Interview mit Arwed Niestroj, Mercedes

»Machine Learning wird demnächst massiv an Bedeutung gewinnen.«

28. November 2016, 10:35 Uhr | Gerhard Stelzer
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"Nähe zu Google, Apple und Co. entscheidend"

Zur Fahrzeugstudie F 015 Luxury in Motion steuerte MBRDNA
Zur Fahrzeugstudie F 015 Luxury in Motion steuerte MBRDNA das ganze digitale Interieur, die Gestaltung der Displayinhalte in Front und Seite, die Gestaltung der Benutzer-Schnittstellen, die Gestenerkennung und das Eye-Tracking bei.
© Mercedes-Benz

Elektronik: Wie wichtig schätzen Sie die Nähe zu einem Apple oder einem Google ein?

Arwed Niestroj: Sehr wichtig! Nehmen wir zum Beispiel mal die Companion App, die wir auf der IAA 2015 vorgestellt haben. Mit dieser App können Sie wortwörtlich von Tür zu Tür navigieren. Stellen Sie sich vor, Sie wollen Pizza essen gehen. Das sagen Sie beispielsweise Ihrer Apple Watch und sie navigiert Sie zunächst zu Ihrem Auto. Im Auto führt das eingebaute Navigationssystem bis zum Parkplatz bei der Pizzeria. Anschließend übernimmt die Smart Watch wieder den Rest des Wegs. Diese App haben wir zusammen mit Apple bei Apple programmiert. Vor der Einführung verlässt kein Produkt bei Apple das Werksgelände. Also mussten wir zu Apple, um unsere App zu programmieren. Dort sitzt man dann neben anderen Teams von Banken oder Football-Teams, die auch eine App bauen. Apple ist natürlich interessiert daran, dass es Apps für die eigenen Produkte gibt, und unterstützt die Partner deshalb entsprechend. Das Gleiche gilt für andere Firmen wie Google, mit denen wir ebenfalls gute Zusammenarbeit pflegen. Mit Apple arbeiten wir beispielsweise auch bei CarPlay und mit Google bei Android Auto eng zusammen. Die Kultur im Silicon Valley ist sehr offen. Man sagt auch, es sei der einfachste Ort, um einen ersten Termin, aber der schwerste, um einen zweiten Termin zu bekommen. Ein Kollege vergleicht das Silicon Valley immer mit der Situation, wenn in Deutschland alle Automobilhersteller in einer Großstadt sitzen würden und alle Tier-1-Zulieferer ebenfalls. So in etwa ist das hier im Silicon Valley. Dann können Sie sich vorstellen, was das für ein Momentum erzeugt, besonders mit dem Fokus Digitalisierung in all ihren Facetten, von Machine Learning über künstliche Intelligenz, virtuelle Realität bis hin zu Big Data.

Elektronik: Das heißt, Sie haben hier auch eine Art Trend-Scout-Funktion?

Arwed Niestroj: Ja, definitiv. Das ist auch ein Teil der Aufgabe unserer Business Innovation Group – Innovation Scouting, was entsteht wo? Wir arbeiten auch mit Firmen zusammen, die Start-ups helfen, so genannten Acceleratoren. Sie unterstützen mit Büroräumen, Infrastruktur, bei der Finanzierung und beim Kontakt zum Kunden. ‚Plug and Play‘ ist so eine Firma, mit der wir regelmäßig zusammenarbeiten und uns gemeinsam Start-up-Bewerbungen anhören, aber auch mit größeren Venture-Capital-Firmen, wie Andreessen-Horowitz oder Silicon Valley Bank. Das funktioniert mittlerweile auch in Deutschland. Gemeinsam mit Partnern hat Daimler ‚Startup Autobahn‘ ins Leben gerufen – ein Accelerator-Programm, das speziell Startups anzieht, die an der Schnittstelle von Hardware und Software smarte Mobilitätslösungen entwickeln. Der Standort liegt in Stuttgart.

Elektronik: Silicon Valley ist weit von Stuttgart. Wie trägt MBRDNA zur Forschung und Entwicklung im Hauptquartier in Deutschland bei?

Arwed Niestroj: Alles was wir machen, ist eng mit dem Headquarter in Deutschland abgestimmt. Es gibt vielleicht ein paar exotische Themen, die wir selber wählen. Aber alle größeren Projekte, z.B. die Einbindung der Apple Watch ins Fahrzeug, besprechen wir vorab mit den Kollegen in Deutschland.

Elektronik: Wie sehen Sie die Wettbewerbssituation im Silicon Valley? Mit aufkommenden neuen Wettbewerbern wie Tesla, Google oder Apple?

