Im Gespräch mit Ramie Smith, Plexus

»Spürbare Impulse aus Luft- und Raumfahrt,... und Ver­teidigung«

21. Oktober 2025, 10:30 Uhr | Karin Zühlke
Ramie Smith, Plexus:
© Plexus

Kostensteigerungen, Fachkräftemangel und geopolitische Umbrüche – die Elektronikfertigung steht unter Druck. Gleichzeitig eröffnen neue Märkte wie der Verteidigungssektor zusätzliche Chancen. Ein Gespräch mit Ramie Smith, Market Sector Vice President EMEA beim EMS-Unternehmen Plexus.

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Markt&Technik: EMS in DACH: Wie steht es um die Auftragsfertigung in der DACH-­Region?

Ramie Smith: Ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass die EMS-Branche in Europa – und gerade auch in der DACH-Region – zuletzt eine schwierige Phase hinter sich hat. 2024 war geprägt von hohen Lagerbeständen aus der Zeit nach der Pandemie. Viele Kundenprojekte haben sich ver­zögert, was die Beschaffung gelinde gesagt „vorsichtig“ machte. Besonders in Deutschland hat sich das in Segmenten wie der industriellen Elektronik und in der Medizinelektronik bemerkbar gemacht.
Die gute Nachricht ist: Seit Anfang 2025 sehen wir wieder Anzeichen einer Erholung. Es gibt spürbare Impulse aus Bereichen wie Luft- und Raumfahrt, erneuerbare Energien und nicht zuletzt aus dem Verteidigungssektor. Selbst im industriellen Kernmarkt kommt langsam wieder Be­wegung rein, weil die überschüssigen Bestände Schritt für Schritt abgebaut werden.
Für OEMs bleibt das Umfeld trotzdem anspruchsvoll. Geopolitische Unsicherheiten beeinflussen Lieferketten und Marktstrategien, dazu kommt die enorme Geschwindigkeit technologischer Entwicklungen – Stichwort KI, IoT oder Automatisierung. Gleichzeitig steigen die Kosten weiter, und der Fachkräftemangel ist nach wie vor eine große Herausforderung.
Bei Plexus spüren wir diese Marktentwicklungen im Austausch mit den Kunden natürlich sehr direkt. Wir haben daher in unsere Teams und Prozesse investiert. Dabei setzen wir verstärkt auf kon­ti­nuier­liche Verbesserung und Kaizen-Workshops sowie auf den Einsatz neuer Technologien, zum Beispiel KI in Verbindung mit Prozessautomatisierung. Damit konnten wir unsere Flexibilität erhöhen und gemeinsam mit den Kunden den wachsenden Herausforderungen effektiv etwas entgegensetzen.

Welche Entwicklungen prägen die Elektronikbranche momentan – und wo sehen Sie die größten Chancen?

Die Wurzeln von Plexus liegen im Engineering. Und als Ingenieure denken wir lösungsorientiert. Das heißt: In jeder Herausforderung steckt auch eine Chance. Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) ist für mich dafür ein gutes Beispiel. Die Entwicklung ist hier so dynamisch und so schnell, dass sich viele schwertun, damit Schritt zu halten. Gleichzeitig ist klar: Richtig eingesetzt kann KI die Fertigung um ein Vielfaches effizienter machen – zum Beispiel durch automatisierte Analysen, vorausschauende Wartung oder in Kombination mit der Implementierung unserer Robotik-Lösungen. Auch die Transformation zu Industrie 4.0 ist noch längst nicht abgeschlossen. Bei digi­talen Zwillingen und der durchgehenden Vernetzung von Systemen ist beispielsweise in der Praxis noch Luft nach oben. 
Als EMS-Dienstleister arbeitet Plexus in den unterschiedlichsten Branchen an den unterschiedlichsten Projekten. Dadurch sehen wir diese Entwicklungen in ihrer ganzen Breite und können entsprechend Erfahrung und Expertise sammeln. Das kommt dann der Zusammenarbeit mit ­unseren Kunden natürlich zugute.

Apropos Nachhaltigkeit: Welche Fortschritte hat Plexus hier zuletzt gemacht – und wie setzen Sie das Thema konkret um? 

Für uns ist Nachhaltigkeit kein Schlagwort, sondern ein zentrales strategisches Thema und fest in unseren Werten verankert. In unserem letzten Geschäftsjahr konnten wir unsere direkten (Scope 1) und indirekten Emissionen (Scope 2) weltweit um 6,4 Prozent senken – vor allem durch höhere betriebliche Effizienz, die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien und die Optimierung bestehender Anlagen. Parallel dazu haben wir die Abfallintensität weltweit um 13,7 Prozent reduziert, indem wir standardisierte Verfahren zur Abfallerfassung eingeführt und Zero-Waste-Programme konsequent umgesetzt haben.
Unser Ansatz ist dabei bewusst vielschichtig. Wir investieren in energieeffiziente Technologien und nutzen Renewable Energy Sources, wo immer es möglich ist. Schon in der frühen Ent­wicklungs­phase arbeiten wir mit Kunden an Green Design Principles – sei es bei der Materialauswahl oder bei langlebigen und recycelbaren Produktkonzepten. Außerdem beziehen wir unsere Lieferketten mit ein: Wir erwarten von unseren Partnern, dass sie unsere Standards für nach­haltige und verantwortungsvolle Beschaffung mittragen.
Am Ende ist es ein Prozess der kontinuierlichen Verbesserung. Wir messen unsere Fortschritte jedes Jahr neu, veröffentlichen sie im Sustainability Report und setzen uns bewusst hohe Ziele für die kommenden Jahre.

