J.P. : "Ich bin der Meinung, die Diagnose eines "erschreckend niedrigen Wissensstands" ist in Wahrheit das Fehlen von Erfahrung. Das Fach wird aber meines Wissens nach an noch keiner Uni oder FH gelehrt. Man muss den jungen wie den alten Leuten wieder Zeit und Geld geben, um sich weiterzubilden und neue Erfahrungen zu sammeln. Lernen und Erfahrung sammeln bedeutet unter anderem auch einmal, Fehler zu machen. Das sollte man auch nicht vergessen.
An einer Uni wie auch an einer FH werden den Studenten die theoretischen Grundlagen sowie die Techniken zum sich selbstständigen Anlernen in fremde Themen beigebracht. Diese Themen sind im Grundstudium relativ breit gefächert und werden dann im Hauptstudium vertieft. Sie sind das Handwerkzeug des Ingenieurs. Es kann eigentlich nicht Aufgabe der Hochschule sein, die Studenten auf genau DEN Beruf auszubilden. Es war und ist der Facharbeiter, welcher in seinem Ausbildungsbetrieb auf genau seine spätere Arbeit hin ausgebildet wird.
Es ist ja gerade der Vorteil von Ingenieuren, dass sie mit einer sehr guten theoretischen Ausbildung später viele Arten an Tätigkeiten aufnehmen können. Zumindest aus meinem Umfeld kenne ich genügend HF-Techniker, die Digitaltechnik bearbeiten, Nachrichtentechniker als Programmierer etc. Und jedem Ingenieur ist auch klar, dass es nicht möglich ist, auch nur ansatzweise die Bedienung spezieller Software im Studium ausreichend zu behandeln.
Ein Punkt, welcher immer bei der Fachkräftedebatte kommt, sind die fehlenden Spezialisten. Es wird aber nicht die Frage gestellt, wie wird man Spezialist? Meistens wird man doch Spezialist, in dem der Diplomand ein Thema zu einer Diplomarbeit gefunden hat, das ihm attraktiv erscheint oder die Bezahlung oder das Umfeld einer Firma zusammen passen. (...) Und heute? Wir brauchen und nehmen nur Spezialisten. Wenn keine da sind, Fachkräftemangel. Davon abgesehen ist gerade im Bereich Elektronik das Spektrum so vielfälltig, dass sich Firmen gar keine echten Spezialisten leisten können.
Der Beitrag von Herrn Krassin zeigt doch sehr gut auf, was für breites Wissen überhaupt notwendig ist, um als Beispiel einen modernen FPGA zu programmieren. Wann soll denn ein Student diese fachspezifischen Sachen lernen, um keinen "erschreckend niedrigen" Wissensstand zu haben? Was haben ein 0-8-15 und ein moderner µController noch gemein? Die Grundlagen, ansonsten benötigt man schon viel Zeit, um sich in ein solches Thema einzuarbeiten, inklusive USB, Ethernet, DDR-Speicher, RTOS, OS etc. (elektrisch und informationstechnisch!). Wer definiert, was fachspezifisch ist? VHDL oder Verilog, um bei Herrn Krassin zu bleiben? Und warum sollen dann Physiker und Informatiker branchenfremd sein? Physiker haben eine ganz andere Blickrichtung auf möglich Proleme im Chip und Informatiker kennen sich wohl auch eher in Netzwerktechnik aus als ein E-Techniker. Es gibt Physiker mit Amateurfunkerlaubnis wie es auch E-Techniker als Admins gibt. Hier sollten sich die Fachrichtungen eher befruchten und nicht unterschwellig gegeneinander ausgespielt werden. Hat irgendwer ein Monopol auf Chipentwicklung?
Ich möchte noch kurz anfügen, dass ich zunächst Facharbeiter gelernt habe und anschließen auf einer FH meinen Abschluß (1998) gemacht habe. Bis 2005 habe ich an einer Universität gearbeitet, jetzt in der freien Wirtschaft tätig.
Die Deutsche Industrie ist mit Ihrer "alten" Ingenieursausbildung und Einstellungspolitik seit einem Jahrhundert Weltmarktführer in der Forschung und Entwicklung geworden ist. Es gibt unter den Spitzenkräften damaliger Jahre mit Sicherheit genügend, die jetzigen Einstellungsstandards nicht genügt hätten. Ich freue mich, dass zunehmend solche und ähnliche Themen angesprochen und auch von Ihnen aufgegriffen werden. Von mir aus, wie auch aus Sicht von Kollegen, können solche Themen auch noch kritischer betrachtet werden.