Die Zeitenwende erreicht die Hochschulen: Politik und Industrie erwarten, dass sich auch zivile Fakultäten stärker in Richtung Verteidigung öffnen.
Prof. Benjamin Kormann, selbst mit Defence-Erfahrung bei Airbus, will seine Fakultät neu ausrichten – praxisnah, projektorientiert und im Schulterschluss mit der Industrie.
Markt&Technik: Herr Prof. Kormann, Ihr Fachbereich soll künftig stärker in Richtung Sicherheit ausgerichtet werden, auch mit Fokus auf Projektformate wie die »Projektvernissage«. Was steckt dahinter?
Prof. Benjamin Kormann: Sicherheit verstehe ich als gesellschaftliche Verantwortung, auch für Hochschulen. Politik und Gesellschaft erwarten inzwischen, dass sich auch zivile Hochschulen für Verteidigung und Sicherheit öffnen. Noch herrscht hier ein Vakuum. Erste Schritte gibt es in Weiterbildung und Technologietransferzentren, aber ein darauf zugeschnittenes Studienangebot existiert bisher kaum. Ich sehe große Chancen, gerade in München mit den ansässigen Industriepartnern. Die Umsetzung dauert jedoch: interne Entscheidungen, formale Prozesse, Akkreditierungen. Eine Umsetzung dauert vermutlich zwei Jahre. Mir wäre es lieber gestern als morgen.
Gab die Lockerung der Trennung zwischen zivil und militärisch in Bayern den Ausschlag?
Ja, das war wichtig. Aber ohne meinen eigenen Hintergrund wäre ich wohl nicht auf die Idee gekommen. Ich habe selbst bei Airbus Defence and Space gearbeitet und viele Projekte mit Studierenden dort betreut. 95 Prozent der Studierenden sehen darin auch kein Problem, sondern finden die technologischen Fragestellungen spannend und die dahinterliegende Verantwortung wichtig. Die neue Offenheit in Bayern ermutigt uns, aber es bleibt die Herausforderung: Forschung verlangt Publikationen, Verteidigung verlangt Geheimhaltung. Das muss man sauber regeln.
Wie funktioniert das praktisch, zum Beispiel bei Sicherheitsfreigaben?
Prof. Kormann: Wer klassifizierte Inhalte lesen will, braucht eine Sicherheitsüberprüfung. Dann müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, damit eine Betreuung trotzdem funktioniert. Solche Prozesse sind aufwendig. Die Bundeswehr-Universität hat es einfacher: Dort sind alle Studierenden Soldaten und geprüft. An zivilen Hochschulen müssen wir praktikable Modelle finden. Sonst leiden die Studierenden, wenn Kooperationen an Formalien scheitern. Ich bin großer Fan von klaren Kooperationsvereinbarungen.
Hängt vieles also an einzelnen Personen?
Definitiv. Es steht und fällt mit der Person, die Verantwortung trägt, mit ihren Interessen und ihrem Netzwerk.
Wie groß ist das Interesse der Industrie?
Sehr groß, aber Unternehmen haben früher oft negative Erfahrungen gemacht und fragen deshalb gar nicht mehr an. Wenn man aktiv auf sie zugeht, rennt man offene Türen ein. Es braucht nur den ersten Schritt. Zahlreiche Absolventinnen und Absolventen unserer Fakultät sind auch bereits in dem Bereich tätig.
Es fehlen jedoch belastbare Arbeitsmarktzahlen für den Verteidigungssektor. Ich habe zumindest keine bekommen.
Richtig, es gibt kaum Zahlen. Aber klar ist: Die Elektrotechnik-Studierenden decken schon heute nur etwa die Hälfte des Ersatzbedarfs durch Renteneintritte. Kommt ein Rüstungsaufschlag hinzu, wird es kritisch. Wichtig ist auch: Verteidigung ist mehr als das klassische Gefechtsfeld. Heute geht es unter anderem um die Absicherung der kritischen Infrastruktur und den Schutz der Bevölkerung, also um Cyber Security, Kommunikationssysteme, Energieversorgung, autonome Systeme und vieles mehr. Das betrifft Elektrotechnik, Informatik und Maschinenbau gleichermaßen. Dual-Use ist die Regel.
Viele Elektronikfirmen setzen jetzt einen Fokus auf Verteidigung. Und offenbar zieht auch die Energiewende nicht mehr so wie früher.
Das Interesse sinkt. Bilder von Windrädern oder Solaranlagen ziehen nicht mehr wie vor zehn Jahren. In München sind wir im Vergleich gut aufgestellt. Unser Kernstudiengang Elektro- und Informationstechnik ist stabil. Bundesweit gibt es aufgrund nachlassender Nachfrage Fakultäten mit nur 60 Prozent Auslastung. Wir haben immer noch ausreichend Bewerber.
Warum sind die Bilder nicht mehr wirksam?
Es gibt ein Überangebot an Informationen und parallel kaum Orientierung. Viele Schüler kennen nicht einmal den Unterschied zwischen Uni, Hochschule für angewandte Wissenschaften und dualem Studium. Wir müssen besser in die Schulen hinein. Lehrkräfte sind zentrale Multiplikatoren. Wir wollen sie stärker einbinden, zum Beispiel durch Lehrerfortbildungen. Ein einzelner Girls‘ Day genügt nicht, das Angebot ist zu groß und zu unübersichtlich.
Was wollen Sie mit neuen Formaten wie der Projektvernissage erreichen?
Wir wollen den Praxisbezug früher herstellen. Studierende fragen oft: Warum kommt der Spaß so spät? Später arbeiten sie immer interdisziplinär in Teams, müssen kommunizieren, planen, dokumentieren. Das trainieren wir in Projekten. Im neuen Studiengang Digitale Systeme wird es ab dem ersten Semester Projektarbeit geben. Es geht nicht nur um Methodenkompetenz, sondern auch um unternehmerisches Denken. Nicht jeder soll gründen, aber alle sollen früh lernen, Verantwortung zu übernehmen und das Handeln an Nutzen und Bedürfnis auszurichten.
Für derartige Hochschulprojekte braucht es Partner – wen haben Sie dabei im Blick?
Unternehmen wie Rohde & Schwarz sind stark engagiert, auch in der Nachwuchsförderung. Wir arbeiten schon mit Unternehmen wie zum Beispiel Airbus, MBDA, Quantum Systems zusammen. Ich sehe auch die Zusammenarbeit auf Ebene der wissenschaftlichen Institutionen wie der UniBw München als wichtig an. Kooperationen gelingen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Transparenz ist wichtig, damit es keine Vorbehalte gibt.
Wenn Sie in einigen Jahren zurückblicken: Was wollen Sie erreicht haben?
Ich möchte, dass unsere Fakultät ein klares Profil hat, das Lehre, Forschung und Transfer vereint, und wir der Gesellschaft, insbesondere den jungen Menschen zeigen, dass die moderne Elektrotechnik Sinn, Verantwortung und Zukunft repräsentiert.