Die Automobilindustrie kämpft mit Lieferengpässen bei den Halbleitern, auch in China. Dennoch ist die Lage in China anders, und das hat mehrere Gründe.
Normalerweise gehört das nicht zu meinen Aufgaben, aber aufgrund der Versorgungslage mit Halbleitern habe ich derzeit ungefähr 15 Fälle mit Tier-One-Unternehmen aus China auf meinem Schreibtisch liegen, bei denen es um die Probleme mit der Versorgung geht«, erklärt Jürgen Höllisch, Geschäftsführer bei Hoellisch Consulting. Dass die gesamte Automobilindustrie weltweit mit Lieferproblemen zu kämpfen hat, ist das eine, in China kommen aber noch weitere Probleme hinzu. So glaubt Höllisch, dass chinesische Unternehmen und Einkäufer es einfach auch nicht gewohnt sind, mit diesen Supply-Chain-Problemen umzugehen. Die europäische oder amerikanische Automobilindustrie hat bereits diverse Male mit Versorgungsengpässen umgehen müssen, sie haben also gelernt, wie man sich am besten verhält und entsprechende Prozesse installiert.
Dazu kommt in China seiner Meinung nach noch ein weiteres Problem: Es wird eine Flexibilität gefordert, die schon zu Normalzeiten schwierig sein dürfte. Höllisch: »Einige der OEMs, vor allem die neuen EV-Unternehmen, verändern ihre Nachfrage mehr oder minder jeden Tag.« Das Wachstum, das diese Hersteller zum Teil erfahren, hat beispielsweise zur Folge, dass die anfängliche Planung von 1600 Elektroautos pro Monat einfach auf 5000 Fahrzeuge pro Monat erhöht wird. China hat laut Höllisch aber noch ein Problem, mit dem die OEMs aus anderen Regionen nicht zu kämpfen haben: Es gibt Fälle, in denen weltweit aktive Halbleiterunternehmen auf Anfragen chinesischer Unternehmen überhaupt nicht reagieren.
Höllisch betont: »Wir bekommen überhaupt kein Feedback, es sieht so aus, dass manche, durchaus etablierte Halbleiterunternehmen die OEMs und Tier-Ones in China komplett ignorieren.« Und diese Nicht-Kommunikation macht die Situation für die Unternehmen in China noch schwieriger. In Europa bekämen die Unternehmen wenigstens die Informationen, es wird zusammengearbeitet und versucht, die größten Probleme zu lösen, aber wenn gar keine Informationen weitergegeben werden, dann kann sich auch keiner auf irgendetwas einstellen. »Das ist meiner Meinung nach derzeit das größte Problem für chinesische Unternehmen, wenn es um Lieferengpässe geht«, so Höllisch
Push für die chinesische Halbleiterindustrie
Höllisch ist überzeugt, dass diese Lieferprobleme die chinesische Halbleiterindustrie gefördert hat. Seiner Aussage nach gibt es in China zwischen 120 und 150 Startups für E-Fahrzeuge, plus OEMs, die bereits den Schritt auf den weltweiten Markt geschafft haben, wie beispielsweise XPeng, Lucid und Nio. Höllisch: »Sie haben aber mit den bereits beschriebenen Lieferproblemen zu kämpfen. Also geben sie sehr genaue Vorgaben für HF-ICs, Power-Management-Produkte oder andere ICs an chinesische Design-Häuser, damit sie sich so quasi eine Second Source verschaffen, und das so schnell wie möglich. Das ist auch einer der Gründe, die zu diesem raschen Anstieg der Design-Häuser in China geführt hat. Das sind Unternehmen, die bis zu 1000 Mitarbeiter beschäftigen und die sehr schnell Ersatzkomponenten auf den Markt bringen, denn in China geht es typischerweise darum, ein Problem möglichst schnell zu lösen; und das schaffen sie.«
Wobei Yan Bo, Vice President von Nanochip Semiconductor, in diesem Zusammenhang noch darauf verweist, dass viele dieser Design-Häuser ihre ICs bei TSMC oder Hua Hong Group fertigen lassen und damit natürlich auch mit Kapazitätsengpässen zu kämpfen haben.
Global, nicht lokal
Jürgen Höllisch, Geschäftsführer bei Hoellisch Consulting, erklärt: »Vor einigen Jahren kam in den USA die Bewegung ‚America first’ auf. Jetzt sehen wir in China dieselbe Bewegung, alle fokussieren sich auf die Versorgungskette. Und auch in Europa und Deutschland gibt es mittlerweile enorm hohe Investitionen in die Fertigung von Halbleitern. Am Ende des Tages wird aus einem globalen Markt ein lokaler.«
Dieser Ansatz hat zur Folge, dass jede Region enorme Investitionen leistet, wobei fraglich ist, ob diese Investitionen alle geleistet werden können und ob schlussendlich nicht zu viel investiert wird. Höllisch: »Menschen in allen Regionen neigen dazu, zu sagen, dass die Regierung ganz viel Geld in die Entwicklung von Technologien und die Halbleiterfertigungen steckt, aber am Ende werde dieses Investment von Steuerzahlen bezahlt, also von den Menschen selbst.« Und dabei steht das RoI (Return of Investment) in den Sternen. Höllisch: »Wir müssen zusammenarbeiten, bezüglich des Investments, der Technologien, wir müssen auf globale Standards hinarbeiten.«
Auch die anderen Forumsteilnehmer sind davon überzeugt, dass insbesondere die Halbleiterindustrie eine global agierende Industrie ist und dass es in diesem Bereich für jede Region nahezu unmöglich ist, alles alleine zu machen. Wünschenswert wäre also: wieder weg von »lokal« und wieder hin zu »global«, wobei alle Teilnehmer zumindest Zweifel haben, ob das in naher Zukunft möglich sein wird.