Arwed Niestroj: Wir haben gegen neue Wettbewerber nichts einzuwenden. Wir sind ja schon lange in der Automobilindustrie, fast 130 Jahre. Und wir sind nicht ganz erfolglos (grinst). Wettbewerb bringt uns immer wieder auf neue Höhen. Wenn ich Google ansehe, dann lebt diese Firma hauptsächlich von Software, aber im Automobil lässt sich nicht alles mit Software regeln. Das digitale Ökosystem von Apple mit dem iOS, dem Apple Store usw. lebt davon, dass die Software neue Funktionen generiert. Das ist zwar alles wichtig und richtig, aber damit ist noch kein Auto gebaut. Google hat sicherlich eine extreme Kompetenz in der Datenverarbeitung und nutzt dies für die Entwicklung autonom fahrender Fahrzeuge.

Elektronik: Auf der CES 2015 in Las Vegas hatte ich das Vergnügen, bei der Präsentation der Fahrzeugstudie F 015 Luxury in Motion durch Ihren CEO Dieter Zetsche dabei zu sein. Welchen Anteil hat MBRDNA an der Studie?

Arwed Niestroj: Unsere Beteiligung war das ganze digitale Interieur, die Gestaltung der Display-Inhalte in Front und Seite, die Gestaltung der Benutzerschnittstellen, die Gestenerkennung und das Eye Tracking. Dann die Außenkommunikation, wenn dieses Fahrzeug autonom fährt: Wie signalisiere ich meiner Umwelt, z.B. einem Passanten, dass das Auto ihn erkannt hat? Darum hat sich bei uns das Team ‚User Interaction‘ gekümmert, die auch für die Gestenerkennung im Auto zuständig ist. Die Hardware wurde in Sindelfingen aufgebaut. Alle fahrbaren Showcars von uns entstehen dort, denn da ist das klassische Hardware-Know-how erforderlich. Unsere Kollegen von hier waren allerdings eng daran beteiligt, die Elektronik im Fahrzeug zu verbauen und die erforderliche Rechenleistung im Fahrzeug zu platzieren.

Elektronik: Welche Entwicklungsarbeiten werden demnächst hier am US-Standort laufen?

Arwed Niestroj: Die nächsten Schritte sind Weiterentwicklungen beim vernetzten Fahrzeug allgemein, in der Digitalisierung der Fahrzeuge und beim autonomen Fahren. Unter Digitalisierung verstehen wir, dass wir die digitalen Technologien, die wir heute kennen aus den verschiedensten Sektoren, auch fürs Fahrzeug nutzen wollen, um den Kunden ein besseres Fahrerlebnis zu ermöglichen. Beispielsweise wollen wir unseren Kunden künftig Videodarstellungen in Hollywood-Qualität bieten mit in Echtzeit gerenderten 3D-Animationen. Das haben wir bereits im Showcar Concept IAA gezeigt – mit Nvidia-Hardware und Software von ‚The Foundry‘, eine Firma, die auch mit Hollywood-Firmen zusammenarbeitet.

Elektronik: Von welchen Zukunfts-Technologien erwarten Sie sich demnächst Durchbrüche?

Arwed Niestroj: Wir denken, dass das Thema ‚Machine Learning‘ demnächst massiv an Bedeutung gewinnen wird. Wir arbeiten intensiv an diesem Thema. Das Fahrzeug wird mit Hilfe von lernenden Maschinen dem Fahrer künftig noch mehr Entscheidungen abnehmen, indem es Situationen besser vorhersagen kann. Das System lernt vom Verhalten des Fahrers dessen Wünsche und bietet gelernte Voreinstellungen an, z.B. ins Büro navigieren, den Lieblingsradiosender wählen usw. Das Fahrzeug wird sich mit der zur Verfügung stehenden Rechenleistung immer mehr zu einem Assistenten und Partner entwickeln, der intelligent versteht, was im Fahrzeug passiert.

 

Arwed Niestroj und Chefredakteur Gerhard Stelzer
Kleine Überraschung am Rande: Die Wege von Arwed Niestroj und Chefredakteur Gerhard Stelzer kreuzten sich bereits 1989 bis 1991 an der TU München, wo sie zeitgleich im Grundstudium „Höhere Mathematik für Ingenieure“ bei Dr. Peter Vachenauer hörten.
© Elektronik automotive - G. Stelzer
Vita Arwed Niestroj
CEO von Mercedes-Benz Research & Development Nordamerika, studierte Physik an der TU München und begann 1995 als Entwickler in der Nutzfahrzeugsparte von Mercedes-Benz. Von 2003 bis 2007 war er Assistent und Leiter des Stabs des DaimlerChrysler-Vorstands für F&E der Mercedes-Pkw-Sparte. Von 2008 bis 2011 leitete er die Brennstoffzellenentwicklung bei Daimler. 2011 gründete Niestroj als GF das Daimler-Bosch-JV EM-motive, das er bis 2014 begleitete. Ende 2014 übernahm er seine heutige Position als CEO von MBRDNA.

 


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