Interview zum Spanien-Blackout

»Elektronik kann rotierende Massen kaum ersetzen!«

16. Juni 2025, 9:51 Uhr | Heinz Arnold
Prof. Christian Rehtanz, Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft der TU Dortmund: »In Europa haben wir derzeit rund 6000 konventionelle Kraftwerke, aber Hundertausende von PV- und Windenergie-Anlagen. Das ist für die Momentanreserve ein schlechtes Verhältnis. Wie genau all die dezentralen Anlagen mit ihren Umrichtern geregelt werden müssen, um das Netz unter diesen Umständen stabil zu halten, ist ungeklärt.«
© TU Dortmund

Noch ist nicht sicher, was in Spanien zum großen Blackout Ende Mai geführt hat. Markt&Technik sprach mit Prof. Christian Rehtanz, Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft der TU Dortmund, zum Stand der Ermittlungen und den möglichen Ursachen.

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Markt&Technik: Der spektakuläre Stromausfall am 28. 4. 2025 um 12:33 Uhr in Spanien ist wenige Wochen her. Seitdem kursierten sehr unterschiedliche Hypothesen zu den Ursachen im Internet dazu. Konnten die Experten inzwischen klären, was wirklich passiert ist?

Prof. Christian Rehtanz, TU Dortmund: Der Fall wird derzeit noch untersucht. Bevor die offizielle Darstellung nicht veröffentlicht ist, kann es nur Mutmaßungen geben.

Aber einige Fakten gibt es ja durchaus, was die Situation im europäischen Netz und die Situation in Spanien kurz vor dem Ausfall betrifft?

In den südlichen Provinzen Granada, Badajoz und Sevilla sind insgesamt 2,2 GW Stromerzeugung innerhalb von einer Minute ausgefallen. Danach erfolgten Folgeabschaltungen mit Verbraucherabschaltungen, der Trennung des spanischen Netzes von Frankreich und letztendlich dem Blackout der gesamten iberischen Halbinsel. Ein kritischer Faktor ist sicher, dass nur wenige Verbindungen zwischen Spanien und Frankreich bestehen, so dass die gegenseitige Aushilfe begrenzt ist. Dazu zählt auch eine HGÜ-Verbindung bei Barcelona. Sie hat zwar länger ausgehalten, aber ist dann auch ausgefallen. Ein weiteres Phänomen ist, dass es im europäischen Verbundsystem zu immer stärkeren Pendelungen, also Leistungsaustauschen im Netz, kommt, nicht zuletzt durch die Einbeziehung der baltischen Staaten und der Ukraine über die vergangenen Jahre. Ob diese Pendelungen ein Faktor bei diesem Blackout waren, ist aktuell ungeklärt. 

Aber es ist noch nicht klar, warum der Blackout schlussendlich eingetreten ist?

Was Ursache und was Wirkung war, ob die Pendelung einen Einfluss hatte und welche Rolle die geringe Zahl der Verbindungen nach Frankreich gespielt haben, warum es einen Verlust der Erzeugung aus erneuerbaren Quellen gab und welche weiteren Faktoren eine Rolle gespielt haben, ist noch nicht abschließend geklärt.  

Die Menge der möglichen Mitauslöser ist sehr hoch – besteht die Chance, dennoch zu ermitteln, wie es genau zum Blackout kam? 

Es wird auf jeden Fall einen abschließenden Bericht der EU geben, bisher sind alle damit befassten Experten sehr vorsichtig, es geht schließlich um sehr heikle Themen. So sind die Versicherungen daran interessiert, die Ursachen und Verursacher zu kennen, da geht es um viel Geld. Selbstverständlich ist es auch ein Politikum, denn den Abschlussbericht werden Befürworter und Gegner der Energiewende nach Argumenten für ihre Sache durchleuchten. Aber letztendlich ist das Wichtigste, dass so etwas nicht noch einmal passiert.   

Warum ist dieser Fall so kompliziert? 

Oft ist es so, dass die Ursache-Wirkungs-Kette leicht rekonstruiert werden kann: Eine Leitung fällt aus, dann kommen die Folgeausfälle. So war es beispielsweise vor einigen Jahren in Kroatien, als eine Fehlschaltung eine Kaskade von Folgeschäden auslöste – allerdings kam es nicht bis zum Blackout. 

So ähnlich war es auch in Deutschland 2006, als wegen eines neu gebauten Schiffes eine Leitung über die Ems abgeschaltet wurde. Die Abschaltung war geplant, aber im Vorfeld nicht gut durchgerechnet. Es kam zu ungeplanten Folgeausfällen und das europäische Verteilnetz ist in mehrere Zonen unterschiedlicher Frequenz zerfallen. Das hätte fast zu einem Blackout geführt.