Der Verteidigungssektor in Europa befindet sich momentan im Umbruch. Was bedeutet das für die Elektronikbranche und für EMS-Dienstleister?

Der Verteidigungssektor befindet sich in der Tat im Umbruch. Geopolitische Entwicklungen haben zu einer Neubewertung geführt. Mit Initiativen wie dem ReArm Europe Plan – „Readiness 2030“ – versucht die EU, jahrzehntelange Unterinvestitionen auszugleichen, Bedrohungen für die Sicher­heit zu adressieren und die Abhängigkeit von externen Partnern zu reduzieren.
In diesem Kontext verändert sich auch die Rolle von EMS-Anbietern. Sie sind längst nicht mehr nur Fertigungspartner, sondern übernehmen zunehmend Aufgaben in Entwicklung und Design, um Produkte schneller auf den Markt zu bringen und zugleich die hohen Ver­teidigungs­standards einzuhalten. Wichtige Themen sind dabei Sicherheit und Resilienz in der Supply Chain – Rückverfolgbarkeit, Risikomanagement und lokalisierte Beschaffung. Hinzu kommt die Integration moderner Technologien wie Sensorsysteme, sichere Kommunikation oder autonome Systeme. Darüber hinaus unterstützen EMS-Dienstleister heute oft den gesamten Produktlebenszyklus, von Instandhaltung über Upgrades bis hin zum Obsoleszenz-Management.
Plexus verfügt über viel Erfahrung im Defense-Bereich. Mit unserem Engineering- und Fertigungs-Footprint in Europa können wir unsere Partner dabei unterstützen, Programme schnell hochzufahren – und gleichzeitig die Vorgaben des ReArm-Plans einzuhalten, zum Beispiel die „65%-EU-Content“-Regel. Mit anderen Worten: Wir bieten globale Stärke und regionale Compliance.

Beobachten Sie bei euro­päischen OEMs bereits veränderte Anforderungen an ihre EMS-Partner?

Ja, das beobachten wir deutlich. Es gibt einen klaren Trend zu stärkerer europäischer Beschaffung und zu einer gezielten Stärkung der Verteidigungsproduktion innerhalb der EU. Viele Partner ­legen heute mehr Wert auf lokale oder regionale EMS-Dienst­leister. Gleichzeitig steigt die Nach­frage nach High-Reliability- und Ruggedized-Lösungen – also nach Elektronik, die auch unter ex­tremen Einsatzbedingungen zuverlässig funktioniert. Hinzu kommt: Die geopolitische Lage erhöht den Druck auf kurze Entwicklungszeiten. Systeme, die sicherheitsrelevant sind, müssen heute schneller verfügbar sein.
In dieses Umfeld bringt Plexus langjährige Expertise in der Fertigung hochkomplexer Produkte mit anspruchsvollen regulatorischen Anforderungen ein. Die Grundlage dafür bilden unsere ­strengen Qualitätssysteme. Mit unserer etablierten Präsenz in Europa – einschließlich unseres Standorts in Oradea, Rumänien – sind wir bestens aufgestellt, um diese neuen regionalen An­forderungen sehr schnell und effektiv zu erfüllen.

Die Elektronikindustrie kämpft nun schon seit Jahren mit Lieferkettenproblemen. Was sind derzeit die größten Herausforderungen?

Die globale Lieferkette hat sich grundlegend verändert, Störungen sind heute nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Die Branche musste lernen, mit diesem neuen Maß an Unsicherheit umzugehen. Bei Plexus haben wir diesen Paradigmenwechsel relativ früh erkannt und be­gonnen, gezielt in eine widerstandsfähigere Supply Chain zu investieren. Künstliche Intelligenz spielt dabei eine entscheidende Rolle: Sie ersetzt zwar nicht unser langjähriges Know-how, hilft uns aber, Veränderungen schneller und datenbasiert zu verstehen und vorherzusehen.

Unser prädiktives Lead-Time-Modell ist hier ein gutes Beispiel. Mit KI-Algorithmen können wir riesige Datenmengen analysieren und Lieferzeiten deutlich präziser vorhersagen. Für unsere ­Kunden bedeutet das mehr Flexi­bilität, eine höhere An­passungs­fähig­keit an dynamische Marktbedingungen und vor allem Planungs­sicherheit. Damit schaffen wir Stabilität – auch wenn die Märkte in Bewegung bleiben. Und wir können unseren Kunden selbst in einem volatilen Umfeld ein Stück Verlässlichkeit zurückgeben.


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