Interview mit Merck

»In diesem Segment geht zukünftig die Post ab«

24. August 2021, 7:30 Uhr | Markus Haller
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Neue OLED-Materialien für faltbare Displays zielen auf erhöhte Kratzfestigkeit und optimierte Verkapselung ab.
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Erste Produkte mit falt- und rollbaren Displays sind auf dem Markt und erzeugen Aufbruchstimmung bei den Display-Herstellern. Davon profitiert auch Materialhersteller Merck.

In den nächsten zwölf Monaten erwarten Dieter Schroth und Michael Heckmeier neben den klassischen OLED-Materialien auch spezifische Aufträge für die Verkapselung und Dünnfilmschichten von neuen, flexiblen OLED-Handys.

Markt&Technik: Omdia geht davon aus, dass der Weltmarkt für flexible OLED-Displays bis 2025 auf 8,9 Mrd. US-Dollar steigt – eine Verdreizehnfachung. Teilen Sie diese Einschätzung?

Michael Heckmeier: Ja, die Größenordnung teilen wir auf jeden Fall. Omdia hat auch für den Display-Bereich schon mehrfach gezeigt, dass sie sehr gute Voraussagen treffen. Natürlich können unvorhergesehene Dinge wie Corona passieren, von denen man nicht erwarten kann, dass sie in Marktprognosen korrekt eingepreist werden, aber auch unsere eigene Marktforschung bestätigt, dass sich der Markt für flexible OLEDs dramatisch vergrößern wird. Ich denke, dass es einen großen Bedarf für flexible OLEDs durch Trends wie High-Resolution-Anforderungen, größere Displays und Augmented Reality geben wird und damit flexible OLEDs zu einem ganz großen Treiber auf dem Display-Markt werden. Auf diesem Segment wird zukünftig die Post abgehen.

Dieter Schroth: Flexible OLED-Displays sind mit Abstand das wachstumsstärkste Segment auf dem Display-Markt und die Faustformel lautet: Je flexibler, desto größer das Marktwachstum. Bei den Marktbetrachtungen muss man aber gut differenzieren, ob es um flexible Substrate geht, die dann im Endgerät z.B. einen gekrümmten Randbereich bilden, oder ob es um flexible OLED-Displays geht, die in ein roll- oder faltbares Endgerät integriert werden sollen. Omdia hat hier OLED-Displays für roll- und faltbare Endgeräte betrachtet.

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Michael Heckmeier, Leiter der Geschäftseinheit Display Solutions innerhalb des Geschäftsbereichs Electronics bei Merck: »Materialentwicklung ist immer ein Gemeinschaftsprojekt mit den Kunden.«
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Für welche Anwendungen aus diesem Segment optimieren Sie die Eigenschaften Ihrer Materialien?

Heckmeier: Faltbare Smartphones haben so gut wie alle Hersteller von Smartphone-Displays auf ihrer Roadmap. Eine weitere Anwendung ist der einrollbare Fernseher, von denen es schon einige Prototypen gibt, und auch bei Notebooks wird über faltbare Displays nachgedacht. Das ist aber bisher ein eher kleinerer Bereich. Auch wenn dieser Anwendungsfall für Displays etwas ganz Neues ist, seit Jahrzehnten wurden ja im Wesentlichen starre und rechteckige Displays gefertigt, muss aus Sicht der OLED-Materialien nicht alles neu erfunden werden. Die Materialien für den OLED-Stack, also die lichterzeugende Schicht, sind in faltbaren OLED-Displays die gleichen wie in einem starren OLED-Display. Anders sieht es bei der Oberflächenbeschichtung und der Verkapselung aus.

Verkapselung bedeutet hier eine Dünnfilmschicht auf dem OLED-Schichtsystem, die das organische Material vor Degeneration durch Luftkontakt und Feuchte schützt?