Trotz Planung - wie ein Blackout entstehen kann

2006 sollte ein Schiff von der Werft, die es baute, durch die Ems ins offene Meer fahren. Dazu musste eine Hochspannungsleitung frei geschaltet werden. Alles war angemeldet und genehmigt, die Leitung fiel nicht zufällig und plötzlich aus, sondern wurde nach Plan getrennt. Die Mitarbeiter der zuständigen Leitstelle hatten zuvor geprüft, ob das Netz die Leitungsabschaltung verkraften würde. Weil sich das ganze nachts abspielte, konnte man davon ausgehen, dass sich in der Zeit zwischen der Berechnung und der Schaltung die Netzbelastung nicht dramatisch ändern werde. 

Die Zuständigen hatten allerdings die Rechnung ohne den Wind gemacht. Der aber wehte kräftig und plötzlich waren die verbliebenen Leitungen überlastet und schalteten sich ab. Die übliche Kettenreaktion setzte ein. Ergebnis: 10,5 Mio. Menschen saßen bis zu eineinhalb Stunden ohne Strom da. 

Das war noch nicht alles. Das gesamte europäische Netz zerfiel in drei Teilnetze mit unterschiedlichen Frequenzen. Die Leitzentralen in den unvermutet entstandenen Teilnetzen konnten dies aber gar nicht sehen. Die Teilsysteme wurden relativ schnell wieder zusammen geschaltet – ohne überhaupt zu wissen, ob die Phasenwinkel stimmten. »Es hat dann glücklicherweise geklappt, aber es hätte auch ganz anders ausgehen können«, sagte Prof. Jochen Kreusel, damals Leiter des Geschäftsbereichs Marketing & Vertrieb Energietechnik von ABB und Mitglied des Präsidiums des VDE. »Immerhin war einer der drei selbständigen Netzteile ganz knapp davor, dunkel zu werden.« 

Was die Sache noch schlimmer gemacht hatte: Die Windräder hatten sich – dazu sind sie ausgelegt, sie sollen sich ja vor Schaden schützen – sofort abgeschaltet, als sie feststellten, dass etwas mit dem Netz nicht stimmt. Und später versuchten zahllose dezentrale Erzeugungseinheiten unkoordiniert, sich wieder zuzuschalten. 

Beides hat die Wiederherstellung des ungestörten Systemzustands stark erschwert. 
Für Prof. Kreusel zeigt das Beispiel: Das Netz ist für die heutigen Anforderungen einfach nicht ausgelegt. »Wir sind glimpflich davongekommen, es hätte weit schlimmer ausgehen können. Das Schlimmste aber: Fehler wie dieser sind künftig prinzipbedingt wahrscheinlicher«, so Prof. Kreusel. 

Dies ging auch aus dem Abschlussbericht der UCTE zu dem Vorfall hervor, in dem zu lesen ist, dass die »unerwartet hohe Zahl« an dezentralen Erzeugungseinheiten die Störungsbehebung erschwert hätte. Ihre Zahl war tatsächlich unbekannt, denn es gab keine Informationspflicht über den Anschluss dieser Anlagen. (ha)

 

In Spanien wurde vor dem Blackout vor sehr viel Energie über PV-Anlagen erzeugt. Kann das etwas damit zu tun haben?

Kurz vor dem Blackout wurde ein sehr hoher Anteil der Energie über PV-Anlagen erzeugt. Durch Wechselrichter der PV-Anlagen kommen allerdings Oberschwingungen ins Netz, die sich wiederum auf andere Wechselrichter auswirken können. Die Wechselrichter, die diesen Oberschwingungen ausgesetzt sind, reagieren darauf und können ihr Verhalten ändern. Wir sprechen von einer »harmonischen Interaktion«. Sie kann zu sehr unerwünschten Effekten führen, beispielsweise zu Bränden, wenn Ströme dadurch zu groß werden. Ob dieser Effekt aber hier aufgetreten ist, ist nicht bekannt. 

Je mehr Wechselrichter, umso schwieriger wird es?

Die hohe Dichte an Umrichtern kann ein Problem werden, das ist bekannt. Dazu zwei Beispiele: Der in Windparks auf See erzeugte Strom wird auf Konverter-Plattformen in Hochspannungsgleichstrom umgewandelt, an Land übertragen und dort wieder in Wechselstrom zurückgewandelt. 2013 ist es in einem Filter einer solchen Konverterstation zum Brand gekommen, wie sich herausgestellt hat aufgrund von harmonischen Interaktionen. Dieses Phänomen ist übrigens relativ neu und wurde erst 2015 definiert. 

