Bei der geometrischen Konstruktion und Absicherung von flexiblen Bauteilen ist es wichtig, die Massendichte, die Steifigkeitseigenschaften sowie die Längen- und Einbauoptimierungen zu berücksichtigen. Dazu gehören Mindestabstände zu anderen Bauteilen, Halterpositionen, Biegeradien, Spannungen und Torsionen. Empfehlenswert ist es, durchgängig ein Werkzeug einzusetzen, das neben der geometrischen Absicherung auch die produktionstechnischen Aspekte und das Betriebsverhalten einbezieht. Eine simulationsgestützte Betrachtung geometrischer Aspekte ist heute in der Automobilentwicklung schon überwiegend im Einsatz. In den anderen Anwendungsbetrachtungen besteht aber noch Nachholbedarf [6]. Die Software IPS Cable Simulation und das zugehörige Entwicklungsportfolio decken alle Bereiche der simulationsgestützten Absicherung ab (Bild 1).
Insbesondere die aufgeführten Funktionen zur geometrischen Absicherung sind in IPS produktiv implementiert und bereits bei Automobilherstellern im Einsatz. Gleiches gilt für viele Funktionen zur Absicherung der Baubarkeit, wie der Analyse von Toleranzen sowie Montage einschließlich virtueller Fehlmontagetests. Funktionen zur Ergonomie in der Montage deckt das Zusatzmodul IPS IMMA (Intelligently Moving Manikin in Assembly) ab. Zusätzlich beschäftigt sich das Fraunhofer-Verbund-Forschungsprojekt Ergodynamic Moving Manikin with Cognitive Control (EMMA-CC) mit diesem Themenschwerpunkt [7]. Für die simulationsgestützte Absicherung des Betriebsverhaltens gibt es zum dynamischen Schwingungsverhalten und der Lebensdauer bereits kundenspezifische Lösungen und Software-Prototypen. Die aktuelle Forschung betrifft die Modellierung und Simulation von Plastizitätseffekten und die Auswirkung von Temperatureinflüssen auf die genannten Effekte.
Die Einhaltung von Mindestabständen zwischen flexiblen und starren Bauteilen, insbesondere in bewegten Systemen, ist eine häufige Aufgabenstellung der Bordnetzentwicklung. Beispielsweise darf der Abstand zwischen ABS-Leitung und Bremsschlauch (Bild 2) an einer Hinterachse den definierten Minimalwert nicht unterschreiten – sowohl bei neuwertigen als auch bei verschlissenen Bremsen.
Das Simulationsergebnis (siehe Bild 2) veranschaulicht, dass beide Zustände den Minimalabstand einhalten. Neben Abstandsmessungen ermöglicht IPS die Optimierung von Kabellängen sowie Anbinde- und Halterpositionen.
Die Software berücksichtigt hierbei Biegeradien, Materialeigenschaften, Schwerkraft, Torsionen und auftretende Spannungen. Toleranz-, Kollisions- und Bewegungsanalysen lassen sich somit schon in der Konstruktionsphase effizient durchführen. Die Software ermittelt frühzeitig den benötigten Bauraum und stellt ihn in Form eines Hüllvolumens dar (Bild 3).
Die Software bietet mit dem sogenannten Autorouting die Möglichkeit, Leitungsverläufe automatisch zu generieren. Die Funktion berücksichtigt bei der Verlaufsberechnung alle vorgegebenen Randbedingungen (Bild 4).
Am Beispiel eines Aluflexschlauchs im Motorraum [8] ermittelt das automatisierte Routing zunächst drei unterschiedliche Verlegungsvarianten (Bild 4a):
Der vollständig geroutete und längenoptimierte Schlauch (Bild 4b) repräsentiert das mechanische Gleichgewicht. Der Farbverlauf innerhalb des Schlauchs spiegelt die auftretenden Von-Mises-Vergleichsspannungen bei aktueller Verlegesituation wider.
Im Montageprozess stellen Kabel und Schläuche eine besondere Herausforderung dar. Oft ist der Bauraum sehr beengt und trotzdem muss genügend Platz für Montage inklusive Verlegung vorhanden sein. Die interaktive Montagesimulation in IPS Cable Simulation erlaubt die Konstruktion von Kabeln unter Berücksichtigung von Bauraum und Kabellängen mit entsprechenden Toleranzen. Im Einzelnen ermöglicht IPS die Echtzeit-Konstruktionsvalidierung hinsichtlich Montage, Befestigungs- und Anschlusspunkten sowie Risikoanalysen bei unsachgemäßem Einbau und Beanspruchungsanalysen der flexiblen Bauteile – für eine erfolgreiche Montage.
