Halbleiter

Leih mir Dein Ohr

21. Juni 2016, 10:15 Uhr | von Christophe Waelchli

Hörgeräte sind trotz aller Fortschritte noch immer eher lästige »Wear¬ables«, zu denen Patienten nur greifen, wenn es zwingend notwendig ist. Dies jedoch ist zunehmend häufiger der Fall, da Schwerhörigkeit weiter um sich greift.

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Heute tritt bei über 47 % der Erwachsenen über 75 Jahre Schwerhörigkeit an einem Ohr oder an beiden Ohren auf. Andere Gefahren, die das Hören beeinträchtigen, wie Lärm oder gesundheitliche Probleme, können Menschen jeder Altersgruppe betreffen. So weisen 12,5 % der 6- bis 19-Jährigen bereits dauerhafte Hörschäden aufgrund hoher Lärmbelastungen auf.

Bild 1: Marktwachstum für Hörgeräte
Bild 1: Marktwachstum für Hörgeräte
© HIA, hearing Industries Association

Der Markt für Hörgeräte wächst jährlich durchschnittlich (CAGR) um 6 % bis 8 % (Bild 1). Das Potenzial für weiteres Wachstum ist wesentlich höher. Von denjenigen, die von einem Hörgerät profitieren würden, leisten sich erschreckenderweise nur etwa 4 % ein solches Gerät. Hohe Kosten und die Tatsache, dass nur ältere Menschen solche Geräte tragen, wirken für diese Gruppe abschreckend. Obwohl Hörgeräte eine einfache Lösung für ein lästiges Problem bieten, entscheiden sich Patienten nur dafür, wenn es unvermeidbar ist.

Freiheit durch Funken

Wie bei vielen anderen Wearables ist eine Funkanbindung mittlerweile Standard – nicht mehr nur bei Hörgeräten der Oberklasse. Funktechnik vereinfacht die Bedienung von Hörgeräten und macht die Technik einer breiteren Masse zugänglich.

Selbst heute noch kann das Einstellen der Lautstärke, Programmwahl etc. an einem Hörgerät eine Herausforderung sein. Einstellungen lassen sich manuell vornehmen, indem ein oder zwei kleine Tasten am Gerät betätigt werden. Einige Anwender sind imstande, diese zu betätigen, während sich das Hörgerät im Ohr befindet, andere Anwender müssen das Gerät allerdings abnehmen, um die Einstellungen vorzunehmen. Eine weitere Option erfordert eine herstellerspezifische Fernsteuerung oder ein Relais-Gerät. Dabei handelt es sich um ein größeres Gerät, das um den Hals getragen wird. Die meisten der heutigen Hörgeräte bieten noch nicht die Möglichkeit, mit dem Smartphone zu kommunizieren. Also ist diese zusätzliche Einheit erforderlich, um die proprietäre Funkverbindung der Hörgeräte in eine Standard-Bluetooth-Verbindung zum Smartphone umzuwandeln.

Da viele Menschen bereits ein Smartphone haben, ist die Steuerung des Hörgeräts über eine App besonders interessant. Was die Anwendung weiter vereinfacht sind kundenspezifische Apps, die intuitive Symbole und Berührungssteuerung bieten und somit einfach verständlich sind. Anwender können so den Ladezustand der Hörgerätebatterie überprüfen sowie Programm- und Lautstärkeeinstellungen des linken und rechten Hörgeräts einzeln optimieren. Zu den weiteren Funktionen zählen Meldungen über eingehende Texte und Anrufe oder GPS-Tracking, um ein verloren gegangenes Hörgerät wieder zu finden.

Mit Bluetooth-Low-Energy-Funktechnik (BLE) lassen sich Audiodaten direkt von einer externen Quelle an das Hörgerät streamen. Eine solche Quelle kann ein Soundsystem oder ein TV-Gerät sein, das mit einem entsprechenden Zusatzgerät ausgestattet ist. Damit steht für den Träger ein noch intensiveres Unterhaltungserlebnis mit besserer Audioqualität zur Verfügung. Diese Technik bietet die Möglichkeit, eine bessere und diskretere Benutzererfahrung für Träger von Hörgeräten bereitzustellen. Wegen des Einflusses von Bluetooth-Low-Energy auf den Strombedarf und die Systemgröße, ergeben sich bei sehr kleinen Hörgeräten jedoch Herausforderungen.

Platz und Strom als Herausforderungen

Bild 2a: Hörgeräte werden heute meist hinter dem Ohr getragen
Bild 2a: Hörgeräte werden heute meist hinter dem Ohr getragen
© ON Semiconductor

Wollen Entwickler die Funktionalität von Hörgeräten erhöhen, müssen sie Herausforderungen hinsichtlich des beschränkten Platzangebots in den meist diskret aufgebauten Hörgeräten überwinden. Bis zu 80 % der derzeit in Gebrauch befindlichen Hörgeräte befinden sich hinter dem Ohr (BTE: Behind The Ear; (Bild 2a, b, c).

Bild 2b: Hörgeräte werden heute meist hinter dem Ohr getragen
Bild 2b: Hörgeräte werden heute meist hinter dem Ohr getragen
© ON Semiconductor

Dabei handelt es sich meist um ein All-in-One-Design: Das Funkmodul befindet sich mit im Gerätegehäuse, das den Bereich hinter der Ohrmuschel voll oder teilweise ausfüllt. Hörgeräte, die sich im Ohr befinden (ITE: In The Ear) nehmen einen Marktanteil von 20 % ein. Sie können die Ohrmuschel voll oder teilweise ausfüllen oder Miniaturgröße aufweisen und vollständig in den Gehörgang eingeführt werden.