Im Norden von Deutschland ist es vor einigen Monaten zu einem Ausfall von Offshore-HGÜs gekommen. Die Ursache ist nicht bekannt, aber es gibt Hinweise, dass auch dort harmonische Interaktionen eine Rolle gespielt haben könnten. 

Kann es sein, dass es weniger darauf ankommt, ob die Energie von erneuerbaren oder von Synchronmaschinen erzeugt wird, sondern dass der Netzaufbau die entscheidende Rolle spielt? 

Beides ist natürlich wichtig. Erneuerbare Energien in großer Menge wurden über die letzten Jahre stabil in das Netz integriert bei rückgängigen Synchronmaschinen. Für einen weiteren Weg sind Fragen zu klären, so dass ein noch weitaus höhere Anteil von erneuerbaren Energien möglich ist. Aber wenn es dann doch mal zu einem Blackout kommt, dann ist der Netz- bzw. Systemwiederaufbau entscheidend. Auf der iberischen Halbinsel hat das vorbildlich innerhalb von 12 Stunden funktioniert. Dazu ist das Personal trainiert und es müssen schwarzstartfähige Kraftwerke oder Speicher zur Verfügung stehen, was offenkundig der Fall war.

In den ersten Sekunden nach einem Ausfall haben bisher die rotierenden Massen das Netz stabilisieren. Wenn sie wegfallen, sollen künftig Speicher Energiereserven bereitstehen, die dann elektronisch gesteuert werden. Unter der Voraussetzung, dass genügend Speicher installiert werden, wäre das ein Weg zur Stabilisierung? 

Die rotierenden Massen können zwar über elektronische Steuerungen und Software nahezu nachgebildet werden, aber viele Regler können auch – wie bereits gesehen – zu Instabilitäten führen. In Europa haben wir derzeit rund 6000 konventionelle Kraftwerke, aber Hundertausende von PV- und Windenergie-Anlagen. Das ist für die Momentanreserve ein schlechtes Verhältnis. Wie genau all die dezentralen Anlagen mit ihren Umrichtern geregelt werden müssen, um das Netz unter diesen Umständen stabil zu halten, ist ungeklärt. 

Wie viele konventionelle Kraftwerke gibt es in Spanien? 

Zum Zeitpunkt des Blackouts waren nur wenige konventionelle Kraftwerke in Betrieb. Das könnte dazu beigetragen haben, ihn auszulösen. Zumal das Verhältnis zwischen traditionellen Kraftwerken mit Synchronmaschinen und Photovoltaik sowie Windkraft zu dem Zeitpunkt deutlich geringer als in Deutschland ist.  

Warum ist es hierzulande noch nicht zu einem Blackout gekommen?

Ein Blackout hat meist mehrere Ursachen. Jede einzelne für sich wäre nicht katastrophal gewesen, aber in ihrer unwahrscheinlichen Kombination sind sie es bei einem Blackout dann doch – insbesondere wenn auch noch ein unvorhersehbares Naturereignis dazukommt. Technische Systeme haben eben immer ihre Grenzen. Die Kombinationen ändern sich natürlich, deshalb sind Blackouts kaum vorhersagbar. Wenn die Ereignisse, die zum Blackout in Spanien geführt haben, analysiert sind, können alle die Lehren daraus ziehen und dafür sorgen, dass so etwas möglichst nicht noch einmal auftreten kann, so wie nach dem Ems-Vorfall 2006. Aber es wird weitere, bisher unbekannte Kombinationen geben. Durch die vielen erneuerbaren Erzeuger und Batterien sowie die dafür erforderlichen elektronischen Steuerungen und die Software wird der Kombinationsraum größer, die Wahrscheinlichkeit für einen Blackout steigt, wenn Störungsmechanismen und technische Bedingungen nicht sauber analysiert und erforscht werden. 

Also sollte dafür gesorgt werden, dass es trotz dem Zubau von regenerativen Energien wie PV und Windkraft genügend rotierende Massen im Netz gibt?

Es sollte auf keinen Fall blauäugig vorgegangen werden. Wenn nicht damit zu rechnen ist, dass die elektronische Steuerung ausreicht, können beispielsweise rotierende Phasenschieber, sprich rotierende Massen, eingebaut werden. 

Gibt es in Deutschland einen Plan dazu?

Das Bundeswirtschaftsministerium hat dazu eine Roadmap in Auftrag gegeben, an der Wissenschaftler, Experten aus der Praxis, der VDE und viele weitere beteiligt sind. Ziel ist es, zu klären, wie die Netzstabilität aufrecht gehalten werden kann und dafür einen Handlungsplan zu erstellen.  

 


   


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