Interview mit Infineon-Vorstand

» Wir leben die Smart Factory vor «

8. März 2017, 16:24 Uhr | Frank Riemenschneider
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Fortsetzung des Artikels von Teil 2

» SiC steht auf dem Sprung zur Industrialisierung «

Warum sind Sie so sicher, dass SiC jetzt auf dem Sprung zur Industrialisierung steht? Bisher habe ich auf Grund des Preises nur Nischenprodukte gesehen …

Derzeit finden Sie SiC schon bei Switch-Mode-Stromversorgungen, fest eingebauten Ladegeräten für Elektromobilität oder unterbrechungsfreien Stromversorgungen, wie sie Rechenzentren benötigen. Der höhere Wirkungsgrad geht einher mit einer höheren Leistungsdichte und geringeren Systemkosten, weil sich aufgrund der höheren Schaltfrequenzen kleinere passive Bauelemente verbauen lassen. Relativ neu ist SiC in Umrichtern für Elektrofahrzeuge: Weniger Masse und Volumen und ein höherer Wirkungsgrad führen dort zu höherer Reichweite beziehungsweise Ladekapazität. Die Industrie freut sich schon auf die Automotive-Qualifikation!

Derzeit erleben wir in der Halbleiter­industrie einen regelrechten Kaufrausch. Ist der Bedarf von Infineon gestillt oder gibt es noch inhaltliche Felder, wo Sie sich eine weitere Verstärkung über einen Zukauf vorstellen könnten?

Natürlich wollen wir in der Konsolidierungswelle weiterhin eine aktive Rolle spielen. Wir sind daran interessiert, uns in allen Feldern, die in unserem Kernbereich liegen, zu verstärken. Genaues kann ich Ihnen natürlich nicht sagen, bei Gerüchten steigen immer ganz schnell die Preise (lacht). Und wir haben immer betont, dass wir zunächst Wolfspeed integrieren wollen, bevor wir möglicherweise einen nächsten großen Schritt machen.

Wie sehen Sie die Auswirkungen des Kaufes von ARM durch Softbank für Ihr Unternehmen?

Wir erwarten keine Auswirkungen. Es ist davon auszugehen, dass Softbank das Geschäft von ARM ungestört weiterführt.

Ein essentielles Thema im Rahmen der Digitalisierung ist Security, eine vermeintliche Stärke deutscher Unternehmen. Ihr Wettbewerber NXP kritisiert, dass, statt z. B. eine Marke »Security made in Germany« zu verkaufen, jeder in der Industrie sein Ding macht. Wie ist Ihre Sicht auf dieses Thema?

» Die Security-Industrie in Deutschland verhält sich sehr individualistisch «


Bereits Mitte des letzten Jahrzehnts starteten das Bundesforschungsministerium und das Wirtschaftsministerium die Ini­tiative »IT-Security made in Germany«. Allerdings sehen wir heute einen großen Wettbewerbsdruck beim Thema Security, der ein gemeinsames Auftreten bislang verhindert hat. Die Security-Industrie in Deutschland verhält sich sehr individualistisch. Aber wir brauchen globale Sicherheitsstandards, denn längst ist das Leben durch die Nutzung des Internets über die Kontinente vernetzt. Natürlich können Standards in einer Region entwickelt und dann dank konsequenter Nutzung auch global durchgesetzt werden, wie es Europa mit dem Mobilfunkstandard GSM im vergangenen Jahrzehnt gelungen ist. Ohne diesen strategischen Anspruch ergeben auf nationaler oder auch auf europäischer Ebene entwickelte Standards keinen Sinn.

Aber wie soll denn dann die Standardisierung funktionieren? Ohne politischen Konsens?

Wir haben zum Beispiel mit Trusted-Platform-Modules (oder »TPMs«) einen gut funktionierenden, globalen Industriestandard. Es gibt auch international anerkannte Sicherheitszertifizierungen. Wichtig ist jetzt, wie gesagt, die Umsetzung: Wie schaffen bestehende Hard- und Softwarelösungen in Anwendungen global den Durchbruch? Was wir aus der virtuellen Welt kennen, brauchen wir nur in die reale Welt zu übertragen. Wir müssen nicht alles neu erfinden.

