Andreas Mangler (Rutronik) im Interview

Europas Rolle im globalen Markt für Leistungshalbleiter

11. Februar 2025, 8:30 Uhr | Karin Zühlke
Andreas Mangler, Rutronik, ist überzeugt: »Europa muss seine Stärken in der Technologie weiter ausbauen, die gesamte Wertschöpfungskette stärken und politisch kohärent handeln, um der wachsenden Konkurrenz aus China begegnen zu können.«
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Andreas Mangler, Director Strategic Marketing bei der Rutronik im Interview: Europa ist führend in der Leistungshalbleiter-Technologie, doch China investiert massiv.

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Was bedeutet das für europäische Firmen? Andreas Mangler, Director Strategic Marketing bei der Rutronik, erläutert das »große Ganze» anhand unternehmenseigener Forecasts.

Die Supply Chains regelmäßig en détail zu analysieren, ist essenziell. Die folgenden Ausführungen erläutern, warum.

In wichtigen Sektoren wie Elektromobilität, erneuerbare Energien und Industrieelektronik setzen europäische Hersteller Maßstäbe auf einem Markt, dem bis zum Jahr 2028 ein weltweites Umsatzvolumen von 9 Milliarden Dollar prognostiziert wird (Yole Intelligence, 2023). Doch die Dynamik des globalen Marktes verändert sich: Insbesondere China, das in den letzten Jahren massive Investitionen in die Entwicklung seiner Halbleiterindustrie, insbesondere der Leistungshalbleiter, getätigt hat, rückt immer mehr in den Fokus. Welche Auswirkungen hat das für europäische Unternehmen, und was ist nötig, damit sie ihre Wettbewerbsposition behaupten können?

Chinas strategische Ausrichtung: Der Masterplan steht

Das »Land der aufgehenden Sonne» hat in den zurückliegenden Jahren klare und systematische Schritte unternommen, um sich als globaler Marktführer in der Leistungshalbleiterproduktion zu etablieren. Siliziumkarbid (SiC) und andere Wide-Bandgap-Technologien spielen eine Schlüsselrolle in der chinesischen Agenda für Elektromobilität, erneuerbare Energien und Ladeinfrastruktur. Diese Entscheidung ist kein Zufall: China hat sich bewusst dafür entschieden, diese Technologien als fundamentale Bausteine für seine zukünftige wirtschaftliche und technologische Entwicklung zu nutzen.

In den Bereichen Elektromobilität und erneuerbare Energien ist China bereits weltweit führend. Die enormen Wachstumsraten im Bereich der Elektromobilität – mit über 40 Prozent Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen im Jahr 2024* (* https://ecomento.de/2024/10/16/cam-analyse-china-festigt-position-als-weltgroesster-e-fahrzeug-markt/) – treiben den Bedarf an Leistungshalbleitern weiter an. Allein der Automobilhersteller BYD verzeichnete im September 2024 ein Plus von 45,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Besonders wichtig sind hierbei Schnellladesysteme und effiziente Umrichter, die auf SiC-basierte Komponenten angewiesen sind. Darüber hinaus hat China große Investitionen in die Ladeinfrastruktur, Ultraschnellzüge und die Entwicklung von Windkraft- und Solaranlagen getätigt, wo SiC ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt.

Was jedoch besonders bemerkenswert ist: Anders als bei anderen Mikroelektronik-Technologien unterliegt die Fertigung von Leistungshalbleitern in China nicht den gleichen Exportrestriktionen wie beispielsweise die Herstellung von fortschrittlichen Prozessoren. Das bedeutet, dass China ungehinderten Zugang zu den modernen Fertigungstechnologien hat, die für die Produktion von SiC und anderen Leistungshalbleitern notwendig sind. Diese geopolitische Freiheit verschafft China einen erheblichen Wettbewerbsvorteil.

China setzt auf eine vollständige Vertikalisierung der Wertschöpfungskette und hat sich dabei nicht nur als Fertiger, sondern auch als Entwickler von Schlüsseltechnologien positioniert. Subventionen und staatlich gelenkte Programme für Start-ups fördern die Entwicklung und die Anwendung von SiC und anderen relevanten Technologien in einer Vielzahl von Industrien – von der Bahn- und Automobiltechnik bis hin zu erneuerbaren Energien und der Telekommunikationsinfrastruktur.

