Wie so häufig im Embedded-Bereich kommt es auch auf die Anwendung und die Zielsetzung des Anbieters an. »Viele Hersteller machen nur kundenspezifische Sachen, da macht es keinen Sinn eine Art Standard zu verwenden«, erläutert Norbert Hauser, Executive Vice President Marketing von Kontron. »Es gibt auch Hersteller die versuchen COM Express einzusetzen, aber dieser Standard ist PCI-lastig, also nicht unbedingt die Welt der ARM-Architektur. Wir von Kontron haben nicht richtiges am Markt gefunden und deshalb beschlossen eine ARM-Plattform für Computer-on-Modules zu definieren. Das Problem dabei ist es, die ARM-Schnittstellen über eine Standardschnittstelle auf das Baseboard zu bekommen.«
Darin sieht Wolfgang Eisenbarth, Director of Marketing Embedded Computer Technologie der MSC Vertriebs GmbH, jedoch keine große Schwierigkeit: »Ihr solltet euch mal den Qseven-Standard anschauen - wir liefern schon ein entsprechendes Produkt mit dem Tegra 290. Die Schnittstellen von Prozessoren aus dem Tablet-Bereich sind extrem gut abgebildet - PCI Express und USB 3.0 eingeschlossen. Die speziellen Applikationsprozessoren sind natürlich eine ganz andere Geschichte.« Als Dual-Core-Prozessor könne der Tegra 290 bereits heute Rechenleistung für den High-End-Anzeigebereich bieten, die auf dem Niveau von x86-Plattformen liegt. Zudem liefere Nvidia gerade die ersten Musters seine Quad-Core-ARMs. »Meine Einladung gilt die Ressourcen für RISC mit Qseven zu bündeln - das ist auch das Thema für ein Standardisierungsgremium.«
Ein sensibler Punkt bei ARM-Designs ist der Preis. Da standardisierte Module ein Träger-Board brauchen, kommen die Kosten für eine zweite Leiterplatte und das Steckverbindersystem hinzu. »Wenn der Kunde für 80 Euro seine Applikation realisieren will, dann wird es schwer für Baseboard und Modul«, erklärt Blumenschein und bezieht sich dabei auf die Applikationsprozessoren. »Für jedes Design gibt es einen ARM-Chip der passt zur Kundenanwendung wie die Faust aufs Auge. Für uns hat sich deshalb die Frage nach einem Modulstandard bisher nicht gestellt.«
Bei den leistungsstarken Multicore-ARM-Prozessoren aus dem Tablet-Bereich stelle sich die Situation für Mühlbauer anders dar: »Wenn ich einen µBGA-Baustein habe, dann komm ich unter 14 Lagen nicht aus - dann kostet eine DIN-A4 große Leiterplatte 30 bis 50 Dollar und die Steckerkosten von 1 bis 2 Dollar fallen dann nicht mehr so ins Gewicht. Zusätzlich spielen die Economy-of-Scale-Effekte eine Rolle, wenn das CPU-Modul an Hunderte von Kunden geht.«
Weitere Argument für die Modultechnik - auch bei applikationsspezifischen Prozessoren - sind für Eisenbarth die Problem die mit neuen Speichertechnologien und den hohen Frequenzen: »Die Designanforderungen in Messinstrumente, Layoutsysteme und impedanzgeregelte Layouts überfordert einfach oftmals den Kunden. Wer er ein Modul bekommt, ist von diesem Problem befreit und kann das Träger-Board mit seinem eigenen Know-how beherrschen - das ist ein echter Zugewinn.«
»Ein weiterer Aspekt ist natürlich auch, dass es im Speicherbereich sehr oft Abkündigungen gibt, die die Designer auch noch berücksichtigen müssen«, ergänzt Scheuffele. »Redesign und Qualifizierung sind Kosten, die gerne übersehen werden. Es gibt also viele Vorteile, wenn sich ein Kunde für ein Modul entscheidet. Man muss deshalb für ein Design die Gesamtkosten über den ganzen Lebenszyklus eines Produkts hinweg betrachten. »Man belügt sich selber, wenn man glaubt am Stecker 2 oder 3 Dollar einsparen zu können. Wir wissen alle wie schnelllebig die Zeit ist, wie häufig etwas abgekündigt wird, was eine Zertifizierung und ein Re-Test eines Boards kostet«, mahnt Mühlbauer. »Es hat schon einen Grund, warum Modulhersteller die letzten 10 Jahre regelmäßig um mehr als 30 Prozent gewachsen sind. Bei Automobileherstellern mit Stückzahlen größer 100.000 Stück ist ein Full-Custom-Design eine andere Geschichte - unsere Kunden haben nicht diese Stückzahlen, vielleicht einmal 30.000 Stück.«