Kaspersky hat festgestellt, dass es allein 2014 schon 13.000 Vorfälle gab, bei denen Prozesssteuerungen mit irgendwelchem gefährlichen Code infiziert wurden, dazu sind laut FU Berlin tausende SPSen in Produktionsanlagen im IoT für Hinz und Kunz noch sichtbar und angreifbar. Wie kann Security derartig in Industrieanwendungen implementiert werden, dass man von wirklicher Sicherheit sprechen kann, und was ist mit den ganzen Altanlagen?

Es gibt Empfehlungen, die beispielsweise auf Trusted Computing basieren. Die Plattform Industrie 4.0 versucht, entsprechende Referenzstandards zu finden. Die Lösungen gibt es durchaus. Die flächendeckende Umsetzung braucht natürlich einige Jahre – das darf aber nicht dazu führen, dass die Nachrüstung von Bestandsanlagen nicht in Angriff genommen wird. Wichtig ist Stabilität: Es wäre fatal, ringe sich der Markt zu einer Lösung durch, und in zwei Jahren gibt es wieder eine neue. Deshalb sind Trusted-Computing-Module eben auch rückwärtskompatibel.

Die Amerikaner definieren Sicherheitsstandards, die Chinesen diktieren sie einfach und in Europa, wo es keine Zentralregierung gibt, ist alles immer kompliziert. Kann denn die Industrie über ihre Produkte De-facto-Standards setzen, ohne einen europäischen politischen Konsens?

Die Frage ist, in wieweit sich rechtliche Rahmenbedingungen schaffen lassen, um einen Übergang wie etwa beim US-Reisepass zu erzwingen: Nicht überall werden einheitliche Standards vorgegeben, in manchen Fällen muss die Industrie erst einen gemeinsamen Weg finden, was die Einführung neuer Technologien verzögert. Beim US-Reisepass gab es schlichtweg die Vorgabe, der Pass müsse weltweit auslesbar sein. Wir brauchen Weltstandards und Europa hat die Chance, durch Anwendung von Technologie die Diskussion und die Entscheidungen wesentlich zu prägen.

Als Chip-Hersteller sind Sie in der Wertschöpfungskette Industrie 4.0 »vom Sensor bis zur Cloud« überall beteiligt. Es gibt viele allgemeine Absichtserklärungen, wie dies im BSI-Kompendium nachzulesen ist, aber wenig Konkretes. Wie definieren Sie heute bei Infineon Sicherheitschips, bevor irgendwelche konkreten Standards definiert sind?

» Ohne Interoperabilität gibt es keinen Markt. Für Niemand «


Ohne Interoperabilität gibt es keinen Markt. Für Niemand. Insofern ist das Interesse groß, in Industriekonsortien Mindeststandards zu definieren. Stellen Sie sich vor, Sie hätten mit GSM bei einem Netzwechsel nicht weitertelefonieren können. Undenkbar! Wir versuchen zum Beispiel in der »Trusting Computing Group«, möglichst weit nach vorne zu schauen. Die Technologie aus der PC-Welt muss nun in die Welt der eingebetteten Systeme übertragen werden. Mit anderen Worten, es fehlt nicht an Standards, wir müssen uns jetzt nur alle gemeinsam um die Umsetzung kümmern.

Herr Dr. Gassel, vielen Dank !

Das Interview führte Frank Riemenschneider.

LITERATUR

[1] Riemenschneider, F.: 1,7 Mrd. Euro Subventioen für Deutschlands Mikroelektronik-Industrie. DESIGN&ELEKTRONIK 2016, H. 11, S. 6 ff.

Dr. Helmut Gassel / Infineon
Dr. Helmut Gassel Mitglied des Vorstands der Infineon Technologies AG und Chief Marketing Officer. Er ist verantwortlich für Sales & Marketing, Regions, Strategy Development sowie Mergers & Acquisitions und Intellectual Property. Der in Dortmund geborene Manager hat an der Ruhr-Universität in Bochum studiert, er ist Diplom-Physiker und promovierter Ingenieur der Elektrotechnik. Seit 1995 ist er bei Infineon (bis 1999 Siemens AG), dort leitete er u. a. das Chipkarten- und zuletzt das Industriegeschäft.
© DESIGN&ELEKTRONIK

  1. » Wir leben die Smart Factory vor «
  2. » Die Begeisterung für Technologie ist in Deutschland nicht so ausgeprägt wie in manchen asiatischen Städten «
  3. » SiC steht auf dem Sprung zur Industrialisierung «

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