Der Vorteil von einer vollständigen Vertikalisierung – von der Herstellung des SiC-Substrats über Epitaxie, Chip Processing, Dioden-Design, Module Packing bis hin zum finalen System – liegt eindeutig darin, dass die Wertschöpfungskette sehr stabil aufgebaut ist. Auch hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit der einzelnen Produktionsschritte und Materialien überzeugt dieses Vorgehen, da die Kontrolle über den gesamten Wertschöpfungsprozess in einer Hand liegt. Dafür sind jedoch auch erhebliche Investitionen nötig, die ein Unternehmen auch finanzieren können muss – ohne staatliche Unterstützung extrem schwierig. Zudem birgt dieses Vorgehen auch die Gefahr eines Komplettausfalls: Sollte ein Teilbereich aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse wie Naturkatastrophen, Feuer oder politischer Unruhen zeitweise ausfallen, steht innerhalb kürzester Zeit die gesamte Produktion still.

Ein genauer Blick auf das weltweite Ökosystem der SiC Supply Chain zeigt, dass die führenden weltweiten Unternehmen der Branche, darunter Rohm, Wolfspeed, STMicroelectronics und Onsemi ebenfalls vertikalisiert arbeiten. Überschneidungen gibt es jedoch beispielsweise bei der Zulieferung des SiC-Substrats: Zwar beliefert SiCrystal (Teil der Rohm-Firmengruppe) sowohl STMicroelectronics, Rohm als auch Onsemi, allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung: Rohm profitiert durch eine direkte, interne Zulieferung, während STMicroelectronics und Onsemi den Substrat-Hersteller mit langfristigen Vereinbarungen an sich binden. (Quelle: Yole Intelligence, 2023). Hintergrund ist dabei, dass SiC-Substrate nicht gemischt werden dürfen. Gibt es also an dieser Stelle Lieferprobleme, muss ein vollständiger Austausch des Substrats für die weitere Produktion erfolgen.

Eine Nasenspitze vorn?

Während Europa in vielen Bereichen der Leistungshalbleitertechnologie führend bleibt, ist die Herausforderung klar: Der Wettbewerb aus China wird nicht nur technologisch, sondern auch politisch und wirtschaftlich geprägt. Europäische Hersteller wie Infineon, STMicroelectronics und Bosch haben sich als Innovationsführer in der Entwicklung von Leistungshalbleitern auf SiC- und GaN-Basis etabliert. Diese Technologien sind entscheidend für den Auf- und Ausbau der Zukunftsmärkte wie erneuerbare Energien, E-Mobility und Fast-Charging-Infrastrukturen. Doch der technologische Vorsprung allein wird nicht ausreichen, um im globalen Wettbewerb zu bestehen.

Zentrale Herausforderungen für europäische Hersteller sind:

1. Abhängigkeit von Schlüsselzulieferern: Europäische Hersteller sind nach wie vor auf wenige, oft nicht-europäische Zulieferer angewiesen, insbesondere bei der Bereitstellung von SiC-Substraten. Unternehmen wie Wolfspeed und Rohm spielen eine zentrale Rolle in der Wertschöpfungskette. Ein geopolitischer Konflikt oder eine Veränderung der Marktbedingungen könnten die gesamte Produktionskette beeinträchtigen und die Abhängigkeit von den wenigen Zulieferern zu einem erheblichen Risiko machen werden.

2. Preis- und Subventionsdruck: China ist nicht nur technologisch, sondern auch wirtschaftlich stark positioniert. Die chinesische Regierung hat Subventionen in Milliardenhöhe in die Entwicklung von Leistungshalbleitern investiert. Diese Subventionen ermöglichen es chinesischen Unternehmen, Halbleiter zu günstigeren Preisen anzubieten. Europäische Unternehmen könnten aufgrund der hohen Produktionskosten Schwierigkeiten haben, mit diesem Preisdruck Schritt zu halten. Generell erwarten Marktbeobachter der Yole Intelligence, dass sich der durchschnittliche Verkaufspreis eines 6“ Power SiC Epiwafer bis 2028 um 5,1 Prozent auf unter 1.200 Dollar reduzieren wird.

3. Marktfragmentierung und politische Komplexität: Europa kämpft mit einer komplexen politischen Struktur, die eine kohärente und effiziente Reaktion auf den globalen Wettbewerb erschwert. Im Gegensatz dazu hat China eine klare, von der Regierung gesteuerte Strategie, die nicht durch unterschiedliche politische Interessen innerhalb des Landes gebremst wird. In Europa mangelt es an einem übergreifenden Masterplan, der die Halbleiterindustrie als Schlüsseltechnologie für zukünftige Wirtschaftssektoren anerkennt.

Technologische Führung als Wettbewerbsvorteil

Die technologische Exzellenz bleibt (noch) Europas größte Stärke. Unternehmen wie Infineon, STMicroelectronics und Bosch arbeiten kontinuierlich an der Weiterentwicklung von SiC- und GaN-Technologien. Diese Materialien sind nicht nur aufgrund ihrer Überlegenheit in Bezug auf Energieeffizienz wichtig, sondern auch aufgrund ihrer hohen Temperaturfestigkeit und hohen Spannungsfestigkeit, was sie derzeit zum Kern der Mobilitäts- und Energiewende macht.