Schroth: Das ist richtig. Für die Verkapselung stellen wir Lösungen und Formulierungen her, die unsere Kunden dann zu Dünnfilmschichten verarbeiten.
Ganz generell gesprochen ist unser Forschungsansatz bei faltbaren und rollbaren Displays der gleiche, den wir auch bisher verfolgt haben: Wir suchen bei einer Display-Anwendung nach den funktionsentscheidenden Problemen und entwickeln bzw. optimieren dafür Materialien. In der Vergangenheit hing die Qualität eines LCD maßgeblich vom Flüssigkristall ab. Der war entweder gut und konnte schnell schalten oder das gesamte Display wurde als untauglich angesehen.

Bei den faltbaren OLED-Displays geht es jetzt vor allem um die Kratzfestigkeit, die Verkapselung und die Dicke. Bei der Kratzfestigkeit braucht man neue Beschichtungen, die sehr dünn, flexibel und gleichzeitig auch hart genug sind. Wenn das nicht gelingt, werden sich flexible Displays nicht durchsetzen. Für starre Anwendungen erfüllt Glas diesen Zweck sehr gut, kann aber in dieser Form natürlich nicht für falt- und rollbare Displays genutzt werden. Daher wird an ultradünnem Glas geforscht, wo wir auch mit dabei sind.

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Aufbau eines OLED-Schichtstapels. Die lichterzeugende Schicht in der Mitte (EML) ist in Richtung Anode von einer lochinduzierenden (HIL) und lochleitenden (HTL) Schicht umgeben und in Richtung Kathode von einer elektroneninduzierenden (EIL) und elektronenleitenden (ETL) Schicht.
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Wie versucht man das System dünner zu machen?

Schroth: Im Wesentlichen durch zwei Ansätze: Ein OLED-Display besteht aus etwa 40 verschiedenen Materialschichten, und man versucht zum einen, die einzelnen Schichten selbst dünner zu machen, und zum anderen, die Anzahl der benötigten Schichten zu reduzieren. Dafür wollen wir beispielsweise die Funktion der Antireflexbeschichtung und der Kratzfestigkeit, für die bisher zwei Schichten nötig waren, in eine Materialschicht integrieren. Das ist je nach Funktion mehr oder weniger gut möglich. Schwieriger ist es bei der Verkapselungsschicht. Es hat sehr lange gedauert, eine funktionierende Verkapselung zu entwickeln. Daher wird man eine Integration diese Schicht vermutlich als Letztes anfassen. Bei der Verschlankung des Systems spielt auch die Kostenreduktion eine wichtige Rolle, denn heute ist ein flexibles OLED-Display in der Fertigung um den Faktor 5 teurer als ein starres OLED-Display.

Sie haben eine Kooperation mit Optitune aus Finnland und Solip Tech aus Südkorea, um einen neuen Typ von OLED-Material für faltbare und rollbare Displays großflächig auf den Markt zu bringen. Was kann das neue Material, welche Kunden wollen Sie beliefern und ab wann kann in Großserie produziert werden?

Heckmeier: Die Vermarktung für den neuen Material-Typ geschieht unter dem Namen »liviFlex«. Darunter bauen wir eine Dachmarke für Materialien zur Fertigung von flexiblen OLEDs auf und werden fortlaufend neue Materialien hinzufügen. Zurzeit besteht sie aus einem neuen Verkapselungsmaterial und einem Beschichtungsmaterial. Großaufträge können wir prinzipiell ab sofort produzieren, aber man muss auch berücksichtigen, dass eine Materialentwicklung immer ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Kunden ist. Es reicht nicht, allein ein Material zu entwickeln, das die optischen, elektrischen und mechanischen Anforderungen des Kunden erfüllt, sondern es muss auch auf ihre Fertigungsverfahren und Substrate angepasst sein.

Mit liviFlex befinden wir uns aktuell in der Entwicklungsphase und arbeiten dabei mit so gut wie allen großen Folien- und OLED-Herstellern zusammen. Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten zwölf Monaten einige Qualifikationen erfolgreich bestreiten und dann mit der Auslieferung an die Kunden beginnen.


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  2. liviFlex

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