MECS-Sensoren milliardenfach skalieren

»Gassensoren werden allgegenwärtig sein«

23. September 2024, 10:00 Uhr | Nicole Wörner
Rainer Ihra, FaradaIC: »Die neuen MECS-Sensoren lassen sich in üblichen MEMS-Fabriken kostengünstig in hohen Stückzahlen herstellen. Tatsächlich reden wir mit unseren Kunden über mehrere Millionen bis Milliarden von Gassensoren jährlich in Bereichen, die vorher nicht denkbar waren.«
© FaradaIC

FaradaIC ist es erstmals gelungen, die Funktionen elektrochemischer Sensoren in einem einzigen Chip zu integrieren. Für die Gassensorik ist das ein enormer Innovationssprung. Rainer Ihra, Head of Business Development von FaradaIC, über die Funktionsweise und die Zukunftsaussichten der Technologie.

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Markt&Technik: Die Jury des AMA Innovationspreises hat Ihr Team für das Entwicklungsprojekt Micro Elektro Chemical Systems Technology – kurz MECS-Technology – mit dem Sonderpreis „Junges Unternehmen“ ausgezeichnet. Kriterien hierfür waren hohe Innovationskraft und großes Marktpotential. Bitte beschreiben Sie kurz, was die MECS-Technologie auszeichnet und wie sie funktioniert.

Rainer Ihra: Unter den zahlreichen Auszeichnungen, die wir in den letzten zwölf Monaten erhalten haben, ist der AMA Innovationspreis für junge Unternehmen eine ganz besondere, die uns sehr stolz macht. Mit Landesunterstützungen aus Berlin und Brandenburg ist es uns als erstes Unternehmen gelungen, die Funktionen eines elektrochemischen Sensors direkt auf einen Chip zu integrieren, was die Jury des AMA Innovationspreises am meisten überzeugt hat. Wir nennen diese neue Integrationsfähigkeit MECS-Technology. Analog der MEMS-Technologie, der Kombination von Mikroelektronik und Mechanik, beginnt für uns ein neues Zeitalter der Sensorsysteme basierend auf der Kombination von Mikroelektronik mit chemischen Materialien.

Welche Vorteile bietet die MECS-Technologie im Vergleich zu herkömmlichen elektrochemischen Gassensoren?

Elektrochemische Gassensoren nutzen elektrochemische Reaktionen, um chemische Informationen in elektrische Signale umzuwandeln. Bisher sind solche Gassensoren sehr aufwändig in der Herstellung, haben eine große Bauform von der Größe einer Walnuss und sind wenig robust. Die neuen MECS-Sensoren lassen sich in üblichen MEMS-Fabriken kostengünstig in hohen Stückzahlen herstellen, sie bleiben stabil, auch bei hohen Temperaturen von 85 Grad Celsius, und sie lassen sich mit einer Größe von ca. 2 x 2 Millimetern leicht in IoT-Anwendungen integrieren.

Wie ist es Ihnen gelungen, diese technologischen Vorteile zu realisieren? Anders gefragt, wie haben Sie es geschafft, die Bauteile so viel kleiner, langlebiger und günstiger zu machen, als es bislang möglich war?

Nach über 20-jähriger gemeinsamer Forschung ist es Dr. Ryan Guterman und Dr. Alexey Yakushenko gelungen, einen Elektrolyt herzustellen, der – anders als bei bisherigen elektrochemischen Sensoren – aus einem Feststoff besteht, der direkt mit Halbleiterprozessen verarbeitet werden kann. Dieses wohlbehütete Geheimnis ist das Kernstück unserer Technologie, das es uns ermöglicht, die Sensoren zu miniaturisieren, mit allen weiteren Vorteilen der höheren Robustheit zu einem günstigeren Preis.

Können Sie uns einen Einblick in den Herstellungsprozess der MECS-Sensoren geben?

Die Herstellungsschritte sind ähnlich wie bei MEMS-Sensoren, das heißt, der erste Schritt besteht auch hier in der Konzeption und Simulation des MECS-Sensors mit dem Ziel, die Funktionalität und Leistung des Sensors zu optimieren. Auf einem Substrat werden zuerst die Kontaktstellen strukturiert, die später mit dem chemischen Material die elektrischen Reaktionen erzeugen. Ist das Material aufgebracht und sind die Sensoren vereinzelt, werden sie noch zu einem elektronischen System integriert, indem das analoge Sensorsignal kalibriert und in ein digitales Standardsignal umgewandelt wird. Im Ergebnis liefern wir einen vollständig kalibrierten, digitalen und langzeitstabilen Sensor.

Wie bewältigen Sie die potenziell hohen Produktionsvolumina, die für die Skalierbarkeit auf die Millionen von Geräten erforderlich sind?