Die folgenden Maßnahmen würden europäische Hersteller beim Ausbau ihrer Wettbewerbsvorteile unterstützen:

Erweiterung der Fertigungskapazitäten: Durch den Ausbau eigener Produktionskapazitäten für SiC und GaN ließe sich die Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern verringern. Dies würde auch die Resilienz gegenüber globalen Lieferkettenstörungen erhöhen.

Forschung und Entwicklung: Weitergehende Investitionen in Forschung und Entwicklung neuer Materialien und Fertigungstechniken sind entscheidend. Die Entwicklung von innovativen Materialien wie z. B. Galliumoxid (Ga2O3) könnte langfristig die Grundlage für einen erneuten technologischen Vorsprung schaffen.

Integration von Digitalisierung und KI: Der Einsatz von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen zur Optimierung von Fertigungsprozessen und zur Vorhersage von Marktentwicklungen würde europäische Hersteller durch den zeitlichen Vorsprung in eine stärkere Position versetzen. Die Experten der Rutronik Business Analyticssind dank eines selbst entwickelten KI-Modells in der Lage, entsprechende Forecasts zu erstellen, hinsichtlich möglicher Allokationen entsprechende Szenarien zu entwerfen und damit einen individuellen Maßnahmenkatalog zu entwickeln.

Die Rolle der Politik: Wichtige Weichenstellungen für die Zukunft

Die Politik spielt eine entscheidende Rolle, um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Hersteller zu sichern. Eine aktive, zielgerichtete Unterstützung ist notwendig, um den technologischen Vorsprung zu wahren und die europäische Halbleiterindustrie für die Herausforderungen der Zukunft zu rüsten. Dazu gehören:

Forschung und Entwicklung gezielt fördern: Ähnlich wie China würde Europa von gebündelten Forschungsanstrengungen und strategischen Partnerschaften entlang der gesamten Wertschöpfungskette profitieren. Dadurch ließen sich die Entwicklung und der Einsatz von SiC und anderen Halbleitermaterialien in europäischen Industrien beschleunigen.

Subventionen und Investitionen in Produktionskapazitäten: Finanzielle Anreize für Unternehmen, die sich in der SiC-Produktion engagieren, würden den Ausbau der Fertigungskapazitäten in Europa vorantreiben. Insbesondere sollte die EU den Ausbau von »Fabless«-Modellen und vertikal integrierten Fertigungsstrategien unterstützen.

Sicherung fairer Wettbewerbsbedingungen: Eine umfassende Handelspolitik, die unfaire Subventionen ausgleicht, ist entscheidend. Politische Maßnahmen, die auf faire Wettbewerbsbedingungen abzielen, würden den europäischen Herstellern helfen, sich im globalen Wettbewerb besser zu behaupten.

Beleben die chinesischen Mitbewerber das Geschäft?

Die Maxime »Konkurrenz belebt das Geschäft« ist ein zweischneidiges Schwert. In China wird der Wettbewerb stark vom Staat gesteuert. Durch die Unterstützung von Start-ups und die Förderung von Innovationsführern strebt China an, nicht nur die besten Unternehmen zu entwickeln, sondern auch deren Marktanteile durch aggressive Expansion zu sichern. Diese Art der »Top-Down«-Innovation könnte langfristig auch die Dynamik innerhalb des chinesischen Marktes stärken und die Wettbewerbsbedingungen weiter verschärfen. Für europäische Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihre Innovationen nicht nur technologisch, sondern auch marktstrategisch ausrichten müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Fazit: Europas Chancen im globalen Wettbewerb

Europa hat nach wie vor eine starke Position im globalen Wettbewerb um die Leistungshalbleiter. Doch der technologische Vorteil wird zunehmend durch wirtschaftliche und geopolitische Faktoren unter Druck gesetzt. Europa muss seine Stärken in der Technologie weiter ausbauen, die gesamte Wertschöpfungskette stärken und politisch kohärent handeln, um der wachsenden Konkurrenz aus China begegnen zu können. Mit einer klaren Strategie, die Forschung, Fertigung und geopolitische Partnerschaften umfasst, hat Europa die Chance, seine führende Rolle in der Leistungshalbleiterindustrie zu behaupten und auszubauen. Das sind die Voraussetzungen, um Europa in der gesamten Wertschöpfungskette bis hin zum Endprodukt zu stärken und den Produktionsstandort Europa zu sichern.


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