In Ihrer jüngsten Geschäftsklima-Umfrage kommt die OE-A zu sehr optimistischen Prognosen für 2023. Worauf führen Sie diese Wachstumsprognose von 24 Prozent zurück?
Ich würde sagen, der Schlüssel dazu lautet Langläuferprojekte. Es hat bei einer Reihe von Projekten, sowohl im Automotive- als auch im Consumer-Bereich oder der weißen Ware, länger als ursprünglich erwartet gedauert, bis Projekte wirklich in Serie gegangen sind. Wenn sie das dann aber tun, sprechen wir da sehr schnell auch von zweistelligen Millionenstückzahlen. Es zeigt einmal mehr, wie wichtig es in diesem Bereich ist, die Vorlaufzeiten für ein Projekt durchzustehen, bevor es dann zu einem Erfolg wird.
In Deutschland ist traditionell der Automobilmarkt der wichtigste Abnehmer flexibler und gedruckter Elektronik. Wie bewerten Sie das Potenzial der Luftfahrt und der Medizinelektronik?
Im Bereich Luftfahrt waren die Ideen schon lange da, dabei geht es in erster Linie um die Integration flexibler und gedruckter Elektronik in die Innenausstattung von Flugzeugen. Im Fokus steht dabei die Verbesserung des Reisekomforts für den Passagier. Veränderungen dauern in der Luftfahrt aber immer etwas länger. Im Bereich der Medizinelektronik besteht weiterhin großes Potenzial. Das Holst Centre zum Beispiel hat ein SmartPatch vorgestellt, mit dem sich die wichtigsten Vitalwerte eines Patienten erfassen und überwachen lassen.
Lösungen wie diese könnten etwa im Bereich der Pflege von großer Bedeutung sein, entbindet es das Pflegepersonal doch von täglichen Routinearbeiten und schafft so mehr Zeit für wertvolle Betreuungsarbeit. Allerdings gehen dem Einsatz solcher Lösungen flexibler und gedruckter Elektronik im Medizinbereich immer wieder umfangreiche Tests voraus. Die Genehmigung für den Einsatz kann sich also auch dort hinziehen.
Durch den European Chips Act kommen Halbleiterinvestitionen zurück nach Europa. Wird die flexible und gedruckte Elektronik davon profitieren? Oder hat das keinen Einfluss auf die weitere Entwicklung dieser Branche?
Da gibt es durchaus auch positive Beispiele aus unserer Branche. In Großbritannien hat Pragmatic Semiconductor, die sich auf die Entwicklung und Fertigung von Chiplösungen auf Dünnfilmbasis spezialisiert haben, inzwischen im Rahmen des European Chip Act einen Antrag auf Förderung einer neuen Fab in Großbritannien gestellt. Ich denke aber auch, dass durch den European Chip Act vor allem wieder die Bedeutung der Mikroelektronik für Europa stärker hervorgehoben wird. Ob es nun also um Siliziumlösungen oder alternative Materialien geht, die Bereitschaft, in diese Industrie wieder verstärkt zu investieren und hier in Europa Arbeitsplätze zu schaffen, wirkt sich positiv auch auf andere Bereiche aus. Ich denke deshalb, dass auch wir als Branche mittelfristig vom European Chip Act profitieren werden.
Welche aktuellen technischen Trends sehen Sie derzeit am Markt? Welchem würden Sie zutrauen, sich langfristig am Markt durchzusetzen?
Ich beobachte derzeit eine gewisse Vereinheitlichung bei der Frage, wie Schnittstellenprobleme bei hybriden Lösungen zwischen klassischer Siliziumtechnologie und flexibler, gedruckter Elektronik gelöst werden. Bisher waren hier verschiedene, proprietäre jeweils von einzelnen Firmen präferierte Lösungen zu beobachten. Ein Austausch oder eine Bemühung zur Standardisierung war nicht zu erkennen. Das hat sich inzwischen geändert. Man redet miteinander, tauscht sich aus, versucht das Problem gemeinsam zu lösen.
Es gibt aber auch interessante Entwicklungen, bei denen sich Veränderungen entlang der Wertschöpfungskette ergeben. Novacentrix hat in der Vergangenheit vor allem funktionale Nanotinten hergestellt. Inzwischen nutzt das Unternehmen das Konzept photonischer Energie, um photonisches Sintern und Löten auf temperatursensitiven Substraten zu realisieren. Eine interessante Alternative zum klassischen Löten. Ich sehe deshalb den Markt auf einem guten Weg. Eine andere Entwicklung, die mich sehr freut, ist das Wiedererwachen der Photovoltaik, da könnte man fast schon von einer Renaissance sprechen!
Das bringt mich direkt zur nächsten Frage: Energie- und Mobilitätswende sind die Megathemen der Zukunft. Sehen Sie hier nicht auch vielfältige Möglichkeiten, wie die flexible und gedruckte Elektronik von diesen Megatrends profitieren kann?
Flexible Solarzellen sind hier ein gutes Beispiel. Durch den Einsatz neuer Materialien, aber auch einen veränderten Zellaufbau gibt es inzwischen die Möglichkeit, mit flexiblen Solarzellen ähnliche Wirkungsgrade zu erreichen wie mit klassischen Silizium-basierten Solarzellen. Das ermöglicht im Gegensatz zu den klassischen Silizium-basierten Solarzellen die Erschließung ganz neuer Anwendungsbereiche, denken Sie dabei nur an das Thema Fassadenintegration oder das Aufbringen flexibler Solarzellen auf Untergrund, der bisher für die Montage von Solarzellen nicht geeignet war. Der Bedarf ist da; wenn ich glaubhaft an der Energiewende arbeiten will, muss ich diese Technologien nutzen. Sie stehen inzwischen marktreif zu Verfügung und ermöglichen es uns, nachhaltig unabhängig von fossilen Energiequellen wie Gas, Kohle und Rohöl zu werden.