In der digitalen Absicherung erfolgt eine simulationsgestützte Produktprüfung, um insbesondere bei flexiblen Bauteilen die Lebensdauer zu sichern. Ziel ist das Minimieren der zu erwartenden Betriebsbeanspruchungen ohne kosten- und zeitintensive Prototypentests. IPS Cable Simulation ermittelt gezielt Risikofaktoren, wie zu große Spannungen, zu kleine Biegeradien oder Kontaktstellen. Zusätzlich zu den oben aufgeführten geometrischen Bauraumanalysen lassen sich dadurch Kräfte, Torsionsbelastungen, Spannungen, Biegeradien und Kontaktanalysen einbeziehen. Ferner wurde ein spezielles Verfahren entwickelt, das die berechneten Spannungen auf kritische Schnittebenen projiziert, nach dem Rainflow-Verfahren zählt und daraus akkumulierte Schädigungswerte ermittelt.
Das Verfahren eignet sich für vergleichende Betriebsfestigkeitsuntersuchungen zwischen unterschiedlichen Einbausituationen. Beispielsweise wirkt die Beanspruchung durch Biegung, Torsion und Zug bei jedem Öffnungs- und Schließvorgang der PKW-Heckklappe auf den Tüllenschlauch und die enthaltenen Kabel (Bild 5).
Die Betrachtung des flexiblen Systems aus Tüllenschlauch und Einzelleitern erfolgt makroskopisch als einzelnes Element, mit den mechanischen Eigenschaften des Gesamtsystems.
Gegenstand der Untersuchung ist unter anderem der Einfluss der Baulänge auf die Betriebsbeanspruchung (Bild 6). Der vollständige Öffnungs- und Schließvorgang wurde für unterschiedliche Längen simuliert und jeweils hinsichtlich Schädigungseinfluss ausgewertet [9]. Das Ergebnis zeigt, dass sich mit zunehmender Länge die größten Schädigungswirkungen vom Schlauchende zur Schlauchmitte hin verlagern (Bild 6a) – bei gleichzeitiger Reduzierung der Gesamtbeanspruchung (Bild 6b). Insgesamt ist davon auszugehen, dass sich ein längeres System aus Tüllenschlauch und Einzelleitern positiv auf die zu erwartende Lebensdauer auswirkt.
Literatur
[1] J.C. Simo: „A finite strain beam formulation: the three dimensional dynamic problem – Part I”, Comput. Meth. Appl. Mech. Eng., vol. 49, no. 1,
pp. 55–70, 1985.
[2] H.E. Dill: „Kirchhoff’s Theory of Rods”, Arch. Hist. Exact Sciences, vol. 44, no. 1, pp. 1–23, 1992.
[3] J. Linn, T. Stephan, J. Carlsson and R. Bohlin: „Fast Simulation of Quasistatic Rod Deformations for VR Applications“, L.L. Bonilla, M. Moscoso, G. Platero and J.M. Vega (Eds.): Progress in Industrial Mathematics at ECMI 2006, pp. 247–253, Springer, 2008.
[4] H. Lang, J. Linn and M. Arnold: „Multibody dynamics simulation of geometrically exact Cosserat Rods“, Multibody System Dynamics, vol. 25,
no. 3, pp. 285–312, 2011.
[5] P. Jung, S. Leyendecker, J. Linn and M. Ortiz: „A discrete mechanics approach to the Cosserat rod theory – Part 1: Static equilibria“, Int. J. Numer. Methods Eng., vol. 85, no. 1, pp. 31–60, 2011.
[6] N. Hofheinz, E. Brandenburg, R. Stark: „Simulationsgestützte Methoden und Tools für die virtuelle Absicherung flexibler Bauteile in der Automobilentwicklung“, Konstruktion 9/2016, S.70-74, 2016.
[7] J. Linn: „Ergo-dynamic Moving MAnikin with Cognitive Control – EMMA-CC: Innovative digitale Menschmodellierung für ergonomische Arbeitsplätze“, 2. Symposium „Digitale Menschmodelle in industriellen Anwendungen“, VDC Fellbach / Fraunhofer IAO, Stuttgart, 2017.
[8] T. Hermansson, R. Bohlin, J.S. Carlson,
R. Söderberg: „Automatic routing of flexible 1D components with functional and manufacturing constraints“, Computer-Aided Design, Volume 79, S. 27-35, 2016.
[9] F. Hoeft, T. Stephan, O. Hermanns: „Eine neue Methode zur vergleichenden örtlichen Beanspruchungsanalyse für Kabel und Schläuche“, VDI-Berichte 2107, S. 297-309, 2010.
Die Autoren
Dr. Klaus Dreßler
leitet die Abteilung MDF am Fraunhofer ITWM und ist dabei verantwortlich die Entwicklung neuer Methoden zur virtuellen Produktentwicklung in der Fahrzeugindustrie. Schwerpunkte sind die Simulation von Nutzungsvariabilität, Systemsimulation sowie nichtlineare Strukturmechanik mit dem Produkt IPS Cable Simulation.
Dipl.-Math. Thomas Stephan
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung MDF am Fraunhofer ITWM. Er ist in den Bereichen Methodenentwicklung, Produktmanagement und betriebsfestigkeitsrelevante Lastdatenanalyse tätig.