Tatsächlich reden wir mit unseren Kunden über mehrere Millionen bis Milliarden von Gassensoren jährlich in Bereichen, die vorher nicht denkbar waren. Wir stehen hier erst am Anfang. Unsere Materialien haben eine ausreichende Stabilität erreicht, um jederzeit beliebige Mengen herstellen zu können. Unser letztes „Nadelöhr“ liegt in der Kalibrierung der einzelnen Sensoren. Weil wir alle Sensoren fertig kalibriert mit digitalem Ausgangssignal liefern, bekommt jeder Sensor seine eigenen Kalibrierdaten auf einem EPROM mitgeliefert. Wir bauen derzeit ein System auf, das einen kompletten Wafer mit mehr als 1000 Sensoren automatisiert kalibrieren kann. Damit können wir unsere komplette Fertigung vom Rohmaterial bis zum Endprodukt beliebig skalieren.

Wie einfach gestaltet sich die Integration Ihrer Sensoren in bestehende IoT- und tragbare Geräte?

Viele intelligente Geräte bis hin zu Smart Wearables und Location Tracker haben heute schon mehrere Sensoren integriert, beispielsweise besitzen die Location Tracker häufig einen Bewegungssensor auf MEMS-Basis, und unsere intelligenten Uhren messen die Herzfrequenz über optische Sensoren. Diese Sensoren sind über standardisierte digitale Schnittstellen in die Systeme eingebunden. Unsere MECS-Sensoren werden über die gleiche Schnittstelle integriert.

Welches sind Ihre wichtigsten Zielmärkte und -anwendungen? Können Sie uns konkrete Anwendungsbeispiele nennen?

Wir suchen nach neuen Anwendungen, wo hohe Stückzahlen gefragt sind, und haben deshalb als erstes einen Sauerstoffsensor entwickelt. Sauerstoff ist ein wichtiges Gas, essenziell für die meisten Lebewesen und spielt in biologischen Systemen eine zentrale Rolle. Man kann zum Beispiel in Lebensmittelverpackungen die Sauerstoffkonzentration auf unter zehn Prozent senken. Dadurch verlangsamt sich die Zellatmung und frische Lebensmittel bleiben länger haltbar. Zudem können aus verpackten Lebensmitteln neben dem Frischezustand auch Daten gewonnen werden, um die Haltbarkeit vorherzusagen und den optimalen Verkaufszeitpunkt bestimmen zu können. Denken Sie hier an die gesamte Logistikkette, also von der Ernte über den Transport und verschiedene Lagerplätze bis zum Endverbraucher.

Haben oder planen Sie bereits Partnerschaften oder Kooperationen mit anderen Unternehmen, um Ihre Sensoren auf den Markt zu bringen?

Wir haben gerade einen Distributionsvereinbarung geschlossen mit einem global agierenden Distributor, der in unseren Zielmärkten IoT und Logistik, Atemgasanalyse und Sicherheitstechnik ein gutes Netzwerk an Kunden und Herstellern etabliert hat. Daneben streben wir weitere Partnerschaften mit Herstellern an, die in unseren Zielmärkten aktiv sind.

Welche Rückmeldungen haben Sie bisher von Ihren Kunden oder Testanwendern erhalten?

Wir konnten bereits einige Endkunden in der Lebensmittelindustrie, in der Energiebranche und in der Medizintechnik von unserer Lösung begeistern und haben mit unserem Demonstrator ein komplettes Sensorsystem mit USB-Schnittstelle und PC-Software geliefert. Als nächsten Schritt arbeiten wir mit diesen Kunden bereits an der Integration und der Herstellung erster Prototypen, so dass wir im Laufe des kommenden Jahres mit einer Serienproduktion starten werden.

Was sind nun die nächsten Schritte oder Ziele für die Weiterentwicklung Ihrer Sensoren und deren Marktverbreitung?

Derzeit sehen wir die verschiedenen Entwicklungen für die Integration unserer Sauerstoffsensoren gespannt entgegen. Gerade im Lebensmittelbereich und der persönlichen Fitnessanalyse werden uns die ersten Prototypen helfen, eine größere Aufmerksamkeit im Markt zu erlangen. Über die verschiedenen Messe- und Marketingplattformen bekommen wir nicht nur Feedback bezüglich unserer Qualität, sondern auch reichlich Input und Ideen für neue Lösungen und Anwendungen.

Wie sehen Sie generell die Zukunft der elektrochemischen Gassensortechnologie und welche Rolle wird Ihre Entwicklung dabei spielen?

Die nächste große Anwendungswelle wird durch Gassensoren dominiert. Viele Hersteller haben bereits versucht, den Quantensprung von mehreren Hunderttausend bis Millionen Sensoren pro Jahr auf mehrere Milliarden Gassensoren pro Jahr umzusetzen, um diesen hohen Bedarf befriedigen zu können. Wir können mit unserer Miniaturisierung erstmals chemische und elektronische Technologien auf einem Mikrochip verbinden und damit alle bisherigen Hindernisse überwinden. Dadurch werden Gassensoren allgegenwärtig sein und unsere Lebensqualität in vielen Bereichen verbessern.

Die Fragen stellte Nicole Wörner.


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