Auf einen weiteren Trend der vergangenen zehn Jahre machte Bobey aufmerksam: »Die CMOS-Bildsensortechnik ist den Kinderschuhen entwachsen und verdrängt die CCD-Technik nicht mehr nur im Consumer-Markt, sondern auch in der industriellen Bildverarbeitung.« Andreas Franz pflichtete ihm bei: »CMOS- und CCD-Bildsensoren stehen in einem harten Wettbewerb zueinander. Für Kamerahersteller bringen CMOS-Sensoren Vereinfachungen mit sich und eröffnen zusätzliche Möglichkeiten bei der Entwicklung. Außerdem besteht bei CMOS-Sensoren die Wahl zwischen deutlich mehr Herstellern als bei ihren CCD-Pendants.« Häberle vom CCD-Sensor-Hersteller Sony sieht den Trend zu CMOS ebenfalls: »Er zeigt sich unter anderem darin, dass mittlerweile zwei Hersteller, nämlich Sony und Kodak, den CCD-Markt dominieren. Auch bei CCD-Sensoren gibt es aber nach wie vor Wachstum, wobei ihr Marktanteil gegenüber den CMOS-Sensoren tatsächlich sinkt. Meines Erachtens werden die beiden Techniken noch lange nebeneinander existieren.«
Laut Häberle nähert sich die mit CMOS-Sensoren mögliche Bildqualität der mit CCD-Sensoren möglichen an: »Die Stärken der CMOS-Sensoren sind Geschwindigkeit und Dynamik, wohingegen die CCD-Sensoren in Sachen Rauschfreiheit und Lichtempfindlichkeit immer noch überlegen sind.«
Der Preisrutsch bei den Digitalkameras und das Vordringen der CMOS-Sensoren haben die Einsatzfelder der industriellen Bildverarbeitungstechnik in den vergangenen Jahren laut Bernd Franz massiv erweitert: »Die Anwendungen sind viel zahlreicher geworden und lassen sich eher mit Standard-Techniken lösen.« Auch Applikationen außerhalb der Industrie, etwa in Medizin, Life Science, Verkehr, Filmproduktion, Überwachung, Sport sowie Land- und Forstwirtschaft, sind mittlerweile keine Zukunftsmusik mehr. Die Filmproduktion ist ebenfalls ein Anwendungsfeld der industriellen Bildverarbeitung: So erhielt Lenz für seinen mit der Firma Arri zusammen entwickelten Filmscanner 2010 einen Oscar in der Kategorie Technik.
Dieses Feuerwerk an neuen Applikationen steht aber erst am Anfang. »Eine der interessantesten Anwendungen, die wir in den vergangenen Jahren erstellt haben, war gemeinsam mit Cairos Technologies ein System zur Verfolgung und Analyse von Fußballspielen«, hob Stemmer hervor. »Das ’Vis.Track’ genannte System beruht auf zwei Kameras, die das Spielfeld überlappend sehen, und einem neu entwickelten Tracking-Algorithmus. Zusammen mit Cairos statten wir derzeit alle 36 internationalen Fußballstadien in Deutschland mit dem System aus.« Es bietet unter anderem folgende Echtzeitfunktionen: Erfassung von Ball und Spielern mit Rückennummern-Erkennung, Echtzeiterfassung von Laufwegen und Geschwindigkeit der Spieler sowie von Distanzen zwischen den Spielern, Kompaktheit des Teams, 3D heat map des Teams sowie Überblick über die Leistung der Mannschaft und einzelner Spieler. »Die Informationen sollen dem Trainer helfen, vor dem Spiel die optimale Mannschaftsaufstellung zu finden und während des Spiels eine sinnvolle Auswechselstrategie zu verfolgen.«
Für die Landwirtschaft befindet sich laut Schwarzkopf derzeit ein Jätroboter in der Entwicklung: »Dessen Arm wird im Vorbeifahren Unkraut zupfen oder mit einem Laser zerschießen können«, führt er aus. »Generell hat ja die Bio-Landwirtschaft ein Preisproblem bei der Massenproduktion. Das elektronische Auge der Bildverarbeitung wird hier den Präzisionsackerbau Wirklichkeit werden lassen: Pflanzenschutzmittel werden wesentlich gezielter eingesetzt oder sogar völlig entbehrlich.«
Für derartige Anwendungen, aber natürlich auch für industrielle Applikationen wie Pick & Place oder Vermessung und Inspektion von Teilen, bieten sich 3D-Bildverarbeitungstechniken an. »3D ist ein schnell wachsender Markt«, betonte Stemmer. »Den entscheidenden Schub bekam die 3D-Technik durch den Trend weg von Spezialistentum und hin zu distributionsfähigen, leicht bedienbaren Produkten.« Zur Verfügung stünden derzeit die Techniken Stereo-Vision, Time-of-Flight und Laser-Triangulation. »Der Aufschwung der 3D-Bildverarbeitung rührt auch daher, dass diese Techniken mittlerweile preislich interessant sind«, ergänzte Andreas Franz.
Auch in puncto Schnittstellen-Standards tut sich derzeit Einiges: Neu entwickelte Schnittstellen wie CameraLink HS und CoaXPress wetteifern mit Weiterentwicklungen bewährter Standards, etwa 10GigE und USB 3.0. »Für die Existenz all dieser Schnittstellen gibt es Gründe«, hob Stemmer hervor. »Wir nutzen die Schnittstellen je nach Anwendung des Kunden. GigE verbreitet sich aber tatsächlich stark.« Schwarzkopf stimmte ihm zu: »Wir sehen derzeit keinen Standard, bei dem man bei allen Kriterien ein Häkchen machen kann. USB 3.0 wird beispielsweise in den neuen Chipsets von Intel und AMD bereits verfügbar sein, verursacht niedrige Kosten und wird sich schon deshalb verbreiten; allerdings ist die mögliche Kabellänge begrenzt. CoaXPress ist schnell und kostengünstig und wird auch in Japan stark gefördert.« An dieser Stelle hakte Besch ein: »CoaXPress wird derzeit nur von wenigen Unternehmen vertrieben. Zudem verspricht CameraLink HS die höchsten Bandbreiten. Bei 10GigE stellt sich das Problem der Hitzeentwicklung. Man wird sehen, was sich durchsetzt - GigE hat für uns Anwender einen gewissen Charme.«
Einig waren sich die Teilnehmer der Diskussionsrunde darüber, dass der industriellen Bildverarbeitung eine rosige Zukunft bevorstehe: »Es heißt, dass erst 10 Prozent aller möglichen Anwendungen für die Bildverarbeitungstechnik erschlossen seien«, betonten die Teilnehmer. »Die Mensch-Maschine-Interaktion wird in Zukunft viel stärker als jetzt von der Bildverarbeitung getrieben sein«, hob Schwarzkopf hervor. Der VDMA-Vertreter äußerte obendrein Zweifel, ob die chinesische Konkurrenz überhaupt große Kostenvorteile in der Produktion habe: »Die Arbeitslöhne steigen derzeit in China stark. Hinzu kommen Aspekte wie Kundenbindung, Service und Support. Es ist deshalb fraglich, ob chinesische Unternehmen Kameras überhaupt viel billiger bauen können als die europäischen Hersteller.«