Neben der Kostenfrage sollten die Unternehmen aber auch ihre eigenen Ressourcen in die Beurteilung einfließen lassen. »Die wenigen Entwicklungsspezialisten, die die Firmen noch haben, sollen sich besser mit der Applikation beschäftigen, und sich nicht einarbeiten in aktuelle CPU-Themen«, betont Scheuffele. »Viele Entwickler stehen unter Zeitdruck und sind froh wenn sie die CPU-Randthemen an jemanden übergeben können und sich so voll auf ihre Applikation konzentrieren können.«
Einen weiterer Punkt, der sich ebenfalls kaum in Zahlen fassen lässt, sind die rasanten Änderungen in den Märkten. »Im ARM-Bereich ist die Dynamik sogar noch größer, weil die Entwicklung von den Mobilgeräten mit ihren extrem kurzen Zyklen getrieben wird«, erklärt Hauser. »Davon muss man sich im Embedded-Bereich entkoppeln - den langlebigen Teil, die Box und die Infrastruktur und den kurzlebigen Teil. Die Timing-Unterschiede werden immer größer. Wir haben uns deshalb entschieden nicht mit PICMG oder einem anderen Standardisierungsgremium in Verhandlung zu gehen, weil es einfach zulange dauern würde.«
Kann man eigentlich der bestehenden x86-Modul-Kundenbasis einen ARM-Standard schmackhaft machen? »Es sind vorwiegend neue Applikationen die wir adressieren wollen, die bisher nicht mit x86 möglich waren - entweder aus Budget-Gründen oder aufgrund der Verlustleistung«, erläutert Hauser. »Wir reden dabei von Leistungsaufnahmen zwischen 1 W und 5 W, also unterhalb vom Atom«. »Eine Komplettlösung unter 10 W ist mit x86 eigentlich nicht möglich«, ergänzt Mühlbauer, »Speicher und Chipsatz zählen da natürlich auch mit.«
Die noch bestehende Lücke wird sich für Eisenbarth aber in absehbarer Zeit schließen: »Wir erwarten, dass die x86-Technologie noch weiter herunter geht mit der Leistungsaufnahme. Gleichzeitig erwarten wir, dass die ARMs immer leistungsfähigeren werden und damit nach oben gehen - sie treffen sich auf dem Qseven-Formfaktor. Der Kunde findet es bereits heute interessant, dass er dort die Wahl hat, mit einem Baseboard sich für die eine oder andere Technologie entscheiden zu können.«
Dieser Wechsel steht und fällt mit der Software und das sowohl auf der Betriebssystem- als auch auf der Applikationsseite. »Mit Android tut man sich in so einem Fall leichter, da nach ARM jetzt auch x86 unterstützt wird«, erklärt Mühlbauer. »Ob alles läuft sei aber dahingestellt - nicht jede App wird schon portiert sein. Es ist aber leichter, da alle Compiler-Tools schon vorhanden sind.« Einen weiteren Vorteil haben erfahrene App-Entwickler dadurch, dass sie nur noch auf die Middleware zugreifen und so von der Hardware entkoppelt sind. »Für die App-Leute ist es nur ein Knopfdruck«, verdeutlicht Mühlbauer.
Die Kombination aus ARM und Android ist also hochinteressant und hat ein enormes Potenzial für Veränderungen in der Embedded-Welt. »ARM und Android haben in den letzten sechs Monaten alles durcheinander gewirbelt. Andere Themen kamen in dieser Runde eher schleichend, da hat man schon mal zwei Jahre darüber geredet«, resümiert Hauser, »COM Express hat sich halt angebahnt, aber ARM und Android kamen Schlag auf Schlag.«
Wie groß langfristig der Erfolg dieser Kombination sein wird, kann niemand abschätzen. Mühlbauer schließt einen Paradigmenwechsel nicht aus: »Wir dürfen nicht übersehen, dass in den vergangenen Jahrzehnten dramatische Veränderungen in der Branche vollkommen normal waren. Nokia/Apple - da kommt ein neuer und wischt den ganzen Markt mit einem Federstrich über den Haufen. Das ist nicht das erste mal passiert. Bevor Intel überhaupt im CPU-Bereich erfolgreich war, war Motorola der Größte - das Blatt hat sich aber ganz schnell gewendet. Diese Branche ist so was von volatil, warum soll sich das in Zukunft nicht noch einmal wiederholen. Daher glaube ich nicht an die ewige Langfristigkeit in unserem Markt - die hat es nämlich noch nie gegeben.«