Bild 2c: Hörgeräte werden heute meist hinter dem Ohr getragen
Bild 2c: Hörgeräte werden heute meist hinter dem Ohr getragen
© ON Semiconductor

Innerhalb dieser Formfaktoren muss der Hörgeräteentwickler den Empfänger, die Batterie, die Elektronik, die Benutzersteuerung für Lautstärkeregelung und Programmwahl, den Audio-DSP, zugehörige Peripherie und Speicher unterbringen – und nun auch noch einen Bluetooth-Funk-Transceiver.

Bild 3: Gängige Hörgerätegehäuse bieten innen nur wenig Platz
Bild 3: Gängige Hörgerätegehäuse bieten innen nur wenig Platz
© ON Semiconductor

Außerdem sind ein oder mehrere Mikrofone erforderlich, um eine Hintergrundgeräuschunterdrückung und Richtcharakteristik für die Audioaufnahme zu ermöglichen (Bild 3). Der Strombedarf des zusätzlichen Funk-Subsystems sollte sich so wenig wie möglich auf das Gesamtsystem auswirken, um größere, schwerere Batterien zu vermeiden, die mehr Leistung bereitstellen.

SoCs und SiPs

System-in-Package-Lösungen (SiP) können helfen, die Platzbeschränkungen in Miniaturgeräten zu überwinden, indem mehrere Komponenten in einem einzigen Bauteil vereint werden. ON Semiconductor hat mit dem »Ezairo 7150 SL« ein funkbasiertes Audioverarbeitungs-Hybridmodul vorgestellt, das sich einfach in ein Standard-Hörgerät der Behind-the-Ear-Klasse integrieren lässt.

Basierend auf der programmierbaren DSP-Plattform »Ezairo 7100« bietet das Miniatur-Hybridmodul eine Quad-Core-Architektur. Ezairo 7150 SL unterstützt mehrere Funkprotokolle, ist für die lizenzfreien 2,4-GHz-Frequenzbänder optimiert und kompatibel zu BLE sowie kundenspezifischen Protokollen, um mit geringem Energiebedarf Stereo-Audio-Streams bereitzustellen. Um wichtige Hörgeräteparameter zu speichern, ist das Hybridmodul mit 2 MByte nicht-flüchtigem Speicher (EEPROM) ausgestattet.

Bild 4a: Ein Referenzdesign mit BTE-Gerät, flexiblem Schaltkreis und Antenne beschleunigt die Entwicklung zeitgemäßer Hörgeräte
Bild 4a: Ein Referenzdesign mit BTE-Gerät, flexiblem Schaltkreis und Antenne beschleunigt die Entwicklung zeitgemäßer Hörgeräte
© ON Semiconductor

ON Semiconductor bietet ein vollständiges Referenzdesign für ein BTE-Hörgerät mit Ezairo-7150-SL-Baustein. Dazu zählen das Hybridmodul, die passiven Bauelemente sowie eine 2,4-GHz-Antenne, damit Entwickler ihr eigenes Gerät entwerfen und verbessern können. Das Referenzdesign besteht aus der komplett montierten Hardware (Bild 4a, b, c), einer Android-Beispielanwendung und der Firmware für das Stereo-Audio-Streaming über einen externen Dongle inklusive Steuerung über Bluetooth Low Energy (Control over BLE; CoBLE).

Bild 4b: Ein Referenzdesign mit BTE-Gerät, flexiblem Schaltkreis und Antenne beschleunigt die Entwicklung zeitgemäßer Hörgeräte
Bild 4b: Ein Referenzdesign mit BTE-Gerät, flexiblem Schaltkreis und Antenne beschleunigt die Entwicklung zeitgemäßer Hörgeräte
© ON Semiconductor

Die Unterstützung mehrerer Funkprotokolle lässt Hörgerätefunktionen wie CoBLE über ein Smartphone oder Tablet zu und Audio-Streaming über einen Dongle, der an den Standard-Audioausgang der Quelle angeschlossen wird. Das Audio-Streaming-Protokoll nutzt eine proprietäre Funkverbindung geringer Latenz, die nur sehr wenig Strom erfordert (etwa 4–5 mA einer Zink-Luft-Batterie wie sie für Hörgeräte Standard sind).

Bild 4c: Ein Referenzdesign mit BTE-Gerät, flexiblem Schaltkreis und Antenne beschleunigt die Entwicklung zeitgemäßer Hörgeräte
Bild 4c: Ein Referenzdesign mit BTE-Gerät, flexiblem Schaltkreis und Antenne beschleunigt die Entwicklung zeitgemäßer Hörgeräte
© ON Semiconductor

Die Stereo-Audio-Streaming-Funktion erlaubt das Hören von Audiosignalen externer Quellen wie TV-Geräten oder Autoradios – mithilfe des kleinen Sendedongles. Der Dongle kann auch im Mikrofonmodus arbeiten und somit die Hörqualität des Nutzers in schwierigen Situationen verbessern, z. B. bei Lärm oder in Klassenräumen, wenn sich ein Sprecher in einiger Entfernung befindet.

Über den Autor:

Christophe Waelchli ist Product Manager für Hearing Health,
Consumer Health and Portable Audio-Medical and Wireless Product Division
bei ON Semiconductor.


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