchbruch an.

Das hört sich fast zu schön an, um wahr zu sein. Normalerweise ist es ausgesprochen schwierig, das optimale Verhältnis zwischen den jeweiligen Vor- und Nachteilen einer Technik zu finden. Das ist meist ein langer Weg …

Das stimmt grundsätzlich auch in diesem Fall. Doch um genauer zu erklären, was wir gemacht haben, gehe ich zunächst auf die ECM- und VCM-Zellen ein. Die ECM-Zellen bestehen aus einer inerten Elektrode und einer Elektrode aus elementaren Metallen wie Kupfer, Silber oder Eisen. An dieser Elektrode bilden sich Metallionen, die durch die Zelle wandern. Sie werden an der inerten Elektrode reduziert und bilden Filamente.

Der Vorteil von ECM-Zellen besteht darin, dass die Widerstände der Schaltzustände »An« und »Aus« sehr weit – um einen Faktor bis zu 1 Million – voneinander entfernt sind. Zudem zeigen sie ein analoges Verhalten, sodass Multilevel-Zellen möglich werden, die mehr als ein Bit speichern. Ein Nachteil ist, dass der Widerstand stark schwanken kann und die Zellen nicht immer stabil sind.

Die VCM-Zellen arbeiten nach einem anderen Prinzip: Hier besteht die erste Elektrode wieder aus einem inerten Metall wie Platin, die zweite Elektrode aus oxidierbaren Elementen wie Tantal oder Hafnium. Die Oxide fungieren als Schaltschicht. Es bilden sich Oxid-Filamente aus reduzierten Metalloxiden, die genau in entgegengesetzter Richtung als in den ECM-Zellen wachsen, also in Richtung der Platin-Elektrode. Nach dem ersten Schritt, der Formierung, bildet sich im weiten Schritt eine etwa 3 nm breite Lücke zwischen Filamentspitze und Platinelektrode, die auch als Disk bezeichnet wird. Danach verändert sich die Länge des Filaments nicht mehr. Der Widerstand wird durch eine Änderung der Schottky-Barriere bestimmt.

Stabile, reproduzierbare und verlässliche Zellen – das klingt doch zunächst sehr gut …

… allerdings besteht ihr großer Nachteil darin, dass der »Ein«- und der »Aus«-Zustand relativ eng zusammen liegen, sie unterschieden sich nur um den Faktor 10 bis 100. Wenn die Zelle stabil ist, reicht das aus. Es bedeutet aber, dass diese Zellen für den analogen Betrieb nicht so gut geeignet sind, denn die verschiedenen dafür erforderlichen Widerstandsebenen müssen so eng benachbart sein, dass es sehr schwierig ist, sie zuverlässig zu unterscheiden. Damit können sie in neuronalen Netzen nur eingeschränkt eingesetzt werden.

ECMs und VCMs führten also in eine Sackgasse – aus der Sie jetzt herausgefunden haben?

Wir haben uns überlegt, wie wir beide Vorteile kombinieren könnten. Dazu sahen wir uns die physikalischen Vorgänge in den ECM- und VCM-Zellen noch einmal genauer an. Wir stellten fest, dass in beiden Zellen sowohl die Schottky-Barrieren als auch die elektrochemischen Redox-Barrieren jeweils eine Rolle spielen. In den VCM-Zellen dominiert die Schottky-Barriere. Doch an der Grenzfläche zwischen Platin und dem Oxid existiert parallel auch eine Redox-Barriere. Weil sie aber kaum etwas zum Widerstand beiträgt, wurde sie bisher nicht beachtet. Umgekehrt galt das auch für die ECM-Zellen, wo die Wissenschaftler nur die Redox-Barrieren betrachteten, weil die Schottky-Barrieren dort eben nur eine kleine Rolle spielen.

Ist also die neue Erkenntnis, dass die in beiden Zelltypen bisher als unerheblich betrachteten Beiträge sehr große Auswirkungen auf das Verhalten der Zellen haben?

Ja, denn wenn klar ist, dass beide Barrieren in beiden Zellen vorhanden sind, wird eine Tatsache offensichtlich: Keine der beiden darf vernachlässigt werden, denn es ist der Unterschied im Widerstand der beiden Barrieren, der wesentlich für das Veralten der Zelle ins Gewicht fällt: Ein großer Unterschied zwischen den Barrieren wirkt sich sehr ungünstig aus. Weder darf die Schottky-Barriere in den ECMs noch darf die Redox-Barriere in den VCMs ignoriert werden. Damit konnten wir klären, warum die Zellen jeweils ihre Stärken, besonders aber auch warum sie ihre Schwächen haben. Jetzt konnten wir einen Weg aus dem Dilemma suchen und finden.

Was die neuen »Filament Conductivity Mechanism«-Zellen auszeichnet, ist, dass beide Barrieren ungefähr den gleichen Widerstandsanteil haben?

In der FCM-Zelle haben wir die Schottky-Elektrode der VCM-Zellen durch eine ohmsche Elektrode ersetzt. Mit diesen Trick gelingt es, die günstigen Merkmale der VCM- mit denen der ECM-Zellen zu kombinieren – und die negativen Merkmale zum großen Teil zu umgehen. Hier verändert sich die Länge der Filamente, aber auch ihr chemischer Zustand. Insgesamt verhält sich die Zelle sehr stabil.

War damit der entscheidende Schritt getan?

Leider noch nicht ganz, denn es stellte sich heraus, dass die FCM-Zellen altern: Schon unter guten Bedingungen verändern sich die Widerstände nach zwei bis drei Wochen, bei Feuchtigkeit wirkt sich die Alterung schon nach wenigen Tagen negativ aus. Wir mussten also die Alterung verhindern. Allerdings durfte wir uns nicht der Mittel bedienen, an die jeder zunächst denken würde: Das Metall wegnehmen oder eine zu dicke Hafniumschicht aufbringen. Denn dann würden wir jeweils die eine oder die andere Schwäche einführen, sodass die Vorteile verschwinden können. Wir haben dann die Elektroden der Zellen zusätzlich mit Iridiumoxid versehen. Das Material verhindert, dass die Zelle altert, und hat zusätzlich den Vorteil, dass es den Widerstand der Zelle erhöht. Wir hatten tatsächlich Glück: Das Schaltverhalten war von Anfang an sehr gut, auch bei 80 °C tritt keine Alterung auf.

War es einfach nur Glück, dass Sie auf Iridiumoxid gekommen sind?

Das Glück bestand darin, dass uns keine andere Wahl blieb. Einerseits wussten wir, welche Eigenschaften das infrage kommende Material keinesfalls haben durfte: weder sollten sich Schottky-Barrieren bilden können noch Sauerstoffionen geleitet werden. Andererseits stand uns auch nur ein Material zur Verfügung, das diese Voraussetzungen erfüllte, eben Iridiumoxid. Und das haben wir dann ausprobiert.

Ist der Durchbruch vor allem aufgrund des neuen Materials oder aufgrund der Prozesstechnik gelungen, mit deren Hilfe das neue Material in die Zelle integriert wird?

Beides muss stimmen, aber der zugrundeliegende Effekt geht zum Großteil auf die Materialeigenschaften des Gesamtsystems zurück. Das Iridium wird mithilfe eines herkömmlichen Sputter-Prozesses abgeschieden, der Bestandteil des CMOS-Prozesses ist. Die Schichtdicke der Schaltschicht beträgt 6 bis 8 nm.

Wie groß sind die Zellen?

Abhängig von der herkömmliche Fotolithografie können wir Memristor-Zellen herstellen, die zwischen 4 und 100 µm groß sind. Wir konzentrieren uns auf 10 µm, um unsere Crossbar-Zellen zu fertigen.

So richtig interessant sind die Zellen vor allem im Hinblick darauf, was sich damit nun machen lässt. Sie versprechen nichts weniger, als ganz neue Funktionalitäten in neuronale Netze zu bringen. Was ist aus dieser Sicht das Besondere an den neuen FCM-Zellen?

Wir bereits oben anklang, ist das Besondere, dass sie die Nachteile der ECM- und VCM-Zellen nicht mehr aufweisen. Und vor allem, dass die Abstände zwischen eingeschaltetem und ausgeschaltetem Zustand so weit auseinander liegen, dass sie ohne weiteres auch analog betrieben werden können. Das ist das Neue: Die bisherigen Zellen wiesen entweder ein gutes digitales Schaltverhalten auf, dann war ihr analoges Schaltverhalten schlecht. Oder sie wiesen ein gutes analoges Verhalten auf, dann war ihr digitales Verhalten schlecht. Jetzt haben wir mit der FCM-Zelle erstmals einen Memristor, der nicht nur gleich gut im digitalen und analogen Verhalten ist, sondern sich auch über die Zeit und die Temperatur sehr stabil verhält.

Also genau das Verhalten aufweist, das diesen Memristor zum idealen Kandidaten macht, um damit Neuronale Netze aufzubauen?

Eine befreundete Gruppe von Wissenschaftlern konnte bereits zeigen, dass sich unsere Memristoren für den Aufbau von neuronalen Netzen eignen, die so gesteuert werden können, dass sie einmal gespeicherte Informationen nicht mehr verlieren – auch wenn sie immer wieder neu optimiert werden. Das können Netze auf Basis herkömmlicher Memristoren nicht so gut, was ein entscheidender Nachteil ist. Die Kollegen, die sich mit den Neuronalen Netzen befassen, haben deshalb den Ausdruck des »katastrophalen Vergessens« geprägt: Bereits Gelerntes wird ganz plötzlich wieder vergessen. Dass nun die Aussicht besteht, dieses »katastrophale Vergessen« getrost vergessen zu können, ist unseren neuen FCM-Zellen zu verdanken, die sowohl digital als auch analog arbeiten können – weil wir jetzt endlich die zugrundeliegenden physikalischen Prozesse in den Memristoren verstanden haben und sie daraufhin mithilfe neuer Materialien entscheidend verbessern konnten.

Die neuen FCM-Zellen lassen sich in bestehenden CMOS-Prozessen fertigen, sind stabil, zuverlässig und eignen sich für In-Memory-Systeme, von denen sich die KI-Welt so große Vorteile verspricht. Besteht die Aussicht, dass die Halbleiterhersteller die neuen FCM-Zellen in absehbarer Zeit in Produkten einsetzen werden?

Wir betreiben hier reine Grundlagenforschung und haben jetzt den Proof of Concept erbracht. Wir haben unsere Ergebnisse in Nature Communications veröffentlicht, worüber wir uns sehr freuen. Es sind aber sicherlich weitere Optimierungen nötig. Beispielsweise suchen wir nach kostengünstigeren Alternativen zu Iridiumoxid und haben bereits Kandidaten im